# taz.de -- Eröffnung im Schwulen Museum in Berlin: Meine lesbischen Schwestern | |
> Den Vorkämpferinnern der frühen siebziger Jahren ist die großartige | |
> Ausstellung „Radikal – lesbisch – feministisch“ gewidmet. | |
Bild: Frauenfest Tarantel, Berlin-Kreuzberg 1974, mit den Flying Lesbians | |
Wenn sie erzählt von alten Zeiten, bekommt ihr Gesicht ein leichtes | |
Strahlen, ihre Augen scheinen zu lächeln, als sei das, was sie gerade | |
erinnert, sehr lange her. Und das ist es ja auch: Christiane Härdel weiß, | |
wie es war, damals, Anfang der siebziger Jahre in Westberlin, als es | |
richtig losging mit dem Lesbischen. Sie, heute in den frühen Siebzig, aber | |
extrem frisch im Kopf, ja, wenn ich das als Freund sagen darf, fast | |
teenagerhaft lebendig in so gut wie allem, sie hat noch viel vor. | |
Unter anderem, das muss hier berichtet werden, kuratierte sie mit anderen | |
lesbischen Frauen, Dr. Regina Krause, Monne Kühn und dem erfahrenen | |
Schwules-Museum*-Mann Wolfgang Theis eine Ausstellung, die Donnerstag ihre | |
Vernissage hat. Titel: „Radikal – lesbisch – feministisch“, oder wie es… | |
der Unterzeile des historisch orientierten Projekts lapidar heißt: „Zur | |
Geschichte des Lesbischen Aktionszentrums (LAZ) und der HAW-Frauengruppe, | |
1972–1982“. | |
Was mich, als schwuler Mann, der ich bin seit meinem Coming-Out 1977, | |
besonders interessiert, was meinen Blick vorfreudig stimmt, ist vor allem | |
dies: dass ich mehr von dem erfahre, was meine lesbischen Geschwister | |
damals machten. Wie es unter männlichen Homos war – geschenkt. Das weiß man | |
natürlich irgendwie, auch, weil man dabei war. Eine Zeit vor Jahrzehnten, | |
als CSD noch für ein Kürzel aus der chemischen Welt gehalten werden konnte, | |
als ein unverstecktes öffentliches Dasein Homosexuelle*r noch sehr viel | |
Courage nötig hatte. | |
Aber wenn Christiane Härdel erzählt, wie es denn war, dieser Aufbruch, dann | |
höre ich ihr zu, als blätterte sie eine sehr unbekannte Seite der | |
Familienchronik auf, von der zu erfahren man doch immer hoffte. | |
## Das Lesbische als terra incognita | |
Denn das Lesbische, von schwuler Warte aus gesehen, war immer eine terra | |
incognita, ein unbekanntes Terrain: Wir als männliche Homosexuelle, die wir | |
selbst erst die Vergiftungen durch Paragrafenverfolgung, durch | |
Diskriminierungen, von denen heute niemand ahnt, wie schroff die sein | |
konnten, hinter uns lassen mussten, waren aus ihrer lesbischen Welt raus. | |
Nicht am Anfang, nicht in politischer Hinsicht. Die ersten Lesben, so wird | |
zu erfahren sein, kamen auch zur Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW), wie | |
die Männer, die später unter diesem Dach Theoriestreits ausfochten. Sie | |
nannten sich zunächst „schwule Frauen“ – das Worte Lesbe war noch nicht … | |
populär. | |
Irgendwann trennten sich die Wege, mussten sie sich womöglich scheiden. | |
Schwule Männer, eben auch: Männer, dominierten diese HAW in jeder Hinsicht, | |
durch Präsenz, durch Frauen erdrückende Präsenz. Diese Frauen, sie hatten | |
keinen Raum, der sie vor männlicher Macht schützte – und um sich nicht als | |
Opfer schlechthin zu empfinden, um sich selbst als Lesben selbst zu | |
ermächtigen, brauchte es Distanz. Abstand zur HAW eben. | |
Manche, aber wirklich nur einige wollten gar aus dem Dunstkreis der „Warmen | |
Brüder“ raus, es schmeckte bei ihnen allzu oft nach Strafparagrafen, man | |
wollte nicht in schlechten Ruf kommen. Aber das waren nicht die politischen | |
Lesben, nicht die vom LAZ oder der HAW. | |
Jedenfalls gründete sich schließlich das Lesbische Aktionszentrum aus den | |
