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# taz.de -- Analyse zur Wahl in Frankreich: Das Prinzip Macron
> Die erste Runde der Präsidentschaftswahl hat Emmanuel Macron gewonnen.
> Was macht ihn so erfolgreich? Und reicht es gegen Le Pen?
Bild: Vor allem junge Franzosen jubeln Macron zu
Paris taz | Er, der am Sonntagabend aus dem Stand den größten
Scherbenhaufen angerichtet hat, den die 5. Republik je gesehen hat, er hat
seine Zelte im 15. Arrondissement von Paris aufgeschlagen. Am rechten Ufer
der Seine residiert in einem hässlich verspiegelten Siebzigerjahrebau auf
1.000 Quadratmeter das Hauptquartier von Emmanuel Macron und seiner
Bewegung En Marche! (EM).
Das Fünfzehnte, wie die Pariser sagen, [1][und Macron, das passt]: Hier
funktioniert die Metropole, jeder und jede Zweite sieht hier aus wie der
perfekte Schwiegersohn oder wahlweise die perfekte Schwiegertochter, die
alles richtig gemacht haben. [2][Was auch für Macron zutrifft], zumindest
in diesen Start-up-Zeiten à la française, in denen das traditionelle
Links-rechts-Parteienschema sich vorerst aufgelöst hat.
Aus dem Stand hat der 39-jährige parteilose Exwirtschaftsminister des
abservierten François Hollande die erste Runde der französischen
Präsidentschaftswahlen für sich entschieden. Seine Bewegung En Marche! hat
sich erst im April letzten Jahres gegründet und zählt mittlerweile über
260.000 Mitglieder. Macron selbst will sie als „progressive soziale
Bewegung“ verstanden wissen – mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder sind
unter 35 Jahre alt. Was also hat es mit der „Sensation Macron“ auf sich,
wie am Montag querbeet in Frankreich die Medien titelten?
„Er ist durch ein kleines Mauseloch gekommen, das sich ihm geboten hat, er
ist der Mann des Moments. Doch zu reüssieren wird extrem schwer für ihn,
wenn er denn wirklich Präsident wird“, prognostiziert Yves Delatre, der
einen Buchladen für Gesellschaftswissenschaften betreibt nahe dem
Hauptquartier von En Marche!. Delatre hat Macron gewählt, aber, sagt er, zu
groß würden in Zukunft die Widerstände besonders auf Seiten der mächtigen
Gewerkschaften werden, zu groß seien die Erwartungen der Fans. „Politik ist
kein Fußballspiel, aber Macron geht es zurzeit genauso an.“ Seine gesamte
Kampagne habe er auf sein Team und vor allem auf sein Projekt, den
geplanten zackigen, sozialliberalen Umbau Frankreichs, zugeschnitten. „Oder
sagen wir eher: neoliberal.“
## Nicht so steril wie bei den anderen Parteien
Guillaume Gendron nickt. Der junge Politikredakteur bei Libération ist in
diesem Wahlkampf dort einer von zwei für Macron zuständigen Journalisten.
„Macron, das ist die smarte Kontinuität nach François Hollande, auch wenn
sich viele Wähler jetzt vielleicht andere Hoffnungen machen.“ Angesichts
der drei weiteren schwierigen bis desolaten Hauptkandidaten der ersten
Runde sei es aber nicht verwunderlich, „dass Macron es erst mal gewuppt
hat“.
Der Exbankier und in Ungnade gefallene Expolitliebling von Hollande sei „5.
Republik pur“, egal wie modern und europaaffin sein Diskurs auch
daherkomme. „Macron inszeniert sich als der Retter der Franzosen, ähnlich
wie de Gaulle in den 1950er Jahren.“ Auch wenn er immer wieder
herausstelle, dass er ganz Frankreich brauche für den gesellschaftlichen
Auf- und Umbruch: „Im Mittelpunkt steht immer das Produkt Macron.“
Den Eindruck erweckte auch die Wahlparty des Kandidaten am Sonntag im
Messezentrum an der Pariser Porte de Versailles. Rund 2.000 Menschen waren
da, und mindestens ebenso viele Frankreich- und Europaflaggen, die es
gratis gab am Eingang für das zahlreich hineinströmende Publikum. Jung in
der Mehrheit, sehr jung, über die Hälfte hier waren unter 30 Jahre, viele
Erstwähler. „Ich bin zwar erst 21“, so Marie Dubois, Erasmus-Studentin in
Barcelona und extra für die Wahl nach Paris gekommen, „aber das hier ist
gerade ein Schlüsselmoment für die nähere Zukunft Frankreichs. Und ich
will, dass er positiv ausgeht. Für Europa und für Frankreich.“
Die Halle inklusive ihres Publikums verströmte das Flair eines
Riesen-Start-ups. Journalisten bekamen Nüsschen und Biotee, die Macron-Fans
helle Stoffbeutel mit der Aufschrift „EM!“ oder „Emmanuel Macron
président“ in die Hand gedrückt. „S, M, oder L beim T-Shirt, rosa,
hellblau, grau oder gelb?“, fragte einen die charmante junge Dame im
stylishen dreiviertellangen Plisséerock – „ist gratis.“ Obendrauf die
Flaggen und fast unheimlich gute Laune, „En Marche!“-Feeling eben, los
geht’s. Man wähnte sich irgendwo, will man den Vergleich ziehen, zwischen
Junger Union, Freiburger Grünen und Jungen Liberalen – allesamt in ihren
Startblöcken mit den Hufen scharrend. Es gehe eben nicht so „steril“ zu wie
bei den beiden großen alten Parteien – „70 Prozent unserer Mitglieder waren
vorher nicht irgendwo anders organisiert“, so Sandrine Cossé, 51,
Yogalehrerin und eine der zahlreichen aktiven Unterstützerinnen während der
Wahlkampagne Macrons.
