| # taz.de -- Berliner S-Bahn: Atonal doch nicht ideal | |
| > Nach einem Protestkonzert gibt die S-Bahn die Idee auf, Junkies und | |
| > Trinker mit atonaler Musik vom Bahnhof Hermannstraße zu vertreiben. | |
| Bild: Quaken gegen Obdachlose? – Nicht mit ihm | |
| Zwei Saxofonistinnen stehen am Eingang der S-Bahn-Station Hermannstraße und | |
| entlocken ihren Instrumenten ein Hupen und Jaulen. Besonders schön geraten | |
| die Stellen, an denen sich das Neuköllner Ambiente direkt mit der Musik | |
| verbindet – wenn also ein Polizeiauto mit grellem Tatütata vorbeirast oder | |
| ein Busfahrer demonstriert, dass seine Hupe lauter ist als jeder noch so | |
| schrille Saxofon-Ton. | |
| Die Initiative Neue Musik Berlin hatte zu dem kleinen Konzert am Freitag | |
| geladen – an den Ort, wo die Berliner S-Bahn angekündigt hatte, demnächst | |
| sogenannte atonale Musik spielen zu wollen. Nicht, weil man damit Fahrgäste | |
| beglücken wollte, im Gegenteil: um Herumlungerer und Trinker zu vertreiben, | |
| die sich vor dem S-Bahn-Eingang in zu hoher Zahl aufhielten. | |
| Die Idee schlug Wellen: Lisa Benjes, Mitarbeiterin der Initiative Neue | |
| Musik, macht am Freitag deutlich, wie dumm und geschichtsvergessen der | |
| Vorstoß der Berliner S-Bahn-Betriebe sei. Benjes verweist darauf, dass der | |
| Begriff „atonale Musik“ Komponisten wie Arnold Schönberg und Alban Berg in | |
| den 1920er Jahren diskreditieren sollte. | |
| Später wurde deren kompositorisches Schaffen von den Nazis zur sogenannten | |
| Entarteten Kunst gezählt. Und mit einer einst derart verfemten Musik wolle | |
| man nun gegen Menschen am Rande der Gesellschaft vorgehen? „Wenn man | |
| darüber nachdenkt, ist das, was hier geplant wird, wirklich nicht mehr | |
| lustig“, so Lisa Benjes. | |
| ## „Musik soll Spaß machen“ | |
| Auch über die Ressentiments gegenüber einer Musikrichtung, die hier in | |
| platter Weise nur verstärkt würden, kann sie sich trefflich aufregen. | |
| Boulevardblätter hätten von „Gruselklängen gegen Obdachlose“ fabuliert. | |
| Benjes sieht darin die Instrumentalisierung einer Musikform, die eigentlich | |
| „auch Spaß machen soll“. Spaß macht es den Leuten, die zahlreich zum | |
| Bahnhofskonzert gekommen sind, sichtlich. Neben Musik gibt es belegte | |
| Brötchen, Kartoffelsalat und Bier. Die Message ist klar: Atonale Musik, | |
| wenn man sie denn so nennen mag, soll Menschen zusammenbringen, nicht | |
| spalten. | |
| Vor dem S-Bahnhof Hermannstraße waren eher ruhige „atonale“ Klänge zu | |
| vernehmen. Ein Flötist spielte nach den Saxofonistinnen Glissandi mit sehr | |
| viel Pausen zwischen den Tönen. Danach war ein Cellist an der Reihe, der | |
| sich von einem Synthesizer begleiten ließ. Auch nichts, was als Musikfolter | |
| durchginge. | |
| Dass auch jemand von der Berliner S-Bahn selbst am Freitag bei dem kleinen | |
| Konzert war, wurde am Tag darauf bekannt. Die S-Bahn Berlin GmbH bestätigte | |
| am Sonntag auf taz-Anfrage Zeitungsberichte vom Samstag, man wolle von der | |
| Sache mit der atonalen Musik in dem S-Bahnhof Abstand nehmen. Stattdessen | |
| will man es nun vielleicht mit Naturgeräuschen versuchen. | |
| Gezwitscher gegen Biertrinker, Quaken gegen Obdachlose? Mal sehen, was die | |
| Vögel und Frösche von der Idee halten werden. | |
| 26 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
| ## TAGS | |
| Festival Berlin Atonal | |
| S-Bahn Berlin | |
| Deutsche Bahn | |
| Alkoholabhängigkeit | |
| Elke Breitenbach | |
| Festival Berlin Atonal | |
| S-Bahn Berlin | |
| Öffentlicher Raum | |
| Obdachlosigkeit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Aufregung über Elend am Bahnhof Altona: Erscheinungen der Großstadt | |
| CDU und SPD finden öffentliches Urinieren und Alkoholismus am Bahnhof | |
| Altona „unerträglich“. Vielleicht würde es helfen, Toiletten aufzustellen. | |
| Unterstützung für Obdachlose in Berlin: Eine warme Geste | |
| Die Kältehilfe startet erstmals bereits am 1. Oktober – einen Monat früher | |
| als sonst und mit so vielen Plätzen wie noch nie. | |
| Elektronikfestival Berlin Atonal: Wesen, durch die Strom fließt | |
| Beim Musikfestival Berlin Atonal konnte sich das Publikum fünf Tage lang | |
| für einen Moment mit den Maschinen versöhnen. | |
| Berliner Wochenkommentar I: Hören mit Schmerzen | |
| Die Bahn setzt bei der Vertreibung von unerwünschten Gästen im S-Bahnhof | |
| Hermannstraße auf Dissonantes. | |
| Verdrängung durch Musik in Neukölln: Klingt echt schräg! | |
| Die Bahn geht akustisch in die Offensive: Am S-Bahnhof Hermannstraße sollen | |
| Junkies und Trinker mit atonaler Musik vertrieben werden. | |
| Berliner Wochenkommentar I: Scheitern? Bitte woanders! | |
| Die Debatte über Obdachlose aus Osteuropa, die vor allem im Tiergarten | |
| campieren, treibt seltsame Blüten. Über Vor- und Nachteile einer | |
| globalisierten Welt. |