# taz.de -- Unterstützung für Obdachlose in Berlin: Eine warme Geste | |
> Die Kältehilfe startet erstmals bereits am 1. Oktober – einen Monat | |
> früher als sonst und mit so vielen Plätzen wie noch nie. | |
Bild: Es werden jedes Jahr mehr: Obdachloser in einem U-Bahnhof in Berlin | |
Was noch vor zehn Tagen undenkbar schien, ist plötzlich wahr – mit Beginn | |
des Herbstes fallen die Temperaturen nachts fast auf den Gefrierpunkt. Und | |
so ist es nur gut, dass die Kältehilfe für obdachlose Menschen in diesem | |
Jahr erstmals schon am 1. Oktober beginnt statt wie sonst üblich am 1. | |
November. | |
139 Plätze in Notübernachtungen werden es zunächst sein, auch zwei | |
Nachtcafés öffnen am Montagabend ihre Pforten. Sukzessive sollen es bis zu | |
1.000 Schlafplätze in dieser Wintersaison werden, 755 davon habe man | |
bereits fest, erklärte die Sprecherin von Sozialsenatorin Elke Breitenbach | |
(Linke), Regina Kneiding, auf taz-Anfrage – „so viele wie noch nie“. | |
Möglich war dies dank der neuen „Koordinierungsstelle Standortentwicklung | |
Kältehilfe“ (KSK), die im Februar ihre Arbeit aufgenommen hat und nun | |
ganzjährig Immobilien für das temporäre Hilfsprojekt sucht. Damit sei ein | |
großes Problem der Kältehilfe-Träger entschärft worden, lobt Robert | |
Veltmann, Sprecher der Gebewo Soziale Dienste, die die Angebote von | |
Wohlfahrtsverbänden, Kirchengemeinden und Vereinen koordiniert. „Denn die | |
Raumfrage hat sich mit den Jahren immer weiter zugespitzt“, erklärt er. | |
Teils hätten die Übernachtungsstellen erst im Dezember oder Januar öffnen | |
können, weil sie bis dahin mit der Suche nach geeigneten Örtlichkeiten | |
beschäftigt waren. | |
Die Koordinierungsstelle ist ein erstes greifbares Ergebnis der 1. | |
Strategiekonferenz zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, die die | |
Sozialverwaltung im Januar einberufen hatte. Die Konferenz soll nach | |
Lösungen suchen für die seit Jahren steigende Zahl der obdachlosen und | |
wohnungslosen Menschen, zu denen immer mehr Familien sowie in Berlin | |
gestrandete EU-AusländerInnen gehören. | |
## Bis zu 10.000 auf der Straße | |
Die Wohlfahrtsverbände schätzen, dass in Berlin 4.000 bis 10.000 auf der | |
Straße leben. Dazu kommen mehr als 30.000 ordnungsrechtlich (also ohne | |
eigenen Mietvertrag) in betreuten Wohnformen und Pensionen Untergebrachte. | |
Wie viele Menschen zudem bei Freunden oder Familienangehörigen auf der | |
Couch schlafen, weiß niemand. | |
Damit man sich ein genaueres Bild über die Ausmaße des Problems machen | |
kann, hatte die Januar-Konferenz unter anderem beschlossen, eine Statistik | |
zur Wohnungslosigkeit zu erstellen, die derzeit von der | |
Alice-Salomon-Hochschule erarbeitet wird. Wie weit man damit ist, wird auf | |
der Zweiten Strategiekonferenz besprochen, die für den 10. Oktober | |
anberaumt ist. Dann sollen auch die anderen Arbeitsgruppen, etwa zu den | |
Themen Jugend, EU-Ausländer, Prävention, Frauen und Familien und | |
Weiterentwicklung der Kältehilfe über ihre Fortschritte berichten. | |
Zwei weitere gute Nachrichten können schon jetzt vermeldet werden. Die | |
erste: Die Caritas wird demnächst eine Krankenwohnung mit 15 Betten in | |
Moabit eröffnen. Mit der Finanzierung dieses Projekts erfüllt die | |
Sozialverwaltung eine langjährige Forderung der Wohlfahrtsverbände, über | |
die auch bei der Ersten Strategiekonferenz viel geredet wurde. | |
Denn sowohl die Caritas, die seit 26 Jahren die Ambulanz für obdachlose | |
Menschen am Bahnhof Zoo und fast ebenso lang das Arzt-Mobil betreibt, als | |
auch die anderen Träger der Wohnungslosenhilfe machen die Erfahrung, dass | |
Menschen, die auf der Straße leben, immer kränker werden: „Sie kommen mit | |
Hauterkrankungen, Wundinfektionen, Erfrierungen. Aber auch gebrochene | |
Knochen, Bauchkrämpfe, Blutvergiftungen – was für jeden gefährlich ist, | |
wird auf der Straße schnell lebensbedrohlich“, erzählt Thomas Gleißner, | |
Sprecher der Caritas. | |
Weil die meisten aber keine Krankenversicherung beziehungsweise einen | |
unklaren Versicherungsstatus haben, können sie nur in akuten Notfällen ins | |
Krankenhaus gebracht werden. Sie müssten daher nach der ambulanten | |
Versorgung in der Regel zurück auf die Straße geschickt werden, erklärt | |
Gleißner. „In der Krankenwohnung haben sie nun die Möglichkeit, sich | |
auszukurieren.“ Bis zu vier Wochen könnten die Kranken bleiben, würden in | |
der Zeit von Pflegekräften und Ärzten betreut, Sozialarbeiter würden zudem | |
versuchen, Wege aus der Obdachlosigkeit zu finden. | |
Die zweite gute Nachricht: Der Verein mob e.V. hat Lottomittel für den | |
Umbau eines Teil seines Hauses in der Storkower Straße zur Unterkunft für | |
obdachlose Familien bewilligt bekommen. Dies erklärte Breitenbachs | |
Sprecherin Kneiding auf taz-Anfrage. Damit sei so gut wie sicher, dass der | |
Verein auch Mittel zum Betrieb des Heims aus dem Integrierten Sozialfonds | |
(ISP) des Senats bekommen werde. | |
Auch das ist dringend nötig, denn es kommen immer mehr Familien sowohl zu | |
den Übernachtungsstellen der Kältehilfe als auch zu den ganzjährig | |
geöffneten Notunterkünften für Obdachlose – diese aber sind kein Ort für | |
Kinder. Bislang finanziert der Senat mit ISP-Mitteln nur ein Familienheim – | |
das der Diakonie in der Kreuzberger Wrangelstraße mit 30 Plätzen. | |
Eigentlich wäre sogar Geld da für weitere 70 Plätze – nur dass dafür seit | |
über einem Jahr kein geeignetes Haus gefunden wurde. | |
1 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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