# taz.de -- Konservative vor der Wahl in Frankreich: Im Zweifel rechts | |
> Der skandalumwitterte François Fillon hat in den wohlhabenden Gegenden | |
> von Paris und Versailles treue Fans. Was machen sie, wenn er ausscheidet? | |
Bild: Wie enttäuscht werden diese WahlherlferInnen sein, falls Fillon nicht in… | |
Paris/Versailles libé | Es gab schon schlimmere Tage in diesem Wahlkampf. | |
Er wurde beschimpft und fast schon körperlich angegangen. Der Mann steht an | |
einer der großen Prachtstraßen des 16. Arrondissement von Paris, an der | |
Ampel am Eingang des Marché d’Iéna. Fünfzig Jahre ist er alt, graumelierte | |
Schläfen, Daunenweste. Seinen Namen will er nicht verraten. „Ich bin im | |
gehobenen Dienst“, sagt er, „ich will keinen Ärger.“ | |
Würde man den Kopf heben, könnte man ihn und die anderen Wahlkämpfer schon | |
von Weitem sehen, mit ihren blau-weiß-roten Flyern in der Hand. Aber die | |
Passanten nehmen sie erst im letzten Moment wahr. Es bleibt ihnen eine | |
Sekunde, um das Kandidatenporträt wahrzunehmen und sich zu entscheiden: | |
Nehm ich ihn? Oder nicht? Auf dem Flyer ist der Kopf von François Fillon | |
abgedruckt. | |
An diesem Samstag versucht es der Wahlkämpfer mit Humor. | |
„En marche für Fillon, Monsieur!“ – Augenzwinkern, es ist eine Anspielung | |
auf das Motto des Konkurrenten Emmanuel Macron. „Nee, nee, nee.“ Der | |
Angesprochene guckt säuerlich. „Ach, Sie wählen Macron? Sind Sie | |
Finanzbeamter?“ – „So, so! Nach ihrer Meinung wählen alle Finanzbeamten | |
Macron! Und alle Juden wohl auch!“ | |
Die Stimmung ist gekippt. Der Mann – er ist Ingenieur, kein Banker – wirft | |
Fillon vor, nach den Ermittlungsverfahren sein Wort gebrochen zu haben. | |
„Niemand ist perfekt“, erwidert stammelnd der Wahlkämpfer, „Moral ist was | |
für Priester.“ Hinterher wird er sagen: „Die Leute hier machen viel | |
Aufhebens. Sie sind nicht glücklich über das, was Fillon gemacht hat. Sie | |
schimpfen, aber sie werden zurückkommen. Fillon ist ihr ureigenster | |
Kandidat.“ | |
## Fillon ist trotz allem der richtige Mann | |
Fillon wird Korruption vorgeworfen. Er soll seine Frau als Assistentin | |
angestellt haben – bezahlt mit öffentlichen Geldern. Sie soll über die | |
Jahre Hunderttausende Euro überwiesen bekommen haben, ohne wirklich dafür | |
zu arbeiten. Auch seinen Kindern soll Fillon, der immer als katholischer | |
Saubermann galt, auf ähnliche Weise Staatsgelder verschafft haben. Als | |
dieser Vorwurf Anfang des Jahres öffentlich wurde, stürzte der Kandidat der | |
Republikaner, der mit einem Bein schon in der Stichwahl stand, in der Gunst | |
der Wähler rapide ab. | |
Auch an diesem Vormittag gibt es ein paar böse Rufe: „Betrüger!“, „Dieb… | |
Trotzdem hat der Wahlkämpfer nicht unrecht. Hier, im 16. Arrondissement von | |
Paris, hat Fillon seine treuesten Unterstützer, es ist das Kernland der | |
Konservativen. Nicolas Sarkozy hat 2012 hier im ersten Wahlgang um die 65 | |
Prozent der Stimmen geholt. Und hierher, zwei Schritte von der Place du | |
Trocadéro entfernt, kam Fillon, als die Lage unruhig wurde. Er wollte | |
seinen Leuten zeigen: Ich halte durch. | |
Spricht man nun mit seinen – meist älteren – Anhängern, zeigen sie sich | |
zunächst beschämt; was sie in der Presse lesen mussten, hat ihnen keine | |
Freude bereitet. Aber wichtiger sind ihnen „die kommenden | |
