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# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Frankreich: Die republikanische Front brö…
> Eine Allianz von links bis konservativ gegen Le Pens Front National war
> selbstverständlich. Jetzt ist dieser Konsens brüchig geworden.
Bild: Schweigen: Mélenchon gibt keine Empfehlung gegen Le Pen ab
Paris taz | Vor 15 Jahren ging eine Schockwelle durch Frankreich: Infolge
einer zersplitterten Linken hatte es Front-National-Gründer Jean-Marie Le
Pen in die Stichwahl um das Amt des Präsidenten der Republik geschafft –
gegen den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac. Vor dem zweiten
Wahlgang demonstrierten mehr als eine Million Menschen in Paris gegen den
Rechtsextremen. Und dank einer breiten Allianz von links bis konservativ
wurde Chirac mit 80 Prozent der Stimmen wiedergewählt.
Heute ist von einem solchen Bündnis wenig zu spüren. Zwar protestieren ein
paar hundert Sympathisanten der antirassitischen Initiative „SOS Racisme“
auf der Place de la République gegen Jean-Marie Le Pens Tochter Marine, die
jetzt für das Präsidentenamt kandidiert. Aber der große Schulterschluss,
der früher unter der Überschrift „republikanische Front“ fast als
selbstverständlich galt, wird sowohl von rechten als auch linken Verlierern
des ersten Wahlgangs infrage gestellt.
Trotz einer außerordentlichen Wahlkampagne mit einem beeindruckenden
Endspurt und einem mehr als beachtlichen Ergebnis von 19,6 Prozent ist es
Jean-Luc Mélenchon, dem Präsidentschaftskandidaten der linken Bewegung „La
France insoumise“ (Das unbeugsame Frankreich) nicht gelungen, in die
Stichwahl zu kommen, die am 7. Mai zwischen dem Linksliberalen Emmanuel
Macron und der Rechtsextremen Marine Le Pen ausgetragen wird.
Doch während der ebenfalls ausgeschiedene Konservative François Fillon noch
am Wahlabend seine Niederlage eingestand und in unzweideutiger Weise für
Macron als kleineres Übel Stellung bezog, will sich Mélenchon bis heute
nicht äußern. „Jeder und jede unter euch weiß, was bei bestem Wissen und
Gewissen die Pflicht ist, ich werde mich dem anschließen“, erklärte er
seinen Fans und Helfern bei seiner Wahlparty.
## Schockiert von Mélenchons Haltung
In einem Leitartikel fragt das Nachrichtenmagazin L’Obs mit bitterböser
Ironie: „Wo ist der Volkstribun geblieben? Der unermüdliche Rhetoriker? Der
wortreiche Redner der Wahlkampagne? Er ist, wie von einer Apathie
getroffen, stumm geworden.“ Das linksliberale Blatt, dessen Herz für Macron
schlägt, ist schockiert von der Haltung des „Unbeugsamen“, der mit seinem
Verzicht auf eine Wahlempfehlung den Eindruck erweckt, für ihn seien Macron
und Le Pen gleichermaßen übel.
Schon im Wahlkampf hatte Mélenchon seinen Anhängern prophezeit: „Mit denen
werdet ihr Blut spucken.“ Nun verschanzt er sich hinter einem
demokratischen Alibi: Die rund 450.000 eingeschriebenen Mitglieder seiner
Bewegung werden auf seiner Internet-Plattform JLM2017 befragt. Bis nächsten
Dienstag haben sie die Möglichkeit, sich zwischen einer Unterstützung für
Macron, einem leeren Wahlzettel oder einem Wahlboykott zu entscheiden.
Nicht vorgesehen ist immerhin ein Votum für Le Pen – aber Mélenchon hat
diese Möglichkeit auch nicht mit der nötigen Klarheit ausgeschlossen. Schon
zirkulieren Umfragen, denen zufolge rund 20 Prozent seiner WählerInnen vom
23. April in der Stichwahl der Rechtsextremen den Vorzug geben würden.
Mélenchons engste Mitarbeiter bemühen sich nun um Klarstellung. „Keine
einzige Stimme (von uns) darf an den Front National gehen“, so fast
beschwörend Mélenchons Sprecher Alexis Corbière auf einer Medienkonferenz.
Auch die Feministin Clémentine Autain, die mit ihrer Bewegung „Ensemble“
die Kandidatur von Mélenchon aktiv unterstützt hat, ist empört über die
„unerhörte Unterstellung“ in den Medien, der Verzicht darauf, zwischen
Macron und Le Pen einen Unterschied zu machen, nütze der Kandidatin des
Front National.
## Osmose zwischen Links- und Rechtspopulisten
Allerdings bestätigt Autain in ihrer Argumentation auch, dass es eine
Osmose zwischen links- und rechtspopulistischen WählerInnen geben kann:
„Wenn Le Pen nicht die 26 Prozent erreicht hat, die ihr noch vor ein paar
Monaten von den Umfragen vorausgesagt wurden, dann deshalb, weil Mélenchon
mit seiner Kampagne Wähler auf den Weg der menschlichen Emanzipation
zurückgebracht hat.“
Für Autain verkörpert Macron mehr als alle anderen das „System“, das sie
mit Mélenchon bekämpft hatte. Wie soll dessen Wählern erklärt werden, dass
sie nun dennoch für den Exbankier und -Minister stimmen sollen – und sei es
mit zugehaltener Nase, wie einst manche Linkswähler für Chirac 2002?
Die heutigen Berührungsängste haben ein politisches Motiv. Macron hat
selber den Grundstein dafür gelegt, indem er die Grenzen verwischt und
sagt, er sei „sowohl links wie rechts und in der Mitte“. Logischerweise
kann er nicht auf eine loyale Unterstützung aus dem einen oder anderen
Lager rechnen – sondern liefert im Gegenteil allen mindestens ebenso viele
Gründe zur Ablehnung.
## Gemeinsames demokratisches Kulturerbe
Nur galt der Widerstand gegen den FN bisher als gemeinsames demokratisches
Kulturerbe. 2002 hatte der um 15 Jahre jüngere damalige Sozialist Mélenchon
seine Landsleute beschworen, für den Gegner Chirac zu stimmen, um den
Todfeind der Republik, Le Pen, zu stoppen. Und dies ohne Gewissensbisse:
„Unsere republikanische Pflicht zu verweigern, weil uns das Mittel Übelkeit
verursacht, würde heißen, ein kollektives Risiko einzugehen, das
unvergleichlich schwerer wiegt als die individuelle Unannehmlichkeit.“
Das Mélenchon sich heute nicht in derselben Weise äußern mag, kann
zweierlei bedeuten: Entweder betrachtet er das Risiko Le Pen für geringer;
oder aber Macron stinkt für ihn so sehr, dass er lieber gar nicht wählen
geht, als für diesen zu stimmen. Schon hat der gescheiterte linke Kandidat
angekündigt, er werde seine persönliche Entscheidung für sich behalten.
27 Apr 2017
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
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