# taz.de -- Linke Demo in Paris: Die Stimme der Straße | |
> Ein Bündnis linker Organisationen ruft Frankreichs Hauptstadt zum Protest | |
> auf. Es geht um soziale Teilhabe und die Präsidentschaftswahl. | |
Bild: Youlie ist 32 jahre alt, arbeitet im öffentlichen Dienst und ist bei Att… | |
PARIS taz | Bei der Kellnerin in dem kleinen Restarurant „Frucht-Paradies“ | |
am Platz der Bastille in Paris liegen an diesem Samstag Nachmittag die | |
Nerven blank. „Sie dürfen hier jetzt nicht mehr Platz nehmen, gehen Sie | |
hinein“, herrscht die Bedienung Besucher an, die sich vor dem Lokal an den | |
Tischen niederlassen wollen. Hier finde gleich eine Kundgebung statt, der | |
extremen Linken, sagt sie. Die Präfektur habe angeordnet, dass alle Tische | |
und Stühle weggeräumt werden müssten. Als ein Mann im Vorbeigehen ruft | |
„Jetzt kommen sie!“ beginnt sie hastig, die letzten Sonnenhungrigen vor dem | |
Etablissement abzukassieren. | |
Derweil hat um den gesamten Platz herum ein stattliches Polizeiaufgebot | |
Stellung bezogen. Genauso wie einige Fernsehteams, die außer ihren Kameras | |
auch Helme tragen. | |
Schon kommt der Demonstrationszug in Sichtweite, der teilweise in | |
Rauchschwaden gehüllt ist und sich zweieinhalb Stunden zuvor vom Platz der | |
Republik aus in Bewegung gesetzt hat. „Solidarität, Solidarität“, brüllt | |
ein Mann, der auf der Ladefläche eines Kleintransporters steht. An einem | |
Gestänge des Fahrzeuges ist ein Transparent befestigt. „Sie haben das Geld, | |
aber wir haben die Leute“, ist darauf zu lesen. | |
Immer mehr Menschen schieben sich auf den Platz. Einige trommeln. Andere | |
schwenken Fahnen der den Kommunisten nahe stehenden Gewerkschaft CGT | |
(Confédération Générale du Travail) und der Neuen Antikapitalistischen | |
Partei (NPA) des linken Präsidentschaftskandidaten Philippe Poutou. Auch | |
die Bewegung „Picardie debout“ von Francois Ruffin ist mit dabei. Der | |
Journalist und Filmemacher, der im vergangenen Jahr die soziale Bewegung | |
„Nuit debout“ mit auf die Beine brachte, will im kommenden Juni bei den | |
Parlamentswahlen antreten. Es sind dies nur einige der rund 70 | |
Organisationen, die zu dem Marsch aufgerufen haben. | |
## Protest gegen das Wahlsystem | |
Am Rande des Platzes steht eine junge Frau. Um den Hals trägt sie ein | |
orangenes Plakat aus Pappe mit der Aufschrift: „1. Sozialrunde. Auf dass Du | |
morgen die Stimme der Straße hörst. 22. April 2017.“ | |
Youlie ist 32 jahre alt, arbeitet im öffentlichen Dienst und ist bei Attac | |
aktiv. „Wir lassen uns von den Präsidentenwahlen nicht unseren Kalender | |
diktieren. Heute geht es darum zu zeigen, dass wir sichtbar sind, unseren | |
sozialen Kampf fortsetzen und den Druck der Zivilgesellschaft aufrecht | |
erhalten“, sagt sie. Sie sei gegen das Wahlsystem. Die Franzosen wählten | |
einen Repräsentanten, der dann aber das Volk nicht repräsentiere. „Das | |
alles ist doch nur Theater. Wir leben in der Illusion, eine Rolle zu | |
spielen, die wir gar nicht haben. Laut Verfassung ist das Volk der | |
Souverän, in Wahrheit sind es die Oligarchen, die an der Macht sind“, sagt | |
Youlie. Am Sonntag will sie ihre Stimme dem Linken Jean-Luc Mélenchon | |
geben. Zumindest er sei seinen Prinzipen immer treu geblieben. | |
Ihr Telefon klingelt ununterbrochen. Auf der Rückseite des Smartphones | |
klebt ein Sticker mit der Zeichnung einer Unterhose und dem Spruch: „Un | |
slibard, c`est pas du caviar“, was soviel bedeutet wie: Ein Slip ist kein | |
Kaviar. | |
## „Operation Slip“ | |
Youlie lacht. Diese Aktion namens „Operation Slip“ habe sie Ende Dezember | |
vergangenen Jahres mit Gleichgesinnten vor einem großen Pariser Kaufhaus | |
durchgezogen. Dort hätten sie die Passanten um eine Ein-Euro-Spende | |
gebeten, um für Flüchtlinge Unterwäsche kaufen zu können. Denn die gebe es | |
ja nun mal nicht gebraucht. „Ich bin eigentlich reich, muss nicht hungern, | |
habe ein Dach über dem Kopf und kann mir auch mal einen Urlaub leisten“, | |
sagt Youlie. „Da kann ich doch auch einen Teil meiner freien Zeit anderen | |
Menschen widmen.“ | |
Sie lässt ihren Blick über den etwas spärlich gefüllten Platz schweifen. | |
Doch mehr Teilnehmer werden es an diesem Tag nicht. Die Zahl 2000 macht die | |
Runde, was wie Youlie sagt, so schlecht nun auch wieder nicht sei. | |
Gegen 17.30 Uhr beginnt die Menge sich zu zerstreuen. Aus Lautsprechern | |
ertönt die Internationale. Auch Eliane Faintrenie verabschiedet sich von | |
ein paar Bekannten. Die 67-Jährige hat als Sozialarbeiterin psychisch | |
Kranke betreut, ist seit drei Jahren in Rente, bei Attac und in der | |
Flüchtlingshilfe aktiv. | |
In ihrer Jugend, erzählt Elian Faintrenie, sei sie Anhängerin der | |
Trotzkisten gewesen und habe in der ersten Runde immer extrem links | |
gewählt. Dieses Mal will sie dem „Arbeiterkandidaten“ Philippe Poutou ihre | |
Stimme geben, in der Stichwahl jedoch keinen Kandidaten ankreuzen. | |
„Mélenchon, das ist ein Volkstribun mit autoritären Tendenzen. Wenn er die | |
Wahlen gewinnt, dann muss man ihn einhegen. Wer wie er derart die Massen | |
manipulieren kann, da muss man höllisch aufpassen“, sagt sie. Faintrenie | |
beunruhigen vor allem die Arbeitslosigkeit, eine wachsende soziale | |
Ungleichheit und Bestrebungen, öffentliche Einrichtungen, wie | |
beispielsweise die Post, zu privatisieren. | |
Auf die überschaubare Anzahl von Teilnehmern an diesem Nachmittag | |
angesprochen sagt sie, es sei schwierig, die Menschen zu mobilisieren. Auch | |
deshalb sei sie heute hier. „Um zu zeigen, dass wir da sind, dass es eine | |
Dynamik gibt.“ Sie fixiert ihr Gegenüber mit einem angriffslustigen Blick. | |
„Keine Sorge, wir lassen nicht locker.“ | |
23 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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