# taz.de -- Kommentar Wahl in Frankreich: Nur ein Stern im Viergestirn | |
> Europa ist das eigentliche Thema dieser Wahlen. Von den vier Favoriten | |
> hat allein Emmanuel Macron dazu die richtige Einstellung. | |
Bild: Bei ihm wird die EU-Flagge noch hochgehalten: Präsidentschaftskandidat E… | |
In Frankreich stehen nach 70 Jahren Frieden die Stabilität und die Zukunft | |
Europas auf dem Spiel. Tatsächlich ist dies das große Thema dieser Wahl: | |
Von den elf Kandidaten sind zehn Europa gegenüber gleichgültig, skeptisch | |
oder gar feindlich eingestellt. Tatsächlich steht einzig Emmanuel Macron, | |
Kandidat der Mitte, für ein europäisches Engagement ohne Bedingungen und | |
Vorurteile. Das ist wenig. | |
Die extremistischen Kandidaten Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon, die | |
beide gegen eine europäische Verfassung kämpften, sind sich in puncto | |
Euro-Austritt einig, auch wenn nur eine Minderheit ihrer Wählerschaft einen | |
solchen Bruch begrüßt. Sicher möchte Mélenchon nicht mit Gewalt alle | |
Brücken abreißen: Einer napoleonischen Idee folgend, will er den Partnern | |
zunächst eine kommunitaristische Konstruktion vorschlagen, um dann – im | |
Falle eines vorhersehbaren Scheiterns – die EU zu verlassen. | |
Aber die geopolitischen Umwälzungen, die Mélenchon und Le Pen vorschweben, | |
gehen weiter. Beide wollen die Nato verlassen, der neo-kommunistische | |
Kandidat will gar alle Beziehungen zu IWF, Weltbank, OECD und natürlich der | |
vermaledeiten Welthandelsorganisation abbrechen und dabei noch sämtliche | |
Handelsabkommen aufkündigen, um einen „intelligenten Protektionismus“ | |
einzuführen – ein nebulöses Konzept, das glauben machen soll, | |
Handelspartner würden französische Erzeugnisse kaufen, während wir die | |
ihren ablehnten. | |
Le Pen wie Mélenchon wünschen allerdings keine komplette Isolation | |
Frankreichs, sondern eine Allianz mit Putins autokratischem Russland, mit | |
dem sie die Grenzen Osteuropas (Ukraine, Rumänien, Baltikum) und im | |
Kaukasus (Georgien) neu verhandeln wollen. Mélenchon will gar der | |
bolivarianischen Allianz beitreten, die so demokratische Länder wie | |
Venezuela oder Kuba zu ihren Mitgliedern zählt und die den Iran und | |
Russland als Beobachter zulässt. Diese Faszination für den Isolationismus | |
und den Antiamerikanismus – obwohl deren aktueller Präsident manche | |
Obsession mit Le Pen und Mélenchon teilt – wird glücklicherweise nicht | |
mitgetragen vom Kandidaten der republikanischen Rechten, François Fillon, | |
wenngleich auch er von Putin fasziniert ist. Obwohl Fillon 1992 gegen den | |
Vertrag von Maastricht stimmte, stellt er aber immerhin nicht die | |
Zugehörigkeit Frankreichs zu EU und Nato infrage. | |
Dafür scheint seine Vision von Europa den 1960er Jahren zu entspringen, als | |
das Abendland die Welt dominierte und Frankreich die Europäische | |
Gemeinschaft, damals lediglich Handels- und Landwirtschaftsunion. Dass er | |
auf einer zentralen Rolle des Europäischen Rats beharrt, obwohl es die | |
längst gibt, zeigt, dass er keinerlei Bewusstsein für das institutionelle | |
Gleichgewicht hat – und dass die Probleme der EU als Gemeinschaftskonstrukt | |
vor allem der zu großen Vorherrschaft nationaler Interessen geschuldet | |
sind. Was Fillon tatsächlich umtreibt, ist der Wunsch, Frankreich möge | |
seine Rolle als Führungsmacht wiedererlangen, obwohl Europa und die Welt | |
sich völlig verändert haben. | |
In diesem Viergestirn hat als einziger Emmanuel Macron verstanden, welchen | |
Herausforderungen sich die EU stellen muss. Er hat Europa ins Zentrum | |
seiner Kampagne gerückt und die Heldentat vollbracht, der europäischen Idee | |
Applaus zu bescheren. Letzteres kam seit der Europa-Kampagne von Daniel | |
Cohn-Bendit 2004 nicht mehr vor, der sich nun wenig überraschend Macron | |
angeschlossen hat. Beunruhigend ist, dass er nur weniger als ein Viertel | |
der Wähler repräsentiert. Das zeigt, dass die etablierte Meinung, so oft | |
angeprangert durch Demagogen aller Art, nicht länger europhil ist, sondern | |
bestenfalls euroskeptisch. | |
Man hat in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten ignoriert, dass | |
Frankreich, obwohl Gründungsmitglied, ein echtes Problem mit seiner | |
Beziehung zur Europäischen Union hat, genau wie Großbritannien. Es scheint, | |
als schafften es die zentralisierten Länder – allesamt ausgestattet mit | |
einer unermüdlich drängelnden Exekutive – nicht, ihren Platz in einem | |
föderalen Ensemble zu finden, in dem starke Gegenkräfte wirken. | |
Frankreichs Partner, allen voran Deutschland, müssen das verstehen. Und sie | |
müssen jetzt ihren Part übernehmen bei der nötigen Korrektur dieses | |
bedrohlichen Ungleichgewichts. Denn das europäische Gebilde erschien noch | |
nie so zerbrechlich wie jetzt. | |
Jean Quatremer, 59, ist EU-Korrespondent der Libération. Sein aktuelles | |
Sachbuch „Les salauds de l’Europe“ erschien im März bei Calman Levy. | |
21 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Jean Quatremer | |
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