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# taz.de -- Terror-Ermittlungen in Norddeutschland: Kommando Heimatschutz
> Reservisten wollen im Ernstfall das Land verteidigen. Aber was, wenn sie
> eine ganz eigene Idee davon haben, vor wem?
Bild: So fing es an: Am 28. August durchsuchen Polizisten Häuser in Mecklenbur…
Es dämmert bereits, als Horst S. an einem kalten Herbstabend auf den
Parkplatz des Bundeskriminalamts in Berlin einbiegt. Er parkt seinen
schwarzen Volkswagen, steigt aus, holt eine Jacke aus dem Kofferraum. Unter
seinem Nummernschild steht ein Zitat der Band Rammstein: „Manche führen,
manche folgen“. S. geht mit forschen Schritten auf das Wachhäuschen zu. Er
will die Sache endlich erledigen. „Guten Tag“, sagt er zum Pförtner. „Ich
bin hier, um meine Asservate abzuholen.“
Horst S. lebt in Krakow am See, einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern.
Er wohnt dort in einem roten Backsteinhaus, mit seiner Frau und einem
Kater. Sechs Wochen vor diesem Herbstabend hatten Beamte des
Bundeskriminalamts (BKA) in dem Haus eine Razzia durchgeführt. Sie hatten
Beweise gesucht – dafür, dass Horst S. mehr weiß, als er zugibt, über eine
Gruppe, die schwere Anschläge geplant haben soll. Auf linke Projekte,
Politiker, Aktivisten.
An dem Herbstabend in Berlin bringt ein BKA-Mitarbeiter ein Paket. Darin
liegen zwei Festplatten, zwei USB-Sticks, ein Laptop. „Basierend auf den
Absprachen mit Ihnen“, sagt er.
„Na ja“, antwortet S. „Absprachen.“
„Den Karton dürfen Sie gern behalten“, sagt der BKA-Mann. Dann kann Horst
S. mit seinen Sachen gehen.
Horst S. gilt in den Ermittlungen nur als Zeuge, nicht als Beschuldigter.
Es ist ein schwerwiegender Verdacht, den der Generalbundesanwalt am 28.
August bekannt macht. An diesem Tag schickt er bewaffnete BKA-Einheiten
nach Mecklenburg-Vorpommern, die Wohn- und Geschäftsräume von sechs
Personen durchsuchen. Sie setzen Blendgranaten und Sprengstoffspürhunde
ein.
Die Ermittler finden bei einem Anwalt mehrere Ordner mit Personendaten von
mehr als 5.000 Menschen. Darunter über hundert Namen, Adressen und Fotos
von Politikern, überwiegend aus dem linken Spektrum.
Der Vorwurf: In Chatgruppen sollen sich Männer darüber ausgetauscht haben,
dass der Krisenfall eine Chance berge – dann könne man die Macht
übernehmen, linke Politiker gefangen nehmen oder gleich töten. Im
Juristendeutsch: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.
Die Beschuldigten sind ein Rechtsanwalt und ein Kriminalpolizist. Zu dem
Netzwerk zählen zudem ein Malermeister, ein weiterer Polizist, ein
Versicherungsvertreter und der Kommandant einer Reservisten-Kompanie. Das
ist Horst S. Bei den Ermittlungen gelten diese Vier als Zeugen.
Die sechs Männer in Mecklenburg verbindet eine Idee. Es kann Krisen geben,
denken sie, in denen der Staat seine Bürger nicht mehr versorgen kann.
Schwere Stürme oder Stromausfälle. Oder Invasionen. Dafür trainieren sie.
Man nennt solche Menschen Prepper. Abgeleitet ist der Begriff vom
Englischen to be prepared, auf Deutsch: bereit sein. Anfang Dezember haben
die Innenminister der Länder und des Bundes entschieden: Sie wollen mehr
über Prepper wissen. Ist das eine Szene? Gibt es in ihr
Radikalisierungstendenzen, vielleicht sogar Extremisten? Ähnlich wie bei
den Reichsbürgern? Die Verfassungsschutzämter sollen nachforschen.
## Wann wird jemand zu einem gefährlichen Rechtsextremen?
Nur: Wenn solche Prepper gefährlich sind – warum ist dann auch vier Monate
nach der großen Razzia in Mecklenburg bisher niemand festgenommen worden?