Aktivitäten der HAW heraus – und so segelte man hinfort unter lesbischer | |
Flagge einerseits, andererseits auch unter dem Theoriefirmament des | |
Feminismus. | |
Diese Geschichte von Nähe geschwisterlicher Weise und Trennung auf | |
familiäre Art wird in dieser Ausstellung liebevoll erzählt – in | |
sorgfältiger Auswahl der Exponate, von denen viel aus privaten Quellen | |
kommt. Es werden zur Eröffnung natürlich toute Berlin präsent sein, wer als | |
geschichtsbewusste und politisch nicht völlig queeresoterisch-verblendete | |
und postsäkulare Person Lesbe auf sich hält, muss da hin. | |
Man möchte es kaum betonen müssen, doch es wird auch für schwule Männer | |
sehr viel zu bestaunen, zu lernen und zu erkennen sein. Typisch wäre das | |
nicht: Die weiblichen Geschwister der Homofamilie gehen zu den Events ihrer | |
schwulen Angehörigen eher selten, umgekehrt gilt dies fast noch mehr: Das | |
muss sich ändern, die Zeiten sind ja nicht danach, dass man sich solcherart | |
Separatismus noch erlauben könnte. | |
Es sind, so sagt es Christiane Härdel, Zeiten, die keine politischen | |
Spielchen mehr erlauben, Jahre, in denen es nicht mehr darauf ankommt, | |
Stürmchen in den Wassergläsern der eigenen Nische zu entfalten. Sie, die | |
als Ärztin lange arbeitete und im Ruhestand, man möge mir diese | |
Binsenvokabel verzeihen, zu einem Unruhestand fand, in dem sie unter | |
anderem sehr energisch die Absicht hegt, das Projekt | |
„Elberskirchen-Hirschfeld-Haus – Queeres Kulturhaus Berlin“ zu | |
verwirklichen, will diese Abgeschiedenheit, dieses Getrennte von Lesbischem | |
und Schwulem überwinden. | |
## Ein Haus als queerer Leuchtturm | |
Ihr Glanzprojekt ist ein Haus aller lesbischen, schwulen, feministischen | |
und Trans*archive, ein munteres, der Öffentlichkeit leidenschaftlich | |
zugewandtes Haus, das ein „Queerer Leuchtturm“ sein möge, ein Projekt als | |
Statement, als souveräne Geste sehr im Geiste der Ahneltern Johanna | |
Elberskirchen und Magnus Hirschfeld, die ja beide nicht so sehr für | |
Sektierertum standen. | |
Womit man schon zum Heutigen kommt. Wir dürfen nicht hinter die Aufklärung | |
zurückgehen, sagt Christiane Härdel. Programmatisches im Schwulen Museum*, | |
das sich der religiösen Spökenkiekerei widmet, der Liebe zum Religiösen und | |
der damit einhergehenden Absage an kühle, rationale und politisch | |
vermittelbare Perspektiven lesbischer und schwuler Anliegen im Politischen | |
wie Kulturellen, lehnt sie mit gruseligem Schauer ab. Sie setzt auf | |
Kooperation und weiß sich in ihren Kreisen sicher, dass das Lesbische immer | |
mitgesehen wird. | |
Und mehr noch: Lesbische Sichtbarkeit, zumal im sogenannten Jahr der Frau, | |
das für 2018 ausgelobt wurde, ist doch bitte auch für schwule Männer kein | |
Grund, in beleidigte Stimmung zu geraten. Es ist wichtig, darf man anfügen, | |
dass die „queere“ Familie sich gegenseitig respektiert und voneinander | |
lernt. Einander zuhört. Und die historischen Leistungen etwa der Lesben, | |
die das Lesbische Aktionszentrum zur Welt brachten, von Herzen würdigt. | |
Diese Ausstellung verdient mehr als Aufmerksamkeit. Eher: Liebe, allen | |
lebensweltlichen Differenzen zum Trotz. Solidarität geht ja nur, wenn man | |
sich kennt. Anders gesagt: besser kennenlernt. Ein Besuch im Schwulen | |
Museum*, das durch diese Ausstellung lesbisch wird, eignet sich hierfür | |
perfekt. | |
Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
5 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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