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# taz.de -- Rechtsterror-Verdacht im Norden: Farblos und tatverdächtig
> Gegen zwei Männer aus Mecklenburg-Vorpommern wird ermittelt. Haben sich
> der Anwalt und der Polizist unbemerkt radikalisiert?
Bild: Polizisten einer Spezialeinheit durchsuchten am 28.8.2017 unter anderem e…
Rostock taz | Es gibt zwei Versionen von Jan Hendrik H. Die eine führt
dazu, dass Politiker, Geschäftsleute und Pressesprecher ihn als farblosen,
normalen Mann beschreiben. Ein Anwalt, der in seiner Freizeit
ehrenamtlicher Lokalpolitiker in der Rostocker Bürgerschaft ist. Doch dann
steht am vergangenen Montag ein Einsatzkommando der GSG9 vor seiner Tür.
Der Verdacht: H. und ein Polizist aus Westmecklenburg besitzen Waffen und
haben Munition und Lebensmittel gehortet für den Tag, an dem „die
staatliche Ordnung zusammen brechen wird“. Sie wollen, [1][so der
angebliche und, wenn er so stimmt, ungeheuerliche Plan], die Krise nutzen,
um ihre Feinde auszuschalten: Personen aus dem linken Spektrum. Nun
ermittelt der Generalbundesanwalt gegen sie wegen der Vorbereitung einer
schweren staatsgefährdenden Gewalttat.
Seitdem wird in Mecklenburg-Vorpommern und im ganzen Land diskutiert. Über
militanten Rechtsterrorismus und auch darüber, wie ausgerechnet ein
Rechtsanwalt und ein Polizist sich so unbemerkt und so extrem
radikalisieren konnten.
Eva-Maria Krögers Büro ist vollgestellt mit Flyern und Plakaten, sie ist im
Wahlkampfmodus. Kröger ist Landtagsabgeordnete der Linkspartei und in
diesen Tagen eher mit der Frage beschäftigt, ob auch sie auf einer solchen
Todesliste vermerkt sein könnte. Auf so einer standen 2005 schon einmal
Politiker aus Mecklenburg-Vorpommern. Der Nationalsozialistische Untergrund
hatte sie angelegt.
Auch Kröger kennt H. aus der Bürgerschaftsarbeit. „Ein stringenter Typ,
streng im Haushalten“, sagt sie. Dann beugt sie sich nach vorne und sagt:
„Einer, der nicht mitkommt, wenn alle nach der Sitzung noch ein Bier
trinken.“
Über H. ist wenig bekannt: Er wurde 1971 in Ostdeutschland geboren. In der
Rostocker Innenstadt führt er eine kleine Kanzlei. 2009 trat er in die FDP
ein, ein Parteineuling, der mit Parteitagen, Flügelkämpfen und dem mühsamen
Organisieren von Mehrheiten nicht viel anfangen kann, heißt es. 2011
kandidierte er für den Landtag, sein großes Thema ist die Legalisierung von
Cannabis. Doch die FDP flog aus dem Parlament. Dann rückte er in die
Rostocker Bürgerschaft nach. Er schließt sich der Fraktion des
Wählerbündnisses an, das den parteilosen Oberbürgermeister der Stadt,
Roland Methling, unterstützt.
## Neue Wege
Erste Einblicke in seine zweifelhafte, politische Gesinnung gibt eine Mail
vom 8. Januar 2015, geschrieben an Nicola Beer, Generalsekretärin der FDP.
Der Text strotzt vor neurechten Parolen, H. echauffiert sich, weil er sich
von seiner Partei „verarscht“ fühle. Er nennt sich „Sympathisant der [�…
Pegida-Forderungen.“ Die Generalsekretärin antwortet ihm nicht.
H. zeigt sich bei Bürgerschaftssitzungen von nun an öfter mit Holger Arppe
von der AfD. Arppe ist damals schon wegen Volksverhetzung vorbestraft. Auch
Daniel Fiß, Chef der Identitären Bewegung, sieht man an seiner Seite. H.
distanziert sich zunehmend von der FDP. Er lehnt die Flüchtlingspolitik
seiner Partei ab und bleibt den Sitzungen des Kreisvorstands fern. Taucht
er doch mal auf, wirbt er für eine Allianz mit Arppe. So berichtet es der
Kreisvorsitzende Christoph Eisfeld.
Auch privat geht H. neue Wege. Er zieht mit seiner Frau in ein Haus am
Stadtrand, macht einen Waffenschein. Früher sammelte er Kameras, jetzt sind
es Sportwaffen, Pistolen, historische Kaliber. Er lagert sie in seiner
Garage, in die er oft einlädt. Wer ihn besucht, bekommt die Waffen gezeigt,
soll sie mal anfassen, berichten mehrere Besucher. Mindestens einmal war
auch sein Fraktionsvorsitzender zu Besuch, auch der Oberbürgermeister war
eingeladen. H.s Frau arbeitet für ihn. Heute will sich niemand daran
erinnern, extreme rechte Äußerungen von H. gehört zu haben. Es bleibt eine
Frage: Kann sich so einer wie H. unbemerkt radikalisieren?
