# taz.de -- Demokratie-Experte über Meck-Pomm: „Ein wichtiger Rückzugsraum�… | |
> In Meck-Pomm können sich rechte Gruppen ausbreiten wie kaum irgendwo in | |
> Deutschland. Daniel Trepsdorf erklärt, was Megalandkreise damit zu tun | |
> haben. | |
Bild: Letzter Ausweg rechts? | |
taz: Herr Trepsdorf, die Identitäre Bewegung baut in Rostock ihre | |
Bundeszentrale auf. Warum dort? | |
Daniel Trepsdorf: Das hat eine gewisse Logik und überrascht uns nicht. Wir | |
beobachten in Mecklenburg-Vorpommern eine Vielzahl an Aktivitäten von | |
rechtsoffenen, rassistischen und völkischen Gruppen. Die AfD ist die | |
zweitstärkste Partei. Das Land ist über die Jahre zu einem wichtigen | |
Rückzugsraum und Experimentierfeld rechter Gruppen geworden. | |
Welche Gruppen sind da aktiv? | |
Viele. Das geht vom Rockerclub Huskarlar MC über die Greifswalder | |
Burschenschaft Rugia bis hin zu völkischen Artamanensiedlungen mit Vorliebe | |
für deutschen Honig und deutsche Apfelsorten. In Grevesmühlen gibt es mit | |
dem Thinghaus ein nationalistisches Bildungszentrum, in Lübtheen bei | |
Ludwigslust einen sogenannten „Kulturraum“ zur Schulung von NPD-Kadern. Oft | |
gibt es auch Bezüge zur nordischen, heidnischen und germanischen | |
Volksideologien. | |
Das klingt nach Orten, die strategisch wichtig für die rechtsextreme Szene | |
sind. | |
Ja, das ist sicher so. Gerade die völkischen Siedler in Dörfern rund um die | |
Region Güstrow betreiben hier nationalistische Vorfeldpolitik. Das ist oft | |
gepaart mit einer „Blut-und-Boden-Ideologie“ und dem Fernziel, sogenannte | |
Wehrdörfer für einen möglichen künftigen Guerilla-Kampf zu etablieren. | |
Klingt alarmierend. Wie konnte sich das so entwickeln? | |
Man darf sicher nicht unterschätzen, dass diese Gruppen auf gewisse Weise | |
einen subjektiv gefühlten Mehrwert bieten: Gemeinschaft, Verständigung, | |
soziale Rückversicherung. | |
Wie meinen sie das? | |
Wir erleben ja ein beständiges Maß an Demokratieentleerung, das sich über | |
die Jahre fortentwickelt hat. Es entstehen unbesetzte soziale Räume, die | |
von diesen Gruppen gefüllt werden. Viele Menschen haben keine positive | |
Wahrnehmung mehr von Demokratie, weil sie keine positive Alltagserfahrungen | |
damit machen. Sie meinen zu erleben, dass der Staat sich zurückzieht. | |
Inwiefern? | |
Gerade in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern, wo die Rathäuser, | |
Feuerwehren und Krankenhäuser geschlossen werden, wo demokratische | |
Institutionen und der Staat selbst nicht mehr erfahrbar sind und die Busse | |
nicht mehr fahren – wer soll da eigentlich die Stellung halten? Wer soll da | |
eigentlich Demokratie leben und vermitteln? Passiert das einfach von | |
alleine? | |
Sie sagen, der Staat zieht sich zurück. Können Sie dafür mal ein Beispiel | |
nennen? | |
Zwei. Das eine ist das Krankenhaus, das andere die Kreisgebietsreform. | |
Fangen wir mit dem Krankenhaus an. | |
Die Kinderklinik in Wolgast sollte geschlossen werden. Das war die einzige | |
Kinderklinik im weiten Umfeld in einer der strukturschwächsten Regionen | |
Deutschlands. Der Protest gegen diese Pläne war natürlich ein | |
identitätsstiftendes Projekt in der Region. Der AfD-Landtagsabgeordnete | |
Ralph Weber hat im Prinzip über den Kampf um die Kinderklinik sein Mandat | |
gewonnen. Wenn Politik sich mehr und mehr von Bürgerinnen und Bürgern | |
entfernt, passiert genau das. Niemand hat bedacht, was diese Entscheidung | |
für den soziale Nahraum der Menschen bedeutet hätte. Die Klinik wird jetzt | |
erhalten, weil man ganz am Ende doch noch verstanden hat, worum es hier | |
eigentlich geht. Was wir brauchen, ist ein „Democracy Mainstreaming“. Das | |
bedeutet, dass Leute einbezogen werden, wenn es um ihre Angelegenheiten | |
geht. | |
Und was hat das mit der Kreisgebietsreform zu tun? | |
Die Kreisgebietsreform von 2011 ist das Ganze in groß. Heute sind drei der | |
fünf größten Landkreise der Bundesrepublik in Mecklenburg-Vorpommern. Das | |
sind enorme Gebiete. Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, rund um | |