Herausforderungen“, „der Machtwechsel“, „die französischen Interessen�… | |
für all das, davon sind sie überzeugt, ist Fillon der richtige Mann, trotz | |
allem. | |
„Wer rechts ist, wählt rechts“, sagt Gérard, um die 70 und pensionierter | |
Jurist, eine Einkaufstüte am Arm. Auch er war enttäuscht von Fillon. Aber | |
gibt es eine Alternative? „Macron ist der ewige Kompromiss. Die | |
Vermögensteuer abzuschaffen, das traut er sich nicht.“ Patrick hingegen, | |
Apotheker in Rente, seufzt viel. „Wir sind verunsichert“, sagt er. „Wir | |
haben im Freundeskreis viel darüber geredet. Ich warte darauf, was die | |
Justiz sagen wird, ich kenne die Aktenlage nicht. Aber was will man machen, | |
er ist der Einzige, der Mut beweist; der Einzige, der vom Arbeitsmarkt und | |
von dem Schuldenberg spricht.“ Patrick fängt sich wieder: „Ich zum Beispiel | |
habe drei sehr fleißige Kinder und sieben Enkel.“ Das muss als Argument | |
genügen. | |
## Witzfigur Macron | |
Nur, was ist, wenn Fillon am 23. April rausfliegt und es nicht in die | |
Stichwahl schafft? Nach den derzeitigen Umfragen ist das gut möglich. | |
Patrick wird in der zweiten Runde nicht Le Pen wählen, dafür mag er Europa | |
zu sehr. Freunde von ihm aber schon. Und auch eine Stimmenthaltung könnte | |
am Ende Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National nützen. | |
Marie war am Trocadéro, als Fillon seine Rede hielt, „das war großartig“. | |
80 Jahre ist sie alt, eine schwere Brosche hält ihr Halstuch zusammen, ihr | |
Dutt sitzt perfekt, sie hat sich schick gemacht für den Ausflug auf den | |
Markt. Sie bezeichnet sich als „konservative Rechte“. Im Falle eines Duells | |
Macron gegen Le Pen wird sie nicht abstimmen. Schon gar nicht für Macron, | |
für sie ist er eine Witzfigur. „Haben Sie ihn gesehen, im Fernsehen, wie er | |
mit den Armen gefuchtelt hat? Wie so ein Spinner.“ Die meisten hier sind | |
sich einer Meinung: Man hat Fillon übel mitgespielt. | |
Sonntagmorgen in Versailles. Hier befindet sich eine der Hochburgen der | |
„Manif pour tous“, einer Massenbewegung gegen die Homo-Ehe. Fillon war hier | |
eindeutiger Sieger der Vorwahlen, in fast allen Wahllokalen holte er eine | |
absolute Mehrheit. Auch der Christdemokrat Jean-Pierre Poisson gewann hier | |
11 Prozent der Stimmen, frankreichweit brachte er es gerade einmal auf 1,5 | |
Prozent. | |
Vor einer Kirche haben Pfadfinder einen Kuchenstand aufgebaut, um ihre | |
Ferienfreizeit in der Auvergne zu finanzieren. Nach der Messe trifft man | |
hier auf Fabien Bouglé, einen Kommunalpolitiker und fanatischen Gegner der | |
Homo-Ehe. „Hier wurde Ludwig XVI. getauft, hier hat die Revolution | |
begonnen. Versailles, das ist das Frankreich der Kathedralen und der | |
Sansculotten!“ Es klingt so, als lebe er ein ganzes Stück in der | |
Vergangenheit. | |
## „Ein verkappter Sozialist“ | |
Hier träumen sie davon, Macron zu stürzen, bevor er überhaupt ins Amt | |
gekommen ist, diesen „Sohn Hollandes“. Gemeint ist: der Ziehsohn des | |
jetzigen sozialistischen Präsidenten. Einige hier haben eine spezielle | |
Auffassung von taktischem Wahlverhalten: Sie schwanken zwischen Le Pen und | |
Fillon, werden aber wohl eher den rechtskonservativen Kandidaten wählen; | |
mit ihm sind die Aussichten besser, Macron zu verhindern. | |
