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# taz.de -- Razzia gegen Schleusernetzwerk: Erfahrene Fälscher
> Eine Sicherheitsfirma soll Moldawier mit falschen Pässen versorgt und
> illegal beschäftigt haben. Gibt es Verbindungen zur Reichsbürgerszene?
Bild: 8. Mai 2018 in Bremen: Polizeibeamte begleiten einen Mann zum Einsatzwage…
Montags und donnerstags hat das Bürgerbüro der Samtgemeinde Alte Marck
geöffnet, jeweils von 16 bis 19 Uhr. Ein Termin mit der vermeintlichen
Gemeindeverwaltung um die angebliche Bürgermeisterin Ellen M. kann auch
telefonisch vereinbart werden. Bürgernah und niedrigschwellig gibt sich die
selbsternannte Gemeinde in Arendsee in Sachsen-Anhalt.
Auf der Webseite der „Gebietskörperschaft und Weltanschauungsgemeinschaft“
prangt rechts oben ein Bekenntnis: „Wir sind im Netzwerk gegen Nazis!
Reichsbürger“. An anderer Stelle steht: Die Menschen der Samtgemeinde
hätten zu keiner Zeit gegen die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt oder
gegen das Grundgesetz verstoßen. „Wir fordern die Einhalt des Grundgesetzes
… und nicht [die] kreative Auslegung!“
Am Montagabend stürmen allerdings Polizisten das Büro in Arendsee. Es geht
um Ellen M. Der Vorwurf: Sie soll die Buchhaltung für eine Sicherheitsfirma
gemacht haben, in der mit falschen Pässen eingeschleuste Moldawier illegal
beschäftigt wurden. Parallel wurden die Räume der Zweigstelle in Hamburg
durchsucht, am nächsten Morgen gibt es Razzien in den Unterkünften der
mutmaßlich eingeschleusten Personen. 800 Polizisten sind an der Aktion
beteiligt.
In Hamburg werden drei hauptverdächtige Männer vorläufig festgenommen. Nach
taz-Informationen befindet sich einer von ihnen mittlerweile wieder auf
freiem Fuß, die anderen beiden wurden in Untersuchungshaft genommen.
Ermittelt wird wegen des Verdachts auf gewerbs- und bandenmäßiges
Einschleusen von Ausländern. Die moldawischen Staatsangehörigen sollen mit
gefälschten rumänischen Personalausweisen ins Land gebracht und dann
illegal im Sicherheitsgewerbe beschäftigt worden sein. Einem
Polizeisprecher zufolge wurden sie „mit Niedriglöhnen und hohen Mieten“
ausgebeutet. Bei den Durchsuchungen seien nicht nur Bargeld, Unterlagen und
Datenträger beschlagnahmt worden, sondern auch Gold sowie scharfe Munition.
Ellen M. ist in dem Verfahren Zeugin, nicht Beschuldigte. Die von der
Staatsanwaltschaft Lüneburg geführten Ermittlungen sollen zeigen, wie eng
die Verbindungen zwischen dem mutmaßlichen Schleusernetzwerk und der
Reichsbürgerszene sind – und klären, ob etwa auch Geld in die Bewegung
geflossen ist.
## Vermeintliche Abgrenzung
Auf der Homepage der Samtgemeinde steht in holpernden Sätzen, dass man sich
von der Reichsbürgerszene abgrenze: „Die Samtgemeinde Alte Marck die
hiermit öffentlich bekannt gibt: Das sich die Samtgemeinde Alte Marck … von
der sogenannten ,REICHSBÜRGER' Bewegung distanziert.“
Dieser Darstellung widerspricht jedoch die Selbstbezeichnung, die man
ebenfalls online findet: „Samtgemeinde Alte Marck in der Preußischen
Provinz Sachsen Staatliche Gebietskörperschaft und
Weltanschauungsgemeinschaft in den Gemarktungen der Alten Marck nach
Deutschem Recht in Deutschland als Ganzes. Gebietsstand 31. 7. 1914“. Ganz
offensichtlich besteht aus Sicht der Samtgemeinde ein Reich als rechtliche
Form weiterhin. Das ist seit Jahrzehnten eine Position der sehr heterogenen
Reichsbürgerbewegung.
Versucht man die Gemeinde anzurufen, sagt eine freundliche Computerstimme:
„Der von Ihnen gewünschte Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar.“
Kontaktiert man die beschuldigte Sicherheitsfirma, die die gleiche
Anschrift führt wie das Bürgerbüro der Samtgemeinde Alte Marck, nimmt ein
Mann ab und sagt, man wolle sich nicht äußern, da es sich um ein laufendes
Verfahren handle. Dann legt er auf.
