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# taz.de -- VW bestellt Verkehrsgutachten für Kiel: Geschenkter Gaul, doch was…
> Um Dieselfahrverbote abzuwenden, lässt die Stadt Kiel eine Studie
> anfertigen, die VW bezahlt. Der Auftragnehmer ist praktischerweise eine
> eigene Konzerntochter.
Bild: Tolles Geschäftsmodell: Hinten kommt Abgas raus, ganz hinten kommt Geld …
Hamburg taz | Es klang wie ein guter Deal: Kiel will eine Verkehrsstudie
erstellen lassen, um die Abgasbelastung zu reduzieren. Der
Volkswagen-Konzern bot an, die Kosten dafür zu tragen. Die Stadt sollte
keinen Pfennig ausgeben. Dass VW dafür auch die passende Firma an der Hand
hatte, machte der Verwaltung wenig Kopfzerbrechen. Denn der Konzern brachte
im Dezember die in Karlsruhe ansässige PTV Group ins Spiel, mit der Kiel
schon lange zusammenarbeitet.
Doch vor ein paar Tagen klappte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) die
Kinnlade runter: Da steckte ihm ein Mitarbeiter aus seiner Verwaltung, wer
im Juni 2017 97 Prozent von PTV übernommen hat: die Porsche-Holding. Und
die gehört ihrerseits zum VW-Konzern. Großzügig interpretiert hatte VW also
sich selbst beauftragt und vergessen, das den Kielern mitzuteilen. Die
Stadt will nun selbst ein Gegengutachten in Auftrag geben.
Kiel kann bundesweit die vierthöchste Belastung durch vor allem von
Dieselmotoren ausgestoßene Stickoxide vorweisen, obwohl an der Förde fast
immer ein frischer Wind weht. Am Theodor-Heuss-Ring, der teilweise als
sechsspurige Bundesstraße ausgebauten Hauptachse, die Ost- und Westufer
verbindet, liegt der Stickoxid-Wert anderthalb mal so hoch wie zulässig
wäre – und das im Jahresdurchschnitt.
## Streit zwischen Stadt und Umweltminister Habeck
Die Deutsche Umwelthilfe hat deswegen gegen das zuständige Land
Schleswig-Holstein geklagt. Die Klage liegt beim Verwaltungsgericht
Schleswig derzeit wegen Überlastung auf Eis. Trotzdem arbeitet das
Umweltministerium derzeit an einem Luftreinhalteplan. Der sollte
ursprünglich Ende des ersten Quartals 2018 fertig sein, also in drei
Wochen. Nun heißt es aus dem Ministerium nur noch, der Entwurf werde
„zeitnah“ fertiggestellt. Man wolle die für Ende April erwartete
Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts abwarten, das vor zwei
Wochen Fahrverbote für rechtmäßig erklärt hatte.
Für Umweltminister Robert Habeck (Grüne) ist das eine Prestigefrage, nicht
erst seit er Grünen-Parteichef ist. Er kann sich politisch nicht erlauben,
Anwohner den Gesundheitsgefahren durch Dieselabgase auszusetzen, wenn er
eine rechtliche Handhabe dagegen hat. Es ist deswegen durchaus denkbar,
dass sein Ministerium ein Fahrverbot für bestimmte Dieselfahrzeuge auf dem
Theodor-Heuss-Ring verhängt.
Es könnte eine Kraftprobe werden, denn die Stadt möchte Fahrverbote
unbedingt vermeiden. Sie sieht die Pulsader der Stadt bedroht. Zigtausende
Pendler könnten nicht mehr mit ihrem bisherigen Auto zur Arbeit fahren. Und
vor allem wäre der Wirtschaftsverkehr, der vor allem aus Diesel-LKW
besteht, auf einen Schlag amputiert.
Die Stadt steht deswegen unter Druck, braucht dringend eine Untersuchung
darüber, wie man die Stickoxid-Werte auch ohne Fahrverbote auf ein legales
Maß senken könnte. Die Studie, die VW beim Mobilitätsberater PTV bestellt
hat, soll anhand von Verkehrsflussuntersuchungen und -prognosen
verschiedene Modelle durchspielen – auch daraufhin, welche schädlichen
Effekte Ausweichverkehr auf bisher nicht übermäßig belastete Straßen hätte.
## Fachlich gibt es keine Zweifel an PTV
Nur ist PTV dafür der richtige Anbieter? Fachlich ist die Stadt von der
Firma überzeugt: „Wir arbeiten seit 1977 mit PTV-Software“, sagt
Stadtsprecherin Annette Wiese-Krukowska. Daher sei die Stadt mit dem
VW-Vorschlag einverstanden gewesen. Es gebe auch nur ein anderes
Unternehmen, das die benötigte Untersuchung durchführen könne – aber mit
ganz anderer Software. „Da könnten wir mit allem von vorn anfangen“, so
Wiese-Krukowska. Branchenkenner bestätigen die Einschätzung, PTV sei
fachlich geeignet. Das Unternehmen hat zahlreiche Großstädte und
Verkehrsbetriebe weltweit beraten.
Auch dass VW das Gutachten bezahle, sei nichts Besonderes, sagt
Wiese-Krukowska. Der Verband der Automobilindustrie habe im Zuge der
Dieselbetrugs-Affäre der Bundesregierung zugesagt, den mit Stickoxiden
besonders belasteten Städten Verkehrsstudien zu bezahlen. Die Konzerne
hätten sich die Städte nach regionaler „Zuständigkeit“ aufgeteilt.
Dennoch sind auch bei der Stadt Kiel inzwischen Zweifel aufgekommen, vor
allem wegen der Verflechtung von PTV mit VW. „Das ist natürlich jetzt vom
Anschein her ganz schlecht“, räumt Oberbürgermeister Kämpfer ein. „Das h…
sich für die Leute da draußen gar nicht gut an.“
Umweltminister Habeck polterte sogar: „Da geht mir echt die Hutschnur hoch.
Die Autokonzerne spannen nicht nur die Bundesregierung vor ihren Karren,
sondern versuchen noch, die belasteten Städte abhängig zu machen. Und das,
indem sie für die Städte Gutachten bezahlen und diese dann bei ihren
eigenen Firmen in Auftrag geben. Die Autokonzerne haben ohnehin schon durch
ihren Betrug das Vertrauen verloren, so entsteht noch mehr Misstrauen.“
Die Stadt Kiel will nun gegensteuern, indem sie ein weiteres Gutachten in
Auftrag gibt, das die PTV-Studie überprüfen soll. „Wir suchen derzeit nach
einer Firma“, sagt Stadtsprecherin Wiese-Krukowska. „Allerdings wird das
auch nur mit PTV-Software gehen.“ Kosten soll das etwa genauso viel wie die
von VW beauftragte Studie – rund 50.000 Euro.
8 Mar 2018
## AUTOREN
Jan Kahlcke
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