# taz.de -- Analyse der Frankreich-Wahl: Die Parteiendämmerung | |
> Sowohl die Sozialisten als auch die Konservativen haben in Frankreich | |
> eine krachende Niederlage eingefahren. Triumphiert haben die | |
> „Anti-Parteien“. | |
Bild: Es hieß, seine Niederlage sei ausgeschlossen – er schaffte es trotzdem… | |
PARIS taz | Was man gewöhnlich als Parteienlandschaft in Frankreich | |
bezeichnet hat, ist heute, nach dem ersten Durchgang der | |
Präsidentschaftswahlen, ein Trümmerhaufen. Französische Zeitungen schreiben | |
von einem „Erdbeben“ (La Croix) oder einem „Bigbang“ (Les Echos). | |
Zu diesen Bildern passt die Endzeitstimmung im Hauptquartier der | |
Sozialisten. Ihr Kandidat Benoît Hamon hat mit 6,3 Prozent eine historische | |
Schlappe eingefahren. Ähnlich geht es auch Les Républicains (LR): Die | |
bürgerliche Rechte ist nach François Fillons Niederlage (19,9 Prozent) zum | |
ersten Mal nicht in der Stichwahl vertreten. | |
Wie die Umfragen diesmal richtig voraussahen, haben die beiden Favoriten, | |
Emmanuel Macron (23,9 Prozent) und Marine Le Pen (21,4 Prozent) gewonnen. | |
Triumphiert haben so die „Anti-Parteien“, die Systemgegner, die Kandidaten, | |
die aus dem Misstrauen der Bürger politisches Kapital schlagen wollen. Das | |
hatte sich bereits im Wahlkampf der letzten Wochen klar abgezeichnet. Die | |
definitiven Resultate bestätigen, dass sich die Wähler und Wählerinnen in | |
den meisten Regionen von den beiden großen politischen Familien, die in den | |
letzten Jahrzehnten den Ton angaben, abgewandt haben. | |
Die Zahlen sind von grausamer Deutlichkeit: Zusammengenommen haben dieses | |
Mal die beiden Kandidaten der regierenden Sozialisten (PS) und der | |
konservativen LR gerade mal ein Viertel der abgegebenen Stimmen erhalten. | |
Das Phänomen ist im gesamten Land zu beobachten, die Krise der Parteien und | |
des Systems hat selbst die einstigen Hochburgen der Regierungsparteien | |
eingeholt und geht quer durch die sozialen Schichten. | |
Die Gründe der beiden Fiaskos sind verschieden: Die Sozialisten gingen mit | |
der Last ihrer Regierungsbilanz und dem schlechten Image ihres | |
Staatspräsidenten François Hollande in ein Rennen, das sie unmöglich | |
gewinnen konnten. Das stand im Voraus so klar fest, dass ein Teil von ihnen | |
von Beginn an (aus Klarsicht oder Opportunismus) auf die Karte des | |
abtrünnigen Wirtschaftsministers Emmanuel Macron gesetzt hat. | |
Hamon konnte darum für seine Kampagne nur auf eine sehr halbherzige | |
Unterstützung seiner Genossen zählen. Da längst sichtbar war, dass Hamon | |
keine Chance auf eine Qualifizierung für die Endrunde hatte, stimmten auch | |
viele PS-Stammwähler im ersten Durchgang für Macron. Gegen dieses | |
strategische Wählen war Hamon machtlos. | |
## Hoffen auf die Parlamentswahl | |
Der Konservative Fillon dagegen galt nach seinem Triumph bei den | |
bürgerlichen Vorwahlen vor ein paar Monaten als nahezu unschlagbar. Die | |
Parteikollegen grollen ihm heute, weil er es ihrer Ansicht nach | |
fertiggebracht hat, bei einer Wahl durchzufallen, die er theoretisch | |
unmöglich hätte verlieren können. Sie lassen Fillon jetzt umso brutaler | |
fallen, weil sie ihn wegen der Affäre um die Scheinbeschäftigung seiner | |
Gattin allein und persönlich für seine Niederlage verantwortlich machen. | |
Nun hagelt es intern Kritik, nicht nur am Kandidaten, sondern auch an der | |
Parteiführung. Schließlich hatte diese trotz der kompromittierenden | |
Enthüllungen an ihm festgehalten und sich geweigert, mit Alain Juppé einen | |
Ersatzmann zu nominieren, als dies noch möglich war. | |
In beiden Lagern zeichnen sich Abrechnungen und Reorganisationen ab. Es ist | |
auch nicht auszuschließen, dass sich ganze Fraktionen oder Flügel von links | |
und rechts dem Wahlsieger Macron und seiner Bewegung „En marche!“ | |
anschließen. | |
Ganz abschreiben sollte man indes beide Parteien noch nicht. Sowohl die | |
Sozialisten als auch die Konservativen hoffen, bei den kommenden | |
Parlamentswahlen mit einer ausreichenden Zahl von Abgeordnetensitzen mehr | |
als bloß ihre Ehre zu retten. Ob sie danach im Fall der wahrscheinlichen | |
Wahl von Macron eher in der Opposition sind oder das | |
Mitte-links-Reformprogramm zumindest von Fall zu Fall mittragen, ist noch | |
völlig offen. Heute bleibt ihnen nichts anderes übrig, als aus | |
demokratischem Gewissen den Sozialliberalen Macron der Rechtsextremistin | |
Le Pen in ihrer Wahlempfehlung vorzuziehen. | |
## Le-Pen-Wähler abgeworben | |
Jean-Luc Mélenchon von der linken Bewegung „France insoumise“ dagegen kann | |
sich mit seinem Achtungserfolg von 19,6 Prozent weiter brüsten und sich | |
zieren. Er hat seinen Anhängern vorerst keine Empfehlung für die Stichwahl | |
gegeben. Falls er allerdings nicht will, dass man ihm vorwirft, er setze | |
Macron und Le Pen politisch gleich, muss er seine Anhänger wohl letztlich | |
doch vor einem Votum der extremen Rechten am 7. Mai warnen. | |
Es ist nicht auszuschließen, dass einige von denen, die vor allem durch die | |
populistischen Töne in seiner EU-Kritik angezogen wurden, trotzdem Le Pen | |
vorziehen könnten. Laut den Wahlspezialisten soll nämlich Mélenchon bei | |
seinem phänomenalen Endspurt (er legte von 15 auf fast 20 Prozent zu) eine | |
beträchtliche Zahl von potenziellen Le-Pen-Wählern abgeworben haben. | |
Für die beiden Finalisten steht die Taktik bereits fest: Emmanuel Macron | |
will eine nationale Einheit gegen die extreme Rechte bilden, was ihm | |
relativ leicht fallen dürfte, da es das Vorbild der Stichwahl von Jacques | |
Chirac gegen Jean-Marie Le Pen im April 2002 gibt. | |
Marine Le Pen dagegen will die Stichwahl, wie ihr FN-Vizepräsident Florian | |
Philippot erklärt hat, in eine Volksabstimmung „für oder gegen die | |
Globalisierung“ und „für oder gegen die Einwanderungspolitik der EU“ | |
verwandeln. Damit soll die Entscheidung von der eigentlichen Frage der | |
Präsidentschaftsprogramme auf eine andere Ebene verlagert werden, auf der | |
der politisch weitgehend isolierte Front National eine Chance auf einen | |
Sieg wittert. | |
24 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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