# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Frankreich: Kandidat der Klassenbesten | |
> Der unabhängige Bewerber Emmanuel Macron liegt in den Umfragen weit vorn. | |
> Seine Bewegung gilt als letztes Bollwerk gegen den Front National. | |
Bild: Kritiker weisen auf Macrons Narzissmus, unersättlichen Ehrgeiz und vage … | |
PARIS taz | Er ist jung – erst 39 Jahre alt – und liebt die Alten. Und die | |
lieben ihn. Ein philosophierender Exbanker. Ein Bürgerlicher aus der | |
Provinz, der sich als Kandidat der Vorstädte ausgibt. Ein Favorit fürs | |
Präsidentenamt, der nie gewählt wurde, aber immer der Macht nahe stand. | |
Einer, der Träume verkauft, indem er verspricht, den Status quo zu halten. | |
Er verkörpert den diskreten Charme der französischen Bourgeoisie, lackiert | |
mit einer Schicht angelsächsischer Moderne (das Geld und der hemmungslose | |
Individualismus). Ein Technokrat, der länger Mitarbeiter der | |
Rothschild-Bank als Mitglied der Sozialistischen Partei war. Ein Kandidat, | |
der von sich sagt, er sei „weder rechts noch links“, sondern ein Mann „der | |
Rechten wie der Linken“. | |
Ein Mann, der die Spaltung zwischen links und rechts durch die neuen | |
Teilung zwischen „Progressiven“ und „Konservativen“ ersetzen will, wäh… | |
die Hydra des Populismus überall in der Welt ihre Köpfe erhebt. | |
Zuerst hieß es, das Phänomen Macron wäre eine Medienblase. Ob es sich nur | |
um eine Blase handelt, erkennt man, wenn sie platzt. | |
## Musterschüler heiratet Lehrerin | |
Bisher hat die Implosion nur zu seinen Seiten stattgefunden – rechts von | |
ihm, rund um den amoklaufenden Fillon, links von ihm durch den Aufrührer | |
Hamon, der nun auf die Seite der Bosse gewechselt ist. Macron indes hat | |
beide in den Umfragen weit hinter sich gelassen – der Wahlkampf entwickelt | |
sich zu einem Zweikampf: Marine Le Pen gegen Emmanuel Macron. | |
Macron hat in vier Jahrzehnten mehrere Leben gelebt. Zunächst ist da der | |
hochbegabte Schüler aus Amiens, der Bücher verschlingt und glänzend Klavier | |
spielt, der Vater Neurologe, die Mutter Kinderärztin. Er besucht eine | |
Jesuitenschule, wo er seiner zukünftigen Frau begegnet. Brigitte Trogneux | |
ist seine Französischlehrerin. Sie sollen sich während eines | |
Theaterworkshops verliebt haben, trotz eines Altersunterschieds von mehr | |
als zwanzig Jahren. | |
Macron, damals 17, absolviert sein letztes Schuljahr am Lycée Henri IV in | |
Paris – um den Skandal zu vermeiden, aber auch, weil es die beste Schule | |
Frankreichs ist. Brigitte Trogneux lässt sich scheiden und heiratet ihn elf | |
Jahre später. Seither präsentiert er sich gern mit ihr, findet man das Paar | |
auf dem Titel von Paris Match. | |
In der französischen Psyche wird diese Liebesgeschichte wie ein Beweis | |
seiner Neigung zum Regelbruch wahrgenommen, eine Form des Widerstands, die | |
als unbedingt politisch gilt. | |
## Innerhalb weniger Jahre zum Millionär | |
Seine Bildungslaufbahn vollzieht sich in den vorgezeichneten Bahnen der | |
Eliten made in France. Studienvorbereitende Klassen, Scienco Po, das | |
renommierte Institut für Politikwissenschaft, ENA (Nationale Hochschule für | |
Verwaltung). | |
Als Macron die ENA abschließt, wird er zum Finanzdirektor im öffentlichen | |
Dienst bei der Inspection des Finances berufen. 2006 tritt er der | |
Sozialistischen Partei bei. Schnell schart er einen Kreis von Freunden um | |
sich, die trotz ihres Alters mehr Vertraute als Mentoren sind, darunter | |
