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# taz.de -- Umsetzung der Fahrverbote für Diesel: Die Straße der Sieger
> Hamburg führt das Fahrverbot ein. In zwei Straßen. Mit vielen Ausnahmen
> und schlechten Kontrollen.
Bild: Schnell, laut und dreckig ist es auf der Stresemannstraße in Hamburg
Auf dieser Straße stockt einem der Atem. In der Stresemannstraße in
Hamburg, einer vielbefahrenen vierspurigen Bundesstraße, lernt man, wie
Diesel riecht. 33.000 Autos zwängen sich hier derzeit durch, Tag für Tag.
Um schnell wieder durchatmen zu können, treten Radfahrer in die Pedale,
Fußgänger gehen im Schnellschritt. Nur die Autofahrer tippen auf die Bremse
– zwei Blitzer disziplinieren sie. Die „Strese“, wie man in Hamburg sagt,
ist so etwas wie eine verlängerte Autobahn in die City. Wenn die Lastwagen
auf ihr von der A 7 Richtung Innenstadt fahren, wackeln in den Altbauten
die Wände, Gläser klirren im Schrank.
Deshalb wird es hier ab Ende April „Durchfahrtsbeschränkungen“ für Diesel
geben. So nennt das jedenfalls Jens Kerstan. Hamburgs grüner Umweltsenator
vermeidet das böse Wort von den „Fahrverboten“ offiziell – mit Rücksicht
auf seinen Koalitionspartner und Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der lange
betont hatte, Fahrverbote seien in Hamburg nicht nötig.
Möglich sind sie seit einem [1][Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
Dienstag] und Hamburg ist die erste Stadt, die das Urteil umsetzt: Die
Schilder sind bereits bestellt. Betroffen ist neben der Stresemannstraße
auch die Max-Brauer-Allee, beide im Stadtteil Altona.
Etwa 20 weitere Städte in Deutschland dürften bald die älteren Diesel
rausschmeißen – auch wenn die Bundesregierung noch so sehr betont, Verbote
seien nicht die einzige Möglichkeit, die EU-Grenzwerte für Stickoxide zu
erreichen.
## Gelbe Blätter, rote Augen
Stickstoffdioxid führt bei Pflanzen zu gelben Blättern, beim Menschen zu
geröteten Augen und Herz-Kreislauf-Problemen. Besonders leiden Asthmatiker
und Senioren. Die Europäische Umweltagentur macht die Luftschadstoffe für
13.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verantwortlich – allein in
Deutschland. Und: Etwa zwei Drittel aller Stickstoffdioxid-Emissionen im
Straßenverkehr stammen vom Diesel.
Deshalb wird die „Strese“ demnächst für alle Lastwagen, die die Euro-6-No…
nicht erfüllen, gesperrt, die Max-Brauer-Allee auch noch für alle
entsprechenden Pkw. Eine harte Maßnahme, aber letztlich will das
Bundesverwaltungsgericht mit den durch sein Urteil ermöglichten
Dieselverboten schlicht EU-Vorgaben erfüllen – und diese gelten bereits
seit 2010. 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft sind danach
im Jahresmittel erlaubt. 58 Mikrogramm erreichte Hamburg laut
Umweltbundesamt im Jahr 2017.
Schon 1991 machte die „Strese“ bundesweit Schlagzeilen. Wochenlang wurde
sie freitagabends von Anwohnern blockiert, nachdem ein Kind von einem
Laster überfahren worden war. Seither gilt hier Tempo 30, Lkw dürfen nur
die mittleren der vier Fahrbahnen benutzen.
Seit 1992 steht auch ein grüner Luftmesscontainer in der Stresemannstraße.
Während die Stickstoffdioxidwerte bis zum Jahr 2000 stark sanken, stiegen
sie in den Folgejahren stark an – eine Folge der Förderung des
Dieselantriebs: zum Beispiel die Steuererleichterungen beim Kraftstoff und
bei der Kfz-Steuer. Durch sie entgehen dem Staat jährlich acht Milliarden
Euro.
In jüngster Zeit sanken die Werte in Hamburg und anderswo zwar wieder –
aber nicht tief genug: In der Stresemannstraße waren es im Jahr 2017 laut
Hamburger Abendblatt 48 Mikrogramm, in der Max-Brauer-Allee 46 Mikrogramm.
„Die Durchfahrtsbeschränkungen sind der entscheidende Schritt, um die
Grenzwerte wieder einzuhalten“, meint Umweltsenator Kerstan. Und meint
deshalb, dass nur Fahrverbote helfen. Sie sind Bestandteil eines
Luftreinhalteplans, den der rot-grüne Senat im vergangenen Sommer bereits
zum zweiten Mal fortgeschrieben hat. Darin stehen dutzende Maßnahmen, um
die Luft sauberer zu machen: bessere Radwege, emissionsfreie Busse, aber
auch eine Versorgung der Schiffe im Hafen mit sauberem Strom von Land – und
eben Durchfahrtsverbote.