Dahinter steht eine schwierige Frage: Wann wird jemand von einem
gesetzestreuen Bürger mit einem etwas größeren Konservendosenvorrat zu
einem gefährlichen Rechtsextremen mit Umsturzplänen?
Viele, um die es in dieser Recherche geht, wollen nicht sprechen. Andere
haben Angst zu erzählen, was sie wissen. Deshalb finden wir Dokumente, die
heimlich unter Tische fallen gelassen werden, und führen Gespräche, aus
denen wir nicht zitieren dürfen. Wir sprechen mit Experten im Bundestag,
Nachrichtendiensten, Ermittlern. Wir lernen Prepper kennen und eine Gruppe
von Menschen, die den Staat nicht nur kritisiert, sondern ihm zutiefst
misstraut. Was fünf der sechs Männer in der Chatgruppe verbindet: Sie sind
Mitglieder im Reservistenverband, einer Gemeinschaft ehemaliger Soldaten.
Zum Beispiel Jan Hendrik H. Er ist der Rechtsanwalt, bei dem die Listen mit
den Namen gefunden wurden. Er soll darüber fantasiert haben, Menschen zu
töten, die ihm politisch nicht genehm sind. Er ist Beschuldigter.
Die Annäherung an Jan Hendrik H. beginnt im Bahnhofsviertel in Rostock.
Hier reihen sich Villen in Rosé und Gelb aneinander. Arztpraxen,
Versicherungsbüros und Kanzleien von Notaren und Anwälten residieren hier.
Wenn H. aus dem Fenster seines Büros in einem Plattenbauhochhaus schaut,
kann er die Villen sehen. Für die taz ist H. nicht zu sprechen. Auch nach
mehrfachen telefonischen, schriftlichen und persönlichen Anfragen nicht.
Also treffen wir Personen, die ihn kennen. Freunde, Geschäftspartner,
Menschen, mit denen er auf den Schießstand ging oder Politik machte. Sie
erzählen Bruchstücke aus H.s Biografie. Zusammen ergeben sie die Geschichte
einer Radikalisierung.
Geboren wird er 1971 in Eisenach, er macht eine Lehre auf dem Bau. Nach der
Wende folgt das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, dann ein Jurastudium.
2009 tritt H. in die FDP ein, wird Landtagskandidat, 2014 dann Abgeordneter
in der Rostocker Bürgerschaft, schließlich Vizevorsitzender der Fraktion,
die den Oberbürgermeister stellt.
Eine Politikerin der Linkspartei nennt ihn stringent, streng im Haushalten,
einer, der nicht mitkam, wenn andere noch ein Bier trinken gingen.
## Er führt seine Gewehre in der Garage vor
Was viele über H. erzählen: Er ist einer, der gern Gäste einlädt – in sei…
Garage, die er umgebaut hat zu einem Ort zum Diskutieren. In dieser Garage
trifft er auch einige der Männer, bei denen der Generalbundesanwalt
ebenfalls die Wohnungen durchsuchen lässt. Nach der Razzia geht H. in die
Offensive. Er ruft die Vorsitzenden der Fraktionen an, schreibt Briefe,
bestreitet, dass es je eine „wie auch immer geartete Todesliste“ gegeben
habe.
Diejenigen, die H. kennen, beschreiben, wie er sich nach und nach verändert
hat. Immer häufiger streitet er sich mit seiner Partei. Er nennt sich
Sympathisant der Pegida-Forderungen, schreibt von einer
„gesinnungseinheitlichen“ Berichterstattung, die nur neurechte Medien
durchbrächen. Als er dann noch in der Flüchtlingspolitik mit einem
AfD-Politiker zusammenarbeiten will, berät der FDP-Kreisverband Rostock
über ein Ausschlussverfahren. Dem kommt H. zuvor. Anfang 2016 tritt er aus
der Partei aus.
Er beginnt, sich für Schießsport zu interessieren, wird Sportschütze und
Jäger, legt sich ein halbautomatisches Gewehr und einen alten Karabiner zu.
Bekannte, die ihn in seiner Garage besuchen, bekommen sie vorgeführt.
Es ist die Zeit einer großen Verunsicherung: Die Finanzkrise hat bei vielen
den Glauben an die freien Märkte erschüttert, das Bundesamt für
Bevölkerungsschutz aktualisiert seine Katastrophenhinweise, an der
EU-Ostgrenze demonstrieren Panzer die Stärke der Nato. Dazu die rasant
gestiegene Zahl von Flüchtlingen im Jahr 2015.