Jacques Attali, Guru des französischen Neoliberalismus, und Jean-Pierre | |
Jouyet, einer der besten Freunde von François Hollande und Drahtzieher in | |
allen Ministerien. | |
2008 nimmt Macron eine Stelle bei der Rothschild-Bank an. Seine analytische | |
Intelligenz und Gewandtheit machen aus ihm einen gefürchteten Unterhändler. | |
Innerhalb weniger Jahre wird er Millionär. Nur als er seinen Besitz den | |
Behörden offenlegen soll, scheinen sich die Millionen verflüchtigt zu | |
haben. | |
## Blankoschecks für die Wirtschaft | |
Mit nur 34 Jahren wird er stellvertretender Generalsekretär im | |
Präsidentenpalast. Schnell erlangt er das Vertrauen Hollandes, er bekommt | |
bald den Beinamen „die rechte Hälfte“ des Élysée, weil er auf | |
Zugeständnisse und Steuererleichterungen für die Wirtschaft drängt. Er ist | |
verantwortlich für ein großes Reformpaket, das den Unternehmern einen | |
Blankoscheck ausstellt und den Arbeitsmarkt ankurbeln soll. | |
Er macht sich viele Feinde. Man wirft ihm vor, er habe Hollande bei seiner | |
Wahlkampagne 2012 dazu gedrängt, seine Forderung nach einer Regulierung der | |
Finanzmärkte zurückzunehmen. Andere weisen schon damals auf seinen | |
Narzissmus hin, seinen unersättlichen Ehrgeiz, seine vagen Überzeugungen. | |
Im Sommer 2014 verlässt er das Kabinett, liebäugelt mit einer Lehrstelle in | |
London oder Harvard. Zwei Monate später kehrt er in großem Stil zurück: als | |
Minister für Wirtschaft, Industrie und Digitales. Er macht sich daran, mit | |
seinem „Gesetz Macron“ die Wirtschaft zu liberalisieren, das die | |
Sonntagsarbeit erleichtert und den Markt für Busreisen öffnet. Weil die | |
Linke grummelt, wird das Gesetz ohne Abstimmung durch die | |
Nationalversammlung gepeitscht. | |
## „Systematisch verraten“ | |
Aber seine liberalen Vorstellungen passen nicht in das System Hollande. | |
Macron gründet im April 2016 seine Bewegung „En Marche!“, gibt im August | |
das Ministeramt auf und präsentiert sich im November als Kandidat für die | |
Präsidentschaftswahlen. Hollande, der nicht wieder antritt, sagt: „Macron | |
hat mich systematisch verraten.“ | |
Seine Bewegung stützt sich stärker auf seine Person als auf sein Programm – | |
es ist kein Zufall, dass das Kürzel EM zugleich die Initialen seines Namens | |
sind. Die Bewegung erhält immer mehr Zulauf. Im Februar 2017 hat sie | |
200.000 Mitglieder, mehr als die Sozialisten, aber der Beitritt ist | |
kostenfrei. | |
Er treibt Geld mit verstörender Leichtigkeit auf, in Frankreich, London | |
oder Berlin, weigert sich aber, die Namen der Spender zu nennen. Bei seinen | |
Versammlungen sind die Säle voll, auch wenn das exaltierte Geschrei im | |
Internet zunächst auf großen Spott stößt. Seither hat er sich einen | |
Gesangslehrer genommen, der seine Stimme schult. Er sagt, dass ein Programm | |
nicht das Herz einer Kampagne ist, dass es sich um eine „mystische“ | |
Angelegenheit handelt. | |
## Unterstützung aus allen Lagern | |
Im persönlichen Gespräch nimmt er die Haltung eines Adlers an, mit seiner | |
scharf geschnittenen Nase und dem fixierenden Blick. Er bricht immer wieder | |
Tabus der Linken, indem er Philippe de Villiers, den Anführer der | |
Rechtsextremen, in seinem Dorf besucht, oder sagt, man hätte die Gegner der | |
Homoehe nicht „demütigen“ sollen. | |
Seine Methode: Er greift die Ideen der Rechten auf scheinbar schlichte Art | |
auf, wenn er sagt, die jungen Leute hätten das Recht, davon zu träumen, | |
Milliardär zu werden, oder wenn er Gewerkschaftern erklärt, wer Anzüge | |