Anne, 55 Jahre, Verkaufsberaterin, hat in der Vorwahl für Poisson, dann | |
Fillon gestimmt. In Macron sieht sie ein einziges Grauen: „Ein verkappter | |
Sozialist, ein Banker mit Linksdrall. Er ist steinreich und spielt den | |
Tugendhaften! Es sind schon wieder diese wohlfeilen Sozialisten, die uns | |
etwas von der Moral erzählen.“ Fillon, sagen seine Anhänger, hat als | |
Einziger das Zeug zum Präsidenten. Er war ja auch schon Premierminister | |
unter Sarkozy und davor Minister in verschiedenen Kabinetten. | |
„Fillon wird die Leute in Lohn und Brot bringen“, glaubt Philippe, der | |
beruflich mit mittelständischen Betrieben zu tun hat und gerade vom Joggen | |
kommt. Ihm geht es nicht um den Kandidaten als Person, sondern um das, was | |
dahintersteht. „Fillon ist mir egal“, sagt er, „Ich. Will. Ein. | |
Konservatives. Programm.“ Die Umstehenden stimmen zu. „Fillon hatte die | |
Finger im Honigtopf, aber der Topf war offen“, sagt Gonzague, um die 50, | |
Projektleiter einer Bank. | |
Fillon wollen sie vergeben. „Er ist kein Heiliger, er ist ein Sünder, wie | |
die anderen auch“, sagt Anne. Ihre Worte erinnern an Fillons Satz aus dem | |
Februar: „Man will, dass ich ein Heiliger bin, aber ich bin ein Mensch.“ | |
## Sie sprechen nicht davon, Le Pen zu wählen | |
Sollte er nicht in die zweite Runde einziehen, dann wäre Anne derart „in | |
Rage“, sie würde zum ersten Mal in ihrem Leben Le Pen wählen. „Es ist so | |
weit, ich habe keine Komplexe mehr.“ Familien in Sonntagsaufzug und kleine | |
Gruppen Senioren kommen die Kirchentreppe herab, es entbrennt ein kleines | |
Wortgeplänkel: „Ihr Linksliberalen, ihr denkt, dass die Migranten uns | |
nichts angehen. Aber wir können nicht das ganze Elend der Welt bei uns | |
aufnehmen.“ Oder: „Wenn der FN nicht zur Republik gehört, soll man ihn eben | |
verbieten. Das ist Heuchelei.“ | |
Manche sagen „Marine“, wenn sie vom FN sprechen. Um nicht Le Pen zu sagen, | |
weil das klingt wie ihr Vater. Und dann sagt einer: „Sie unterschätzen die | |
Wut der echten Leute.“ | |
In diesem Einkaufsviertel, wo Modeketten und Luxusjuweliere ihre Geschäfte | |
haben, hat man den Eindruck, dass diese „echten Leute“ recht gut leben. Sie | |
reden hier und da von Kürzungen beim Kindergeld und Steuererhöhungen, und | |
das, „obwohl es zwei Flüchtlingscamps gibt“ im Département gibt, sie reden | |
über Attentate und den Pfarrer von Saint-Étienne-du-Rouvray, der von | |
IS-Anhängern ermordet wurde. | |
Gonzague wird rechts wählen am 23 April. Er ist Fillonist, „und noch | |
entschiedener, seit er all diese Schwierigkeiten hat.“ Im zweiten Wahlgang | |
könnte er für Le Pen stimmen. „Was Wirtschaftsfragen anbelangt, bin ich | |
nicht mit ihr einverstanden. Aber ich sehe nichts Falsches darin, die | |
französische Kultur erhalten zu wollen.“ „Psst“, sagt seine Frau neben i… | |
Man dürfe es nicht laut aussprechen, für Le Pen zu stimmen zu wollen. | |
Schließlich dürfte die Parteiführung der Republikaner bei einer Stichwahl | |
ohne Fillon dazu aufrufen, Macron zu wählen. Sie sprechen hier also nicht | |
davon, dass sie Le Pen wählen würden. Aber im Zweifel werden sie es tun. | |
Laure Equy, 34, ist Innenpolitik-Redakteurin der Libération | |
21 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Laure Equy | |
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