Warnsignale gab es einige.
Im FDP-Kreisvorstand wird Hs. Haltung zunehmend Thema. Man diskutiert, ob
und wie H. ausgeschlossen werden kann. Doch dazu kommt es nicht, H. kommt
ihnen zuvor: Anfang 2016 erklärt er seinen Austritt.
Ausgerechnet in den Chat-Protokolle, in denen [2][nach Recherchen der taz
und des NDR] der AfD-Mann Holger Arppe Vergewaltigungs- und
Hinrichtungsfantasien freien Lauf ließ und derentwegen er am Donnerstag aus
seiner Partei austrat, findet sich die Schilderung eines Treffens mit H.
„Er hasst die Linken und hat einen gutgefüllten Waffenschrank“,
[3][beschreibt ihn Arppe]. „Allerdings haben wir festgestellt, dass man zur
Verteidigung seines Grundstückes mindestens 30 Leute braucht …“. Laut Arppe
soll H. von „einer Menge Leute“ gesprochen haben „die, wenn es wirklich a…
eine Art rote Diktatur hinauslaufen sollte, zu allem entschlossen sind“.
Gegenüber der taz wollte sich H. nicht äußern. Zuvor hatte er die Vorwürfe
öffentlich abgestritten.
## Mutmaßungen im Dorf
Eine halbe Autostunde entfernt steht Daniel Trepsdorf vor einer
handgemalten Karte von Mecklenburg-Vorpommern, er hat Punkte dorthin
geklebt, wo völkische Siedler leben oder Kameradschaften aktiv sind. Auf
Ludwigslust klebt nur das Logo seines Regionalzentrums für demokratische
Kultur. Es ist seine Aufgabe, über rechte Strukturen aufzuklären und über
Demokratie zu sprechen. Dass er hier in Ludwigslust steht, ist kein Zufall.
Der zweite Verdächtige, der Polizist, ist hier im Kriminalkomissariat
beschäftigt, er lebt in einer Villa im Nachbarort.
„Mecklenburg-Vorpommern ist das Experimentierfeld der Rechten“, sagt
Trepsdorf. Er beobachtet: Rechtspopulisten verbreiten verschwörerische
Endzeitszenarios, dramatisieren, bislang Unsagbares machen sie sagbar. „Es
findet ein Kampf um die Köpfe statt“, sagt Trepsdorf.
Derweilen stehen die Ermittlungen offenbar erst am Anfang. Haftbefehle
wurden bislang weder gegen H. noch gegen den Polizisten erlassen, der
Kriminalpolizist wurde vorübergehend suspendiert. Welche Namen auf der
angeblichen Terrorliste stehen, ist nicht bekannt. Und statt darüber zu
debattieren, was es bedeutet, dass ein solcher ungeheuerlicher Verdacht
ausgerechnet auf zwei Staatsdiener fällt, einen Polizeibeamte und einen
Politiker, auf Menschen mit gesellschaftlichen Schlüsselämtern also, wird
am Ende der Woche plötzlich gefragt: War der Einsatz überhaupt
gerechtfertigt?
In Banzkow, einem malerischen Ort mit 2.000 Einwohnern südlich von
Schwerin, kann man beobachten, welche Kollateralschäden die hitzige Debatte
dieser Woche nach sich ziehen kann. Ein Mann sitzt am oberen Ende der
Straße der Befreiung in der Pony Bar und trinkt ein Bier. Am unteren Ende
der Straße steht sein rotes Backsteinhaus mit der aufgebrochenen Tür. Es
passte alles so schön: der Polizist, der gut mit Gewehren umgehen kann, der
bei Wettbewerben seines Schützenvereins gewinnt; er vom Innenminister
Lorenz Caffier für seine Leistung als Sportschütze ausgezeichnet wurde. Das
muss er sein, der zweite Verdächtige, legten sich viele im Dorf fest.
Jetzt versucht der Verdächtigte seit Tagen, zu erklären, dass er nur ein
Zeuge ist. Er ruft bei seinem Vereinsvorsitzenden an, bei der Lokalzeitung.
Schließlich kommentiert das Innenministerium des Landes: Gegen den Mann
laufen keine Ermittlungen. Nun hofft er, dass sein Dorf ihm glaubt.
2 Sep 2017
## LINKS
[1] /Rechte-in-Mecklenburg-Vorpommern/!5442493/
[2] /Ruecktritt-nach-taz/NDR-Enthuellungen/!5444012/
[3] /Brisanter-Chat-unter-Rechten/!5443989/
## AUTOREN
Christina Schmidt
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