Aber: Für Anlieger der betroffenen Straßen wird diese Beschränkung nicht
gelten. Auch Liefer-Lkw, die Feuerwehr und Müllautos sind von dem Verbot
ausgenommen. Allein bei der Stresemannstraße geht der Senat davon aus, dass
fast jede dritte Fahrt unter Ausnahmeregelungen fällt. Und die
Beschränkungen sollen aufgehoben werden, sobald die EU-Vorgabe erreicht
wird.
## München denkt größer
Wer die Diesel „nur“ aus zwei Straßen fernhält, dürfte dafür sorgen, da…
sich einige Fahrzeuge einfach auf Nebenstraßen verkrümeln – mit ihnen die
Abgase. Auch deshalb wird zum Beispiel München wahrscheinlich einen anderen
Weg gehen. In der bayerischen Landeshauptstadt sind die Stickoxidwerte
doppelt so hoch wie erlaubt. Dort ist eine Verschärfung der gesamten
Umweltzone in der Innenstadt geplant – es droht also ein komplettes
City-Fahrverbot für ältere Diesel.
Aber auch dort wird es wieder jede Menge Ausnahmen geben. Und jede Menge
Schilder. Die Münchner Stadtverwaltung hat ausgerechnet, dass für ein
Fahrverbot 130.000 Schilder montiert werden müssen. Kostenpunkt: 18
Millionen Euro.
Ob in Hamburg, München, Stuttgart oder Düsseldorf, die Durchsetzung des
Verbots wird komplex sein. „Wie die ohnehin überlastete Hamburger Polizei
die Einhaltung der Dieselfahrverbote kontrollieren soll, steht vollkommen
in den Sternen“, unkt schon die Hamburger CDU-Bürgerschaftsfraktion.
Denn die bekannte rote, gelbe und grüne Feinstaubplakette, die über die
Einfahrt in Umweltzonen entscheidet, zeigt nicht, ob ein Fahrzeug der
Euro-6-Norm genügt – und damit die Stickoxidvorgaben einhält. Die Polizei
wird die Diesel also einzeln rauswinken müssen, um einen Blick in die
Fahrzeugpapiere zu werfen. „Wir werden das ähnlich kontrollieren wie bei
Tempolimits: Nicht jeden Tag, sondern stichprobenmäßig. An manchen Tagen
wird es aber auch Schwerpunkteinsätze geben“, sagt Kerstan.
Einfacher wäre die Kontrolle mit der Einführung einer „blauen Plakette“ z…
Kennzeichnung emissionsarmer Autos. Dieser hat sich die Bundesregierung
bisher allerdings versperrt. Immerhin will sie sich angesichts des neuen
Urteils nun „alsbald“ mit der blauen Plakette beschäftigen.
## Saubere Laster und Busse reichen aus
„Punktuelle Fahrverbote für wenige Straßenzüge sind auch Augenwischerei“,
sagt Malte Siegert vom Naturschutzbund Hamburg, so sehr er das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts auch begrüßt: „Tatsache ist, dass angesichts
eines unzureichenden Messnetzes das wahre, im innerstädtischen Bereich
flächendeckende Ausmaß der Belastungen unter den Tisch gekehrt wird.“
Im Falle der Stresemannstraße prüft der Senat gerade, was ein
Durchfahrtsverbot auch für Diesel-Pkw bedeuten würde. Wahrscheinlich
brächte es viel saubere Luft, ist aber nicht nötig, um den Grenzwert zu
erreichen – und daher auch nicht verhältnismäßig. Saubere Laster und Busse
reichen aus.
Der Hintergrund: Handwerker und Privatiers mit älteren Diesel-Pkws sollen
nicht zu Umrüstung oder Neukauf gezwungen werden. Wer müsste das zahlen?
„Wer seinen Diesel nachrüsten kann und will, der sollte einen Anspruch
darauf haben, dass der Hersteller das übernimmt“, sagt
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Es dürfe nicht sein, dass
nur noch über Plaketten diskutiert werde „und dabei die eigentlichen
Verursacher des Problems aus dem Blick geraten“.
Die Verursacher – damit meint Hendricks die Autoindustrie, die im
vergangenen Jahr erneut Rekordgewinne eingefahren hat. Allerdings, das
sieht auch Hendricks so, gibt es derzeit wenig Handhabe, die Autohersteller
gesetzlich zur technischen Nachrüstung zu zwingen. Der geschäftsführende
Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) wiederholt dazu wortgetreu
die Aussagen von VW, Daimler und BMW: „Bevor wir in alte Autos investieren,
sollten wir auf die Technologien der Zukunft setzen.“
Also müssen sich Eigentümer von ausgesperrten Dieseln wahrscheinlich selbst
helfen. Mit einem neuen Auto. Auf jeden Fall ist das gut für die Industrie.
2 Mar 2018
## LINKS
[1] /Urteil-des-Bundesverwaltungsgerichts/!5487407
## AUTOREN
Gernot Knödler
Lena Kaiser
Kai Schöneberg
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