| # taz.de -- Die Wohnungslosenkrise spitzt sich zu: Ein Obdach für 20 Tage | |
| > Für wohnungslose Familien gibt es in Berlin eine einzige Notunterkunft. | |
| > Berührende Einzelschicksale stehen stellvertretend für das Ausmaß der | |
| > Wohnungslosenkrise. | |
| Bild: In der ersten – und einzigen – Berliner Notunterkunft für obdachlos … | |
| Es ist einer der ersten wirklich kalten Tage dieses Herbstes, zwei Grad | |
| Celsius meldete der Wetterdienst für die Morgenstunden. Als es an der Tür | |
| klingelt, steht eine Familie mit einem kleinen Kind davor. Sie waren vor | |
| vier Tagen schon einmal da – und am Tag zuvor auch. Es sind Rumänen, die | |
| letzten Nächte haben sie in einem Bus am Görlitzer Park übernachtet. Die | |
| kleine Tochter ist vielleicht zwei Jahre alt. „Can we stay here?“, fragen | |
| sie. Heute hat die Familie Glück, in der einzigen Berliner Notunterkunft | |
| für wohnungslose Familien ist ein Zimmer frei geworden. Sie werden bleiben | |
| können, für maximal drei Wochen. | |
| Wie es danach weitergeht? „Ganz schwierig“, sagt Sozialarbeiterin Viola | |
| Schröder, Leiterin der Kreuzberger Einrichtung. Wenn kein Familienmitglied | |
| einen Job hat, haben Menschen aus anderen EU-Ländern keinen Anspruch auf | |
| Leistungen hier in Berlin – also weder auf einen Wohnheimplatz noch auf | |
| eine Wohnung im geschützten Segment, noch auf ein bezahltes Hostel. Jetzt, | |
| im Winter, bleiben zumindest die Kältehilfeeinrichtungen der Berliner | |
| Obdachlosenhilfe. Es sind alles keine Orte für Kinder. | |
| Doch selbst wenn sie Anspruch hätten: Die Plätze sind überall voll, denn | |
| immer mehr Menschen geraten in Wohnungsnot. „Die Wohnheime und Frauenhäuser | |
| rufen inzwischen bei uns an, weil sie nicht wissen, wohin mit den Menschen. | |
| Dabei sollen wir eigentlich an diese Einrichtungen weitervermitteln“, | |
| erzählt Schröder. | |
| Welche Ausmaße die Wohnungslosenkrise inzwischen angenommen hat, sieht man | |
| auch daran, dass mehr und mehr Familien, die schon lange oder immer in | |
| Berlin leben, in der Kreuzberger Notunterkunft stranden. So wie die | |
| Familie, die vor ein paar Tagen zu viert eines der Zimmer entlang des | |
| langen Flurs bezogen hat: eine Mutter mit zwei Töchtern, die ältere hat | |
| schon ein kleines Kind. Vor ein paar Wochen war die Familie wegen | |
| Mietschulden aus ihrer Marzahner Wohnung geräumt worden. | |
| ## 40.000 Menschen ohne feste Wohnung | |
| „Ich dachte doch, ich finde wieder einen Job.“ Das habe die Mutter erzählt, | |
| die sich nicht arbeitslos gemeldet hatte und keine Leistungen vom Jobcenter | |
| bezog. „Viele schämen sich so“, sagt Viola Schröder. Bevor die Familie | |
| hierher kam, hatte sie zunächst noch Unterschlupf bei einer weiteren | |
| Tochter gefunden. „Das ist ganz typisch“, sagt Schröder. Wohnungslosigkeit | |
| bleibe häufig erst einmal unsichtbar. Rund 40.000 Menschen ohne feste | |
| Wohnung, so schätzen es die Wohlfahrtsverbände, gibt es in Berlin. | |
| In diesem Fall geht die Geschichte vorerst gut aus. „Ich bin zufrieden, | |
| wenn die Menschen verstehen, dass das einfach passieren kann und kein Grund | |
| ist, sich zu schämen“, sagt Schröder. Die Mutter geht zum Jobcenter und | |
| dann zum Sozialamt. Noch am gleichen Tag kann ihrer Familie einer der raren | |
| Plätze in einem Wohnheim vermittelt werden. „In einem schönen sogar“, sagt | |
| Schröder. In einer kleinen Wohneinheit mit eigenem Bad wird die Familie | |
| vorerst leben können. Schröder weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit | |
| und nicht jedes Wohnheim ein guter Platz für Kinder ist. | |
| Als es noch einmal klingelt, stehen eine junge Frau vor der Tür, | |
| hochschwanger, ihr Mann und noch ein kleines Mädchen. Auch sie kommen aus | |
| Rumänien, sprechen weder deutsch noch englisch. | |
| Anas Kabil, einer der drei Integrationslotsen der Einrichtung, lässt auch | |
| diese Familie herein, obwohl kein einziges Zimmer mehr frei ist. | |
| „Wenigstens ein bisschen aufwärmen, etwas essen und trinken.“ Er könne | |
| nicht einfach nur zusehen. „Ich muss meine Seele satt machen“, sagt Kabil. | |
| Es ist ein arabischer Sinnspruch, die Übersetzung ins Deutsche klingt | |
| holprig. | |
| Dieser Text ist Teil eines mehrseitigen Schwerpunktes in der Printausgabe | |
| von taz Berlin am Wochenende 25./26.11.2017 – am Kiosk zu kaufen! | |
| 25 Nov 2017 | |
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| Manuela Heim | |
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