# taz.de -- Zwangsumzüge in Berlin: Bleiben wird leichter | |
> Seit Erhöhung der Mietobergrenzen für Hartz-IV-Empfänger gibt es weniger | |
> Zwangsumzüge. Der Mieterverein fordert weitere Maßnahmen. | |
Bild: Besser nicht umziehen: Bleiben ist häufig die halbe Miete | |
Es ist die Schreckensvorstellung vieler Arbeitsloser: Weil das Jobcenter | |
ihre Miete als zu hoch einschätzt, müssen sie in eine billigere Wohnung | |
umziehen – und dabei möglicherweise auch das vertraute Viertel verlassen. | |
Zu diesen Zwangsumzügen kommt es in Berlin nun deutlich seltener als noch | |
vor ein paar Jahren: Während 2011 noch 1.337 Hartz-IV-Haushalte wegen einer | |
zu hohen Miete die Bleibe wechseln mussten, waren es 2017 insgesamt 481. In | |
diesem Jahr ist die Zahl der Umzüge noch einmal gesunken: Lediglich 129 | |
Hartz-IV-Haushalte mussten bis Ende Juni die Wohnung wechseln. | |
Das geht aus Daten hervor, die Sozialsenatorin Elke Breitenbach | |
(Linkspartei) am Mittwoch veröffentlicht hat. Für Arbeitslose und | |
SozialhilfeempfängerInnen übernehmen die Jobcenter und Sozialämter die | |
Kosten der Unterkunft. Wie hoch die Miete jeweils liegen darf, regelt das | |
Land in den sogenannten Ausführungsvorschriften Wohnen (AV Wohnen). Die | |
Richtwerte hat die Sozialverwaltung zum Januar 2018 deutlich erhöht: Für | |
eine alleinstehende Person wird heute eine Bruttokaltmiete von 404 Euro pro | |
Monat (siehe Kasten) gezahlt; im Jahr 2017 lag die Grenze noch bei 365 | |
Euro. Eine vierköpfige Familie bekommt 680 Euro pro Monat bezahlt; vor | |
einem Jahr waren es 587 Euro. | |
## Stadtviertel verändern sich | |
„Wir wollen, dass möglichst viele Menschen in ihrer Wohnung bleiben | |
können“, sagte Breitenbach. Ein Umzug sei nicht nur für die Betroffenen | |
dramatisch, sondern verändere auch die Vielfalt in den Stadtvierteln. | |
Bisher habe nur knapp die Hälfte der 261.000 Hartz-IV-Haushalte innerhalb | |
der Richtwerte gelegen, jetzt seien es über zwei Drittel, so die | |
Sozialsenatorin. 18,5 Millionen Euro habe der Senat in diesem Jahr für die | |
Mehrkosten bereitgestellt. | |
Breitenbach schränkte mit Blick auf die steigenden Mieten aber selbst ein: | |
„Wir hinken immer noch hinterher.“ Gerade für Paare sei es nach wie vor | |
schwierig, eine Wohnung innerhalb der Mietobergrenzen zu finden. Mehr habe | |
sie im Senat an dieser Stelle aber nicht durchsetzen können, so | |
Breitenbach. | |
Wer als Hartz-IV-Empfänger in einer Wohnung lebt, deren Miete über den | |
Richtwerten liegt, muss nach einem halben Jahr die Kosten senken. Manche | |
vermieten ein Zimmer unter oder verhandeln mit dem Vermieter. Um nicht | |
umziehen zu müssen, bestreiten Betroffene die Differenz zwischen dem vom | |
Amt bezahlten Richtwert und der tatsächlichen Miete oft auch selbst: Sie | |
nehmen das Geld aus dem Regelsatz, der eigentlich für das tägliche Leben | |
gedacht ist. Das sei häufig der Einstieg in eine Verschuldung, warnte | |
Breitenbach. | |
Trotzdem entscheiden sich nach wie vor viele für diesen Weg. Aus der | |
Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei geht | |
hervor, dass in Berlin 2017 jede achte Bedarfsgemeinschaft eine höhere | |
Miete zahlte als die, die das Amt anerkennt. Wobei sich die Zahl seit 2011 | |
halbiert hat: Damals legte noch jede vierte Bedarfsgemeinschaft etwas auf | |
die Miete drauf. Wenn die Menschen heute ihre Miete aufstocken, dann aber | |
kräftig: 132 Euro zahlten sie 2017 im Schnitt im Monat zu – so viel wie in | |
keinem anderen Bundesland. Auf Platz zwei folgt Bayern; dort betrug die | |
Lücke zwischen der anerkannten und der tatsächlichen Miete durchschnittlich | |
89 Euro im Monat. | |
Wie streng die Mietobergrenze eingehalten wird, variiert: In Berlin gibt es | |
zahlreiche Ausnahmefälle, in denen das Jobcenter auch eine höhere Miete | |
akzeptiert. | |
## Zuschlag für Wohnungssuchende | |
Die von der Linkspartei geführte Sozialverwaltung hat die Regeln für | |
Härtefalle zum Januar 2018 ausgeweitet: Bisher konnten etwa | |
Alleinerziehende, über 60-Jährige oder Familien, die auf einen kurzen | |
Schulweg angewiesen sind, die Richtwerte um 10 Prozent überschreiten. Das | |
gilt jetzt auch für alle jene, die pflegebedürftig sind oder selbst | |
pflegen, die zehn Jahre in einer Wohnung gelebt haben oder die einen | |
Modernisierungszuschlag zahlen müssen. Wem Wohnungslosigkeit droht, etwa | |
weil ihm die Wohnung gekündigt wurde, dem zahlt das Amt auch 20 Prozent | |
mehr Miete. | |
Das gilt ebenfalls für Geflüchtete oder Wohnungslose, die bisher in Heimen | |
leben: Wegen des angespannten Mietmarkts können in | |
Gemeinschaftsunterkünften untergebrachte Menschen nicht ausziehen. Das | |
verstopfe das Hilfesystem, so Breitenbach. Die Unterbringung in Heimen ist | |
häufig teurer als die in einer Wohnung. Auch HeimbewohnerInnen sollen nun, | |
wenn sie eine Wohnung finden, den Richtwert um 20 Prozent überschreiten | |
dürfen. | |
„Die Neuerungen sind insgesamt ein großer Fortschritt für die armen | |
Menschen“, sagte Frank Steger vom Berliner Arbeitslosenzentrum (Balz). Die | |
Richtwerte seien jetzt deutlich dichter an der Realität des | |
Wohnungsmarktes. Sein Eindruck sei allerdings, dass sich die Neuerungen in | |
den Jobcentern noch nicht überall herumgesprochen haben. Weil die Mieten | |
weiter steigen, schlägt Steger zudem vor, die AV Wohnen nicht nur alle zwei | |
Jahre, sondern jährlich anzupassen. | |
Auch Reiner Wild vom Berliner Mieterverein geht davon aus, dass die neuen | |
Regelungen etwas bewirken. Allerdings sei fraglich, ob das ausreiche, so | |
Wild. „Wenn knapp ein Drittel der Bedarfsgemeinschaften über den | |
Richtwerten liegt, ist das immer noch gewaltig.“ Er glaube auch nicht, dass | |
ein Zuschlag von 20 Prozent bei der Suche nach einer neuen Wohnung genug | |
sei. „Das wird die Entmischung in der Innenstadt nicht aufhalten.“ | |
22 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
## TAGS | |
Hartz IV | |
Mieten | |
Verdrängung | |
Sozialpolitik | |
Sozialhilfe | |
Hartz IV | |
Hartz IV | |
Wohnungslosigkeit | |
Hartz IV | |
Geld | |
Hartz IV | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mietzuschüsse in Berlin: Bisschen mehr vom Amt | |
Die Mietzuschüsse werden erneut erhöht. Sozialsenatorin Elke Breitenbach | |
warnt: Die steigenden Mieten wird das nicht ausgleichen können. | |
Kommentar Umziehen mit Hartz IV: Kafka im Jobcenter | |
Der Staat will, dass Vermieter die Mieten alle drei Jahre erhöhen können. | |
Dann muss er aber auch Jobcentern erlauben, die Erhöhung mitzutragen. | |
Arbeitslose im Mieterverein: Etwas mehr Mieterschutz für Arme | |
Ab Januar übernimmt das Amt bei Arbeitslosen die Mitgliedsbeiträge für den | |
Mieterverein. Das soll sich sogar rechnen. | |
Wohnungslose EU-BürgerInnen: Sie haben ein Recht auf Hilfe | |
Mit neuen Angeboten reagiert der Senat auf die wachsende Zahl von | |
EU-BürgerInnen unter Berlins Wohnungslosen. | |
Berliner Wochenkommentar II: Wehe dem, der rausmuss | |
Die neuen Obergrenzen der Mieten bei Hartz IV helfen vielen. Doch wer eine | |
neue Wohnung sucht, hat es weiterhin schwer. | |
Interview Schuldnerberaterin: „Es gibt immer einen Ausweg“ | |
In Berlin ist jeder achte Erwachsene pleite. Wer sich an Regeln halte, | |
könne aber aus den Miesen kommen, sagt Schuldnerberaterin Susanne | |
Wilkening. | |
Hartz-IV in Berlin: Nur halb so viele Zwangsumzüge | |
Deutlich weniger Hartz-IV-Empfänger mussten die Wohnung wechseln. Der | |
Senator sieht lobt die neuen Mietobergrenzen. Der Mieterverein | |
widerspricht. | |
Hartz-IV-Zwangsumzüge: Arbeitslose können einpacken | |
Die Zwangsumzüge bei Hartz IV haben sich 2010 mehr als verdoppelt. Der | |
Senat verweist auf gestiegene Wohnkosten. Der Mieterverein fordert höhere | |
Mietobergrenzen. |