tragen wolle, müsse hart arbeiten. Nicolas Sarkozy nannte das | |
„Triangulation“ – das Überkreuzen von Argumenten von rechts wie von link… | |
Als Benoît Hamon mit seinem idealistischen Programm bei den Sozialisten die | |
Urwahl gewann, in dem er der Linken das bedingungslose Grundeinkommen | |
versprach, sieht Marcron, wie sich ein Weg für ihn öffnet. Wie ein Magnet | |
zieht er in diesem aufgeladenen politischen Kosmos Unterstützung aus allen | |
Lagern an. François Bayrou, der in ihm zunächst den Kandidaten „der Macht | |
des Geldes“ sah, hat sich ihm angeschlossen, wie auch der liberal-libertäre | |
Grüne Daniel Cohn-Bendit. | |
Nach Veröffentlichung seines Programms stellt sein ehemaliger Rivale Arnaud | |
Montebourg fest: „Macron, das bedeutet Sparen auf allen Ebenen, Kürzungen | |
bei den öffentlichen Ausgaben, Diener in Brüssel, Verneigung vor der | |
deutschen Rechten. Nichts Neues.“ | |
## Starr vor Angst vor dem Front National | |
Am vergangenen Wochenende, während Fillon allein vor einem halbvollen Saal | |
in Caen sprechen sollte, mussten die Organisatoren einer Versammlung | |
Macrons Hunderte von Menschen am Eingang zurückweisen. Wie jedes Mal. Im | |
Saal eine sehr heterogene Menge, alle Altersstufen. Ehemalige Sozialisten, | |
einige Rechte, viele gut situierte Angestellte und Beamte, die sich noch | |
nie politisch engagiert haben. | |
Alle sind starr vor Angst vor dem Front National, fürchten, dass das | |
europäische Ideal in Gefahr gerät. In den ärmlichen Wohngegenden schätzt | |
man Macrons Worte über positive Diskriminierung, seine Anpassungsfähigkeit | |
in Religionsfragen und den Flair des Erfolgs, der ihm anhaftet. | |
Es heißt, seine Bewegung sei die „Nuit debout“ der Trader. „Das stimmt so | |
nicht ganz“, sagt Jérôme Fourquet vom Meinungsfortschungsinstitut Ifop. | |
„Macron hat etwa 20 Prozent der Arbeiter und Angestellten auf seiner | |
Seite.“ In jedem Fall steht er für die Partei der Klassenbesten. „Das | |
Bildungsniveau entscheidet. Je höher der Abschluss, desto besser seine | |
Umfragewerte. Genau anders herum verhält es sich bei den | |
Front-National-Wählern.“ | |
## „Patriotin“ gegen den Kandidaten der Globalisierung | |
Fourquet glaubt, falls es zu einer Stichwahl zwischen Macron und Marine Le | |
Pen kommen sollte, wird Frankreich „ein perfektes Remake dessen erleben, | |
was man in Österreich, in den USA mit Trump und in Großbritannien mit dem | |
Brexit beobachten konnte. Die selben Zerwürfnisse wirken hier: das | |
Verhältnis zur Welt, zur Nation, zur Macht, zur Identität.“ Le Pen stellt | |
sich darauf schon ein. Sie hat vor, sich als „Patriotin“ gegenüber dem | |
Kandidaten der Globalisierung zu positionieren, der die Flüchtlingspolitik | |
Angela Merkels begrüßt hat. | |
Macron, Kandidat der Oligarchie, Einiger und Sammler, als die letzte | |
Bastion gegen den Populismus. Man bürdet ihm viel auf. Sein Programm, eher | |
liberal als libertär, führt weniger Werte an, als man ihm zuschreibt, ihm, | |
der zweimal in der Woche seine Meinung wechseln kann (über Cannabis oder | |
die Kolonialgeschichte zum Beispiel). | |
Frankreich hat schon einmal einen Rothschild-Banker gewählt, das war | |
Georges Pompidou, in der Zeit des Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg. | |
Das verängstigte Europa beobachtet Macron. Im Moment scheint er | |
durchzuhalten. | |
Übersetzung: Sabine Seifert | |
13 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Guillaume Gendron | |
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