Zu dieser Zeit gründet ein SEK-Beamter aus Westmecklenburg eine Chatgruppe
für Prepper, in der über einen Messengerdienst namens Telegram
verschlüsselt kommuniziert werden kann. Er gibt ihr den Namen „Nordkreuz“.
Das Erkennungssymbol der Gruppe ist die Wirmer-Flagge; einst ein Symbol des
Widerstands gegen Hitler, heute auf Pegida-Demonstrationen genutzt. Auch
Rechtsanwalt H. tritt dieser Gruppe bei. Und er wird Mitglied im
Reservistenverband. Wenn eines Tages die Katastrophe kommt, dann ist die
Bundeswehr da oder auch nicht. Die Chatgruppe aber – das ist Heimatschutz
konkret.
## Der Politiker fantasiert darüber, einen Menschen zu essen
Den anderen Reservisten erzählt H., einer von wenigen hundert
Kampfschwimmern der NVA gewesen zu sein, einer Eliteeinheit. Ein Sprecher
des Ehemaligenvereins der Kampfschwimmer sagt, sie hätten den Namen Jan
Hendrik H. noch nie gehört.
Über H. finden sich auch Kommentare in Chatprotokollen eines
AfD-Politikers. Dieser ist Landtagsabgeordneter in Schwerin. Er hat die
Fraktion seiner Partei im September verlassen, nachdem taz und NDR über
Chatnachrichten berichtet hatten, in denen er sich die Exekution Linker
ausmalte und darüber fantasierte, einen Menschen zu essen.
Über H. steht in eben jenen Chats des Landtagsabgeordneten: „Er hasst die
Linken und hat einen gut gefüllten Waffenschrank.“ H. soll von „einer Menge
Leute“ gesprochen haben, „die, wenn es wirklich auf eine Art rote Diktatur
hinauslaufen sollte, zu allem entschlossen sind“.
Welche Rolle spielt der Reservistenverband bei der Herausbildung des
Mecklenburger Netzwerks? Formal ist der Verband kaum etwas anderes als ein
Handballklub, ein eingetragener Verein eben. Von der Bundeswehr ist er
formal getrennt, aber der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern bekommt etwa
auf dem Gelände der Kaserne in Schwerin zwei Büros und einen Raum für den
Kopierer bereitgestellt. Und er darf auf den Truppenplätzen üben. Er soll
auch helfen, die Reservistenkompanien zu bestücken.
Im Zuge der Bundeswehrreform von 2011 hatte sich das
Verteidigungsministerium an eine alte Idee erinnert: Es hat Kompanien aus
Reservisten eingerichtet, die das schrumpfende Heer im Ernstfall
unterstützen sollen. Früher trugen solche Einsatztruppen den pathetischen
Namen Heimatschutzbataillon, heute heißen sie sperrig „Regionale
Sicherungs- und Unterstützungskompanie“, kurz RSU. Sie sollen helfen, wenn
Dämme brechen oder Hochwasser droht. Und sie sollen bereit sein, wenn ein
Feind angreift.
Obwohl es diese Einheit in Mecklenburg-Vorpommern bereits seit 2013 gibt,
sind nur zwei Drittel der 100 Planstellen besetzt. Dabei sind die Hürden
nicht hoch: Wer in die RSU-Kompanie aufgenommen werden will, muss seine
Eignung nachweisen und ein Führungszeugnis vorlegen.
Helge Stahn ist der Vorsitzende des Reservistenverbands in
Mecklenburg-Vorpommern. Ein Ehrenamt. Er wirkt wie ein Mann, der auch einem
Handballverein vorstehen könnte. Aber Helge Stahn muss sich um andere
Fragen kümmern: Darf ein Verband, der die Bundeswehr repräsentiert, auch
nur die Anfänge extremer Ideen dulden?
Der Verband hat aber ein Problem: Anders als die Bundeswehr kann er keine
Stuben nach Devotionalien durchsuchen. Die Reservisten sind in der Regel
nicht kaserniert. Und der Verband darf den Militärischen Abschirmdienst
(MAD), den Geheimdienst der Bundeswehr, nicht um Erkenntnisse bitten. Der
ist für Reservisten nicht zuständig, solange sie Zivilisten sind und nicht
von der Bundeswehr eingesetzt werden.