Mehr als 18.000 Personen rechnet das Bundesamt für Verfassungsschutz
mittlerweile dem Milieu der Reichsbürger zu. Im vergangenen Jahr stieg die
Zahl jener enorm an, die an das Fortbestehen eines Deutschen Reichs in den
unterschiedlichsten Grenzen glauben oder die Bundesrepublik als eine Firma
– „BRD GmbH“ – wahrnehmen. Diese Ideen, mit denen auch begründet wird,
keine Steuern, Bußgelder oder Gebühren zahlen zu wollen, haben sich aber
nicht verstärkt verbreitet. Die Sicherheitsbehörden schauen nur genauer
hin.
## Polizisten erschossen
Der Anlass des Umdenkens war der Tod eines Polizisten im fränkischen
Georgensgmünd. Der selbsternannte Reichsbürger Wolfgang P. erschoss ihn im
Oktober 2016 während einer Razzia. Seit jenem Tag bewerten die
Sicherheitsorgane die Anhänger dieser Bewegung nicht mehr nur als
„Spinner“, „Irre“ oder „Papierterroristen“, die Verwaltungen, Behö…
Gerichte mit seitenlangen Schreiben oder Anträgen herausfordern. Seit dem
Schuss gehen bundesweit die Sicherheitsorgane energisch gegen die Bewegung
vor – und auch die Medien berichten nun anders.
Einem vertraulichen Lagebericht des Bundeskriminalamts zufolge haben
Reichsbürger von 2015 bis Mitte 2017 mehr als 10.500 Straftaten verübt.
Nach einen Bericht aus dem Jahr 2017 kam es damals zu 750 Gewaltdelikten.
Mehr als 700 Taten richteten sich gegen Mitarbeiter von Behörden.
Die Bewegung, so schlagen Experten vor, solle wegen ihrer Heterogenität in
vier Milieus unterteilt werden: 1. Rechtsextreme, die eine Reichsidee
verfolgen, 2. Reichsbürger, die kommissarische Reichsregierungen gründen,
3. Selbstverwalter, die eigene Staaten, Königreiche oder Gemeinden
ausrufen, sowie 4. Souveränisten, die die Bundesrepublik nicht als
souveränen Staat anerkennen und sich für ein anderes, souveränes
Deutschland einsetzen.
## Urkunden gegen Gebühren
Die „Samtgemeinde Alte Marck“ ordnet Martin Burgdorf den Selbstverwaltern
zu. Der Experte vom Verein „Miteinander – Netzwerk für Demokratie und
Weltoffenheit“ aus Magdeburg sagt, die selbsternannte Gemeinde, deren
harter Kern etwa dreißig Personen umfassen soll, habe seit ihrer Gründung
2015 an lokalem Zuspruch gewonnen. Die „Gemeindevorsteherin“ Ellen M.
stellt gegen Gebühr Gewerbescheine, Trauungsbescheide und Geburtsurkunden
aus. Mehrere Gewerbetreibende aus Arendsee hätten mittlerweile ihr Gewerbe
abgemeldet und zahlten keine Gewerbesteuern mehr, sagte ein Sprecher des
Landesverfassungsschutzes jüngst auf einem Fachtag zum Thema Reichsbürger.
Die Samtgemeinde ist eine der wenigen Strukturen der Reichsbürgerbewegung,
denen eine Frau vorsteht. Rund 80 Prozent der Bewegung sind Männer, das
Durchschnittsalter liegt bei 50 Jahren. So intensiv wie die Gruppe in
Arendsee betreiben nur wenige Organisationen der Reichsbürgerszene den
Ausbau einer parallelen kommunalen Verwaltungs- und Wirtschaftsstruktur –
das macht sie zu einer besonderen Erscheinung in der Bewegung.
Aber auch in Arendsee kam es zum Streit: 2016 legten Mitglieder ihre Ämter
nieder, einzelne „Gemeinden“ verließen die Samtgemeinde. Ein Vorwurf: Der
harte Kern um M. bemühe sich vor allem um die eigenen Gewinne. Sollte sich
der Verdacht von Polizei und Staatsanwaltschaft bestätigen, könnten die
Gelder auch noch aus ganz anderen Quellen geflossen sein. Erfahrung im
Fälschen von Papieren dürfte zumindest vorhanden sein.
11 May 2018
## AUTOREN
Malene Gürgen
Andreas Speit
## TAGS
Reichsbürger
Razzia
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