# taz.de -- Wohnungslose EU-BürgerInnen: Sie haben ein Recht auf Hilfe | |
> Mit neuen Angeboten reagiert der Senat auf die wachsende Zahl von | |
> EU-BürgerInnen unter Berlins Wohnungslosen. | |
Bild: Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) bei einer Bustour mit Jo… | |
Das Gesicht der Armut verändert sich – und das nicht erst seit gestern. In | |
den Notübernachtungen und Beratungsstellen der Wohnungslosenhilfe tauchen | |
seit Jahren immer mehr Menschen aus anderen EU-Ländern auf, oft sind es | |
ganze Familien. Doch bislang sind die Hilfsangebote der Stadt darauf kaum | |
eingestellt. „Armut wird international“, sagte Sozialsenatorin Elke | |
Breitenbach (Linke) bei einer Busrundfahrt zu Projekten der | |
Wohnungslosenhilfe, die am Mittwoch anlässlich der Zweiten | |
Strategiekonferenz gegen Wohnungslosigkeit (siehe Kasten)stattfand. „Darum | |
brauchen wir eine interkulturelle Öffnung der Wohnungslosenhilfe.“ | |
Erste Folge dieser Erkenntnis ist ein neues Projekt namens TRIA von | |
Caritas, Stadtmission und Gebewo, das auf wohnungslose EU-BürgerInnen | |
zugeschnitten ist. Sie werden von mehrsprachigen SozialarbeiterInnen | |
(Englisch, Polnisch, Bulgarisch, Rumänisch, Russisch) angesprochen – sowohl | |
an den Orten, wo sie sich aufhalten, etwa in Notübernachtungen der | |
Kältehilfe, in Suppenküchen, bei der Bahnhofsmission oder der | |
Hygienestation, als auch in der neuen Beratungsstelle in der Neuköllner | |
Hobrechtsstraße. | |
Neben der Versorgung mit dem akut Nötigsten wird in Einzelgesprächen | |
geklärt, welche Perspektiven die jeweilige Person hat und ob eine | |
Vermittlung in die staatliche Regelversorgung möglich ist. Denn viele | |
weiterführende Hilfen wie Arbeitslosengeld II oder eine Krankenversicherung | |
sind Nichtdeutschen zunächst oft nicht zugänglich. „Aber eine individuelle | |
Beratung ist immer hilfreich, da sind viel mehr Sachen möglich, als man | |
zunächst denkt“, erklärte TRIA-Leiter Kai-Gerrit Venske. Das im August | |
gestartete Projekt wird vom Senat mit jährlich 300.000 Euro aus dem | |
Integrierten Sozialprogramm (ISP) finanziert. | |
Bislang werden wohnungslose EU-BürgerInnen in Berlin nur von dem Projekt | |
„Frostschutzengel Plus“ betreut, das seit 2013 ähnlich wie TRIA arbeitet. | |
Allerdings sind die Frostschutzengel kein Senatsprojekt. Sie wurden anfangs | |
über Stiftungsgelder und Eigenmittel des Trägers bezahlt; seit Anfang 2017 | |
kommt das Geld vom Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten | |
benachteiligten Personen in Deutschland (EHAP) – dies aber nur noch für | |
zwei Jahre. Diese Finanzierung lege den Frostschutzengeln zudem | |
Begrenzungen auf, erklärte Venske. So dürften die BeraterInnen nicht in | |
Richtung Integration in Arbeit vermitteln. | |
## Intensiv-Clearing verspricht Erfolge | |
Hier setzt TRIA an. So können in einem Teilprojekt nun acht Wohnungslose | |
für acht Wochen in einer Art WG der Stadtmission in der Lehrter Straße | |
untergebracht werden. Dort versuchen BeraterInnen, sie mittels eines | |
Intensiv-Clearings wieder auf die Beine zu stellen – offenbar mit großem | |
Erfolg. | |
Im „ersten Durchgang“ habe man bei fast allen substanzielle Verbesserungen | |
erreichen können, so Venske. Für einen habe man einen Wohnheimplatz | |
organisiert, einem anderen eine Arbeitsstelle verschafft, ein dritter habe | |
Anrecht auf Arbeitslosengeld I gehabt. | |
Dass der Senat nun Geld für eine Beratungsstelle speziell für | |
EU-BürgerInnen gibt, wissen die Träger zu schätzen. Früher, so | |
Gebewo-Sprecher Robert Veltmann, habe man nicht einmal darüber reden | |
dürfen, dass immer mehr Polen in die Notschlafstellen kämen. Die Träger | |
hätten Angst gehabt, dass ihnen die Mittel gestrichen würden, wenn sie | |
dieser Clientel helfen. „Heute suchen wir gemeinsam nach Lösungen.“ | |
Manchmal ist es aber doch (noch) eher ein Gegeneinander. So würden sich | |
Bezirke immer wieder weigern, obdachlose EU-BürgerInnen in ihren Wohnheimen | |
unterzubringen, berichtet Veltmann. Eigentlich sind sie dazu nach dem | |
Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz verpflichtet. „Aber da müssen | |
wir immer wieder mit dem Anwalt kommen.“ | |
10 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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