## Horst S. zerstört sein Telefon im Schraubstock
Anhand von Schriftwechseln lässt sich rekonstruieren, wie Stahn seit Wochen
Brief um Brief verschickt: Mitte September teilt sein Landesverband den
betroffenen Männern mit, dass sie fortan nicht mehr am Schießsport
teilnehmen dürfen. Dann, dass beschlossen wurde, die Trainingsstunden der
Schießsportgruppe bis auf weiteres auszusetzen.
Und: Der Landesverband bittet die Waffenbehörden in Rostock und Bad
Doberan, dem Rechtsanwalt Jan Hendrik H. und Horst S. die Erlaubnis zum
Waffenbesitz zu entziehen. Helge Stahn möchte diese Männer vom
Reservistenverband fernhalten. Männer wie Horst S. Der war früher mal im
Vorstand des Landesverbands.
An einem Tag im Juni, zweieinhalb Monate vor der Razzia, geht Horst S.
durch seinen Garten in Krakow am See. Vorbei an seinen Apfel-, Kirsch- und
Mirabellenbäumen zu der Treppe, die in den Boden führt. Er nennt den Bau
unter seinem Garten „einen Keller“, sein Elektriker sagt Bunker dazu. Horst
S. steigt hinab. Er spannt sein Smartphone zwischen die Backen eines grünen
Schraubstocks und dreht so lange zu, bis die Platine in winzige Splitter
zerspringt. Jetzt sind alle Daten zerstört. So erzählt er die Szene später.
Warum er das gemacht hat? Er brauchte halt ein neues Handy. Dass er da sein
altes zerstöre, sei doch klar.
Es ist genau die Zeit, in der es brenzlig für S. wird. Sein General hat ihn
zu einem Gespräch vorgeladen, Herren von MAD und Verfassungsschutz wollen
ihn sprechen.
Zwei Monate, nachdem S. sein Handy zerstört hat, und etwa zwei Wochen vor
seiner Hausdurchsuchung sitzt er in einem Gebäude der Polizei in
Neubrandenburg, ein kleiner Raum, ein Tisch, Stühle und ein Computer, wird
er sich später erinnern.
Beamte vom BKA haben ihn hierher gebeten, sie sind eigens angereist, um ihn
zu befragen. Wie gut kennen Sie denn den Rechtsanwalt H. aus Rostock? Haben
Sie schon mal von einer Todesliste gehört? Kennen Sie jemanden, der sie
gesehen hat? Viele Stunden geht das so. Dann aber fragen die Männer vom BKA
noch weiter: Was für Chatgruppen haben Sie auf Ihrem Telefon? Und was steht
da drin? Horst S. kann antworten: nicht viel.
Sein Telefon ist schließlich neu.
Horst S. stimmt einem Treffen mit der taz in einer Hotellobby in Rostock
zu. Es folgen zwei weitere Treffen, etliche Telefonate, E-Mails, SMS.
Geduldig schildert er die Hausdurchsuchung, erzählt von Befragungen und
darüber, was ihn im Reservistenverband antreibt. Und warum er den
Rechtsanwalt H. nicht in seine Kompanie aufnehmen wollte. Jan Hendrik H.
hatte sich bei einem Bekannten aus der Nordkreuz-Chatgruppe um Aufnahme in
die Kompanie beworben. Im April war Horst S. zu ihrem Kommandeur befördert
worden. Neue Anwärter möchte er persönlich überprüfen, deshalb fährt er zu
dem Rechtsanwalt nach Rostock.
## Geplanter Einsatz beim G20-Gipfel
Was dann passiert, schildert S. so: Er setzt sich mit H. in die Garage. Der
Anwalt zeigt ihm seine Waffen. Dann beginnt er, über Politiker zu
schimpfen, darüber, dass Steuern verschwendet würden, dass linke Projekte
zu viel Geld bekämen. Als H. eine Liste erwähnt, wechselt S. schnell das
Thema.
S. lehnt den Anwalt trotzdem nicht ab. Da ist ja noch der gemeinsame
Freund, der den Rechtsanwalt für die Kompanie vorgeschlagen hatte und
schließlich kennen sie sich ja alle aus den Chats in der Nordkreuz-Gruppe.