## Bewusst nicht gegen Le Pen
Die orientierte sich einerseits an den Kampagnen von Hillary Clinton und
Bernie Sanders in den USA und kam andererseits leicht verständlich und
sympathisch hausgemacht rüber.
Auffällig am Wahlabend und auch am Montag: Macron positioniert sich bewusst
nicht gegen Marine Le Pen, seine Konkurrentin im zweiten Wahlgang, sondern
stets nur für sein Projekt. Das machte seinen Diskurs, seine rund
zehnminütige Rede am Sonntag an „meine lieben Landsleute“ seltsam
oberflächlich, ja platt. Guillaume Gendron von Libération: „Er geht auf die
Bühne, gibt seiner Frau Brigitte ein Küsschen und erwähnt die Bedrohung
durch den Front National mit keinem Wort.“ Wie eine Art
„Verkaufsveranstaltung“ kam Gendron der Auftritt vor – Konkurrenten lasse
man eben einfach unter den Tisch fallen, „egal, wie ernst die Lage ist“.
Das habe es etwa 2002, wo die Wahl auf Jacques Chirac und Jean-Marie Le Pen
in der ersten Runde gefallen war, nicht gegeben. „Chirac machte keine
Party, er beschwor stattdessen den Zusammenhalt gegen den Front.“
Ob Macron es wirklich schafft in knapp zwei Wochen, am 7. Mai? Einige
Meinungsforscher in Frankreich warnen bereits vor einem
„Brexit-Trump-Remake“. Wirklich entschieden sei noch nichts, auch wenn
immer davon die Rede ist, dass es Marine Le Pen niemals gelingen werde,
mehr als höchstens 35 Prozent der WählerInnen für sich zu gewinnen.
Für die Parlamentswahlen im Juni will En Marche! in jedem Fall für alle 577
französischen Wahlkreise eigene Kandidaten aufstellen. Erst 14
BewerberInnen sind bis jetzt in der Öffentlichkeit bekannt – ein
sportliches Unterfangen, zumal Macron versprochen hat, dass 50 Prozent der
KandidatInnen aus der Zivilgesellschaft kommen und keine politische
Vorvergangenheit haben sollen. Außerdem sollen die Hälfte Frauen seien, was
bei der weiblichen Unterrepräsentation in der französischen Politik auf die
Schnelle kein leichtes Unterfangen sein dürfte.
## Es bleibt spannend
Mindestens 150 bis 200 Sitze braucht En Marche! in der Nationalversammlung.
Sonst wird es extrem schwierig für Emmanuel Macron, ohne ständige
politische Turbulenzen sein Projekt des neuen Frankreichs in Angriff zu
nehmen beziehungsweise sein Produkt weiter erfolgreich unter die Wähler
bringen zu können. „Wir müssen überzeugen und uns zusammenraufen, sonst
wird dieser erste Sieg Macrons auf ständige Zerwürfnisse in der Zukunft
hinauslaufen“, sagte am Montag die Macron-Überläuferin Marie-Anne
Montchamp, eine frühere republikanische Staatssekretärin.
Und der mit allen Wassern gewaschene Sozialist Manuel Valls, der die
Vorwahlen gegen Benoît Hamond verloren hatte und sich jetzt ebenfalls für
Macron ausgesprochen hat, vermeldete unlängst im Pariser Radio schneidig
gleich 70 derzeitige sozialistische Abgeordnete der Nationalversammlung,
die sich für En Marche! in die Bresche schlagen würden. Auf geht’s! Es
bleibt spannend im Hexagon.
24 Apr 2017
## LINKS
[1] /Auf-der-Wahlparty-von-Macron/!5403299
[2] /Praesidentschaftswahl-in-Frankreich/!5387743
## AUTOREN
Harriet Wolff
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