Neubrandenburg, ist doppelt so groß wie das Saarland. Das Saarland ist ein | |
Bundesland mit einer eigenen Landesregierung. In Mecklenburg-Vorpommern | |
schaffen es aber viele Kreis- und Landtagspolitiker gar nicht mehr, sich in | |
die entlegenen Ecken ihres Wahlkreises auf den Weg zu machen. Es mag aus | |
Kostengründen vielleicht Sinn gemacht haben, diesen gigantischen Landkreis | |
zu schaffen, aber wir sehen nun, was die Folgen davon sind. | |
Was denn? | |
Das Prinzip, dass Probleme von den Menschen vor Ort gelöst werden sollen, | |
ist gar nicht mehr durchführbar. Die Ansprechpartner fehlen vielerorts. | |
Also ist die Frage: An wen wende ich mich dann? Völkische Siedler, die | |
Prepperszene, Reichsbürger oder autonome Nationalisten vermitteln dann oft | |
ein Gefühl von Zugehörigkeit, das einher geht mit dem geteilten Misstrauen | |
in den Staat. Diese Gruppen nutzen natürlich ihre Monopolstellung in diesen | |
Räumen. Ihre „traditionswahrende“ Werthaltung ist ein Angebot, an das man | |
sich anlehnen kann. Ich wundere mich, dass wir so wenig aus der Geschichte | |
lernen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Im Grunde erleben wir gerade im ländlichen Raum den Erfolg rechtsextremer | |
Überwältigungs- und Unterwanderungsstrategien, die die NPD in den Städten | |
nicht zuwege brachte. In der SED galt einst die Devise, man müsse auch im | |
ländlichen Raum präsent sein. Damals hieß es: „Wo die Partei nicht ist, da | |
ist die Kirche.“ Ich will keine schiefen Vergleiche ziehen, aber: Heute | |
sind stabilisierende Institutionen wie die Kirche oft auch nicht mehr da. | |
Der ländliche Raum ist verwaist. Das ist der Grund, warum sich entlegene | |
Gegenden als Hinterland für Rechtsextreme entwickeln konnten. Die | |
Bundesgeschäftsstelle der Identitären Bewegung ist da nur eines von vielen | |
Beispielen. | |
Sie gehen an Schulen, um Schüler von den Vorzügen der Demokratie zu | |
überzeugen. | |
Herr Trepsdorf, Ihr eigenes Projekt organisiert an Schulen | |
Demokratieprojekte. Was erleben Sie da? | |
Wir treffen auf viele Schüler, die in Fächern wie Mathe oder Physik sehr | |
gut sind. Aber wenn wir in den Abi-Jahrgängen fragen, ob sie uns mal fünf | |
Vorteile der Demokratie gegenüber diktatorischen Regimen nennen können, | |
fallen ihnen oft nur zwei Vorteile ein. | |
Wo setzen Sie da an? | |
Wir entwickeln etwa in Kindergärten und Schulen eine gemeinsame Verfassung | |
mit den Kindern. Wir fragen Sie: Was ist Euch wichtig? Welche Regeln wollt | |
Ihr Euch geben? Wie wollt Ihr Entscheidungen fällen? Und: Wenn Ihr Euch | |
einigen müsst, wie ihr Geld ausgebt: Soll es dann in die Schaukel, in | |
Spielzeug oder die Toilettensanierung gehen? Wie geht ihr mit denen um, die | |
was anderes wollen als ihr? Demokratie ist ja eine zivilisatorische | |
Leistung und kein Serviceangebot, das serviert wird. Wir müssen also in | |
Kindergärten und Schulen üben, was es bedeutet, sie zu erhalten und wieder | |
eine demokratische Streitkultur zu entwickeln, die in Teilen des Landes | |
kaum noch existiert. | |
Und? Sind sie zuversichtlich? | |
Klar, Optimismus gehört dazu. Doch in der Tat ist diese Situation ernst und | |
gravierend. Ich sehe aber auch, dass es ein großes Engagement gegen | |
Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit gibt, auch hier in | |
Mecklenburg-Vorpommern. In Rostock gibt es starke Proteste gegen das | |
Vorrücken der Identitären Bewegung. Und gerade erst habe ich erlebt, wie | |
sich etliche zivilgesellschaftliche Gruppen zusammengeschlossen haben, um | |
für den Landkreis Vorpommern-Greifswald ein eigenes Integrationskonzept zu | |
erarbeiten. Da waren Migrantenorganisationen, Kirchen, Bürgerinitiativen | |
und Gewerkschaften beteiligt. Hier zeigt sich gut, wie partnerschaftliche | |
Zusammenarbeit zwischen Behörden und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe auch | |
im ländlichen Raum funktionieren kann. Das ist wichtig, das brauchen wir. | |
12 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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