Es ist eher den Ereignissen geschuldet, dass Horst S. nie endgültig über
den Antrag entscheidet. Seine Kompanie soll auch beim G20-Gipfel in Hamburg
im Juli zum Einsatz kommen. S. und seine Männer kriegen den Auftrag, dort
Gebäude der Bundeswehr zu sichern. Linke Autonome und Krawalle werden
erwartet. Später werden im Fernsehen Bilder gezeigt, die genau so aussehen,
wie manche es befürchtet hatten: nach Aufstand und einem drohenden
Zusammenbruch des Staats.
Horst S. studiert im Vorfeld Wachpläne. Er begeht Gelände, trainiert mit
seinen Männern in der Ausrüstung richtiger Soldaten. Sollten die linken
G20-Gegner sie angreifen: Horst S. und seine Männer wären bereit.
Dann, knapp zwei Wochen vor dem Gipfel, kommt es anders: Am 21. Juni wird
Horst S. zu seinem General im Landeskommando nach Schwerin einbestellt,
Dienstgespräch. Der General teilt S. mit, dass er nicht nach Hamburg
beordert werde und erteilt ihm ein sofortiges Uniformtrageverbot. Im
Nachbarraum warten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und des MAD auf S.
Sie wollen ein paar Dinge klären.
Es gibt Kriterien dafür, wann die politischen Ideen eines Menschen extrem
rechts sind. Wenn er anderen die Menschenrechte abspricht beispielsweise,
nur in Schwarz und Weiß denkt, Gewalt akzeptiert, nach einer ethnisch
homogenen Volksgemeinschaft strebt. Kurzum: Menschen nicht als gleichwertig
betrachtet.
Horst S. ist in dem Verfahren des Generalbundesanwalts nicht beschuldigt.
Aber er ist eine Schlüsselfigur. Nicht nur, weil er in der Preppergruppe
anderen beibringt, wie sie eine Krise mit sauberem Wasser und ohne Handy
überstehen können. Sondern weil er der Kommandeur jener Reservisteneinheit
ist, die die Heimat im Namen des Staats schützen soll, wenn es darauf
ankommt.
Die soldatischen Tugenden der SS
S. ist ein Mann, der Frauen aus dem Mantel hilft und Männern zur Begrüßung
sehr fest die Hand drückt. In seinem Garten pflanzt er alte Obstsorten und
lässt sie von seinen eigenen Bienen bestäuben. Seine Geschichte ist nicht
eine Geschichte der Radikalisierung, eher der Relativierung. Es ist eine
typisch deutsche Geschichte. Meist beginnt sie bei den Großvätern.
Horst S. ist bei seinem Großvater aufgewachsen. Der war Mitglied der
SS-Panzerdivision Wiking. Bis zum Tag der Kapitulation, bis zum 8. Mai
1945. Angehörige der SS-Panzerdivision Wiking ermordeten im Juni 1941
mehrere hundert Juden in der Ukraine als Vergeltung für das, was sie
sowjetische Grausamkeiten nannten. Im März 1945 verübten Angehörige dieser
SS-Division ein Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern in Österreich.
Als Kind hörte Horst S. Geschichten von der Front. Sie handelten von
Euphorie und Entbehrung, von etwas, das er „soldatische Tugenden“ nennt. Im
Gespräch sagt er, ihn treibe seit Langem eine Frage um: Die Waffen-SS –
Eliteeinheit oder Kriegsverbrecher? „Ich wollte das wirklich eruieren.“ Die
Frage, sagt er, müsse doch erlaubt sein.
„Mein Großvater“, sagt Horst S., „ist kein Nazi gewesen. Er ist ein
überzeugter Soldat gewesen.“ Und: „Ich mag es nicht, dass man denjenigen
das Gedenken verwehrt.“
Im Prinzip, sagt S., wolle er doch nur etwas über diese Zeit lernen. Bei
einem der Treffen mit der taz zeigt er Fotos von seiner Büchersammlung. Ein
Bildband über die Waffen-SS, eine historische Analyse der Waffen-SS,
daneben Bücher über Bäume. S. hat sie nach der Größe sortiert. In einem
Buch steht in Sütterlinschrift: „Mein lieber Junge, zur Erinnerung an
deinen Opa“. Das Buch heißt: „Panzerkampf im Bild“.
Horst S. liest und bestellt viele Bücher. Zum Beispiel „Ein Samurai aus
Europa“, ein Buch des französischen Rechtsterroristen Dominique Venner.
Oder ein Buch über die Waffen-SS aus dem Verlag Nation Europa, der bis 2009
eine rechtsradikale Zeitschrift herausgab. Für seine Recherchen über die
Waffen-SS kauft der Kommandeur der Reservisten-Kompanie bei Verlagen, die
der Verfassungsschutz beobachtet.
„Wenn ich Literatur kaufe aus einer frei verfügbaren Quelle, dann kann ich
das machen“, sagt S. „Glücklicherweise leben wir in einem Land, wo der
Artikel 5 des Grundgesetzes gilt: Ich kann mich aus jeder frei verfügbaren
Quelle informieren.“
S. liest auch Russia Today, Politaia, den Honigmann-Blog. Manches, sagt er,
sei da auch mit Vorsicht zu genießen. Russia Today ist ein Propagandakanal
des Kremls. Politaia ist ein Blog, dem Antisemitismus vorgeworfen wird. Der
Honigmann ist ein Imker – und ein wegen Volksverhetzung verurteilter
Reichsbürger.
## Das Gewehr, das er nicht haben durfte
Einmal spendet Horst S. auch Geld, an eine neuheidnisch-völkische
Gemeinschaft, gegen die wegen Volksverhetzung ermittelt wird. Es ist das
Thule-Seminar. Darauf angesprochen sagt S., das sei keine Spende gewesen,
es sei vielmehr als Dank gedacht gewesen, für die Hilfe bei seiner
Recherche.
Irgendwann bekommt er dann eine Einladung zu einem Thule-Seminar. Er sagt,
er wollte nicht hingehen und gibt die Einladung weiter, an einen Freund aus
seiner RSU-Kompanie. Der geht hin.
Horst S. kann alles erklären. Auch, dass die Sache mit der Waffe nur ein
Versehen war oder, er zwinkert dann, na ja, es nicht böse gemeint war.
32221/RÜ 01-17: Das ist das Vorgangszeichen zu seinem Fall in der
Waffenbehörde des Landkreises Rostock. Hier hat Horst S. eine
Waffenbesitzkarte für ein Jagdgewehr bekommen, das er als Sportschütze gar
nicht nutzen darf. Die Sachbearbeiterin schreibt ihm, als sie den Fehler
bemerkt. Er muss das Gewehr verkaufen. Das Schreiben legt nahe, dass Horst
S. von seinem Regelbruch wusste.
Zuvor hatte er schon einmal versucht, über den Reservistenverband, eine
Berechtigung zu beantragen. Er hatte gefälscht aussehende Unterschriften
für Schießtrainings vorgelegt. Der Schießsportleiter schreibt ihm, die
Voraussetzungen lägen nicht vor.
Inzwischen besitzt Horst S. eine Pistole, ausgestellt von der
Waffenbehörde, Kaliber 9 Millimeter.
Die Spenden und die Bücher von Horst S. interessieren schließlich auch den
Verfassungsschutz, über die Waffe hat die Waffenbehörde zu entscheiden.
Es gibt noch zwei weitere Indikatoren für Rechtsextremismus: Glorifizierung
der NS-Zeit. Und natürlich: Fremdenfeindlichkeit. S. spricht von
„kriminellen Elementen“, wenn er straffällige Ausländer meint, erzählt v…
Krankheiten, die Osteuropäer einschleppen. Er sieht sich aber als Demokrat.
„Daran besteht überhaupt kein Zweifel“, sagt er.
Der beschuldigte Kriminalkommissar ist seit der Razzia vom Dienst
suspendiert. Jan Hendrik H. lässt sein Bürgerschaftsmandat in Rostock
ruhen. Er hatte kurz nach der Razzia einen Herzinfarkt.
Die Bundeswehr hat am 10. Oktober die Beorderung von Horst S.
zurückgenommen, er ist nicht länger Chef der RSU-Kompanie. „Aus
organisatorischen Gründen“, heißt es in einem Brief an S.
## Spielwiese für Rechte und Rechtsradikale
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst
haben eine gemeinsame Arbeitsgruppe „Reservisten“ gegründet. Deren Ziel
ist, sagt ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, „die lückenlose
Fallbearbeitung der Überprüfung von Reservisten sicherzustellen“.
Der Reservistenverband prüft, ob bei dem Mecklenburger Netzwerk „Gründe,
die eine Kündigung rechtfertigen, nachgewiesen werden können“.
Mecklenburg-Vorpommern ist seit Jahren eine Spielwiese der Rechten. Rund um
Krakow am See, dem Wohnort von Horst S., leben völkische Siedler. Hier
probierte die NPD ihre Kümmerstrategie aus und saß jahrelang im Landtag.
Jetzt ist die AfD stark. Wie sehr fallen da ein paar Männer ins Gewicht,
die bisher nicht straffällig geworden sind und die vielleicht nie angeklagt
werden?
Es gibt zwei Chatkanäle, über die sich die Männer und Frauen in Mecklenburg
austauschten. Über Nordkreuz wurden Informationen geteilt, administriert,
von zentraler Stelle. Diskutiert wurde in einer anderen Gruppe mit dem
Namen: „NORD Com“. Die Mitglieder dieser Gruppen, die mit der taz reden,
erzählen, in den Chats schrieben Ärzte und Beamte, Polizisten und Soldaten.
Menschen, die Jobs haben, die wichtig für das Funktionieren und die
Sicherheit des Staates und des täglichen Lebens sind. Einige von ihnen
glauben, diesen Staat und dieses Leben könnte es so bald nicht mehr geben.
Ihre Diskussionen drehen sich um Terroranschläge und die Bedrohungslage in
Europa, ein Arzt schreibt, wenn Impfstoff knapp wird. Einmal, sagt Horst
S., habe er die anderen zum Gästeschießen des Reservistenverbandes
eingeladen. „Alles ganz harmlos.“
Nur zeigen will einem diese Chats niemand. Chatgruppen wie diese gebe es
nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, auch im Osten, Westen und Süden
Deutschlands, in der Schweiz und in Österreich. So erzählt es jemand, der
in der Mecklenburger Chatgruppe dabei ist. Ein Über-Administrator, den er
persönlich nicht kenne, habe Zugriff auf all diese Chatnetzwerke. Dessen
Nickname sei „Hannibal“.
Es ist bislang nicht möglich, bei einer deutschen Sicherheitsbehörde eine
Antwort auf die Frage zu erhalten, ob sie Hannibal kennen. Nicht von der
Bundesanwaltschaft, vom BKA oder vom Militärischen Abschirmdienst. Hannibal
könnte irgendjemand sein, ein Spinner, ein Niemand. Er könnte aber auch ein
Beamter sein wie die anderen. Er könnte auch ein Soldat sein.
## Gibt es eine Verbindung zu Franco A.?
In einer dieser Chatgruppen, im Süden Deutschlands, so erzählt es dieselbe
Person, die von Hannibal berichtet, sei auch Franco A. aktiv gewesen. Der
Bundeswehrsoldat, der festgenommen wurde, als er am Flughafen in Wien eine
dort von ihm zuvor versteckte Pistole mitnehmen wollte. Auch er soll laut
Bundesanwaltschaft zusammen mit zwei anderen Männern Namenslisten geführt
haben. Die Berliner Linke-Politikerin Anne Helm und der damalige
Bundespräsident Joachim Gauck standen darauf. Am vergangenen Dienstag hat
die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Franco A. wegen Terrorverdachts
erhoben.
Horst S. sitzt in einem Restaurant an der A19. Bei der Frage nach Franco A.
bleibt er ganz ruhig. „Hier“, sagt er, „gucken Sie doch, ob ich seine
Telefonnummer habe.“ Dann reicht er uns sein Telefon. Natürlich ist da
nichts drauf.
20 Dec 2017
## AUTOREN
Martin Kaul
Christina Schmidt
Daniel Schulz
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Anti-Terror-Einsatz
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Schwerpunkt Rechter Terror
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erworben? Seit neun Monaten versuchen wir, eine Antwort zu bekommen.
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haben. Einer ist Mitglied der früheren Prepper-Gruppe „Nordkreuz“.
taz-Recherche auf Englisch: Hannibal's Shadow Army
He is a head of a right-wing German nationwide underground network with
direct connections to State Authorities.
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Er ist der Kopf eines bundesweiten Untergrundnetzwerkes – mit besten
Verbindungen in deutsche Behörden.
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