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# taz.de -- Obdachlosigkeit in Berlin: Jetzt ein Platz im Warmen
> Die Kältehilfesaison beginnt, und immer mehr Obdachlose leben in der
> Stadt. Die Wohlfahrtsverbände alarmieren: „Wir schaffen das nicht mehr“.
Bild: Start der Kältehilfesaison: Bald ist es entschieden zu kalt für die Par…
Nieselregen, Temperaturen um die 10 Grad Celsius. „Wenn ich mir das Wetter
anschaue, hätten wir schon vor einer Woche losfahren sollen“, sagt der
Fahrer vom Wärmebus des Roten Kreuzes. Den neunten Herbst und Winter fährt
Herbert Szokalsky die Tour. In S-Bahn-Unterführungen oder unter Brücken
sucht er nach hilfebedürftigen Obdachlosen. Der Kofferraum des Kleinbusses
ist vollgepackt mit warmen Pullovern, Hosen, Schuhen. Vor allem aber mit
Schlafsäcken und Isomatten. „Es wollen ja nicht alle in eine Unterkunft“,
sagt Szokalsky. Zum Glück, könnte man sagen. Denn für alle Menschen ohne
Obdach reichen die knapp 700 Plätze, die seit gestern mit der Kältehilfe
zur Verfügung stehen, bei Weitem nicht aus.
Zum 28. Mal stellen Berliner Wohlfahrtsverbände in Zusammenarbeit mit den
Bezirken und dem Senat Übernachtungsmöglichkeiten bereit. Aktuell gibt es
670 Plätze in Notunterkünften und Nachtcafés, bis zum Dezember sollen es
noch über 1.000 werden. Vor zehn Jahren waren es noch rund 350 Plätze, im
vergangenen Jahr schon rund 920. Die Zahl der Berliner Obdachlosen hat sich
nach Schätzungen der Wohlfahrtsverbände allein in den vergangen fünf Jahren
auf rund 6.000 vervierfacht.
Trotz dieser Diskrepanz eröffnete Barbara Eschen, Direktorin der Diakonie
Berlin-Brandenburg, die Kältehilfesaison am gestrigen Mittwochvormittag mit
den Worten „Tausend Plätze sind genug“. Genug, weil die Wohlfahrtsverbände
mehr nicht schaffen könnten und die Kältehilfe nie als Regelversorgung
gedacht war. Immer mehr Menschen würden auf der Straße leben, weil es nicht
ausreichend preiswerten Wohnraum gebe und das Hilfesystem nicht genüge.
„Das kann und darf die Kältehilfe nicht ausbügeln“, so Eschen.
Die Debatte über den Umgang mit einer wachsenden Zahl von Obdachlosen in
der Stadt erhitzt seit einigen Wochen die Gemüter. Ausgelöst wurde sie
durch einen Mord im Tiergarten Anfang September, mutmaßlich begangen von
einem jungen Obdachlosen aus Tschetschenien. Der für den Tiergarten
zuständige Bürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), beklagte
daraufhin unhaltbare Zustände in dem öffentlichen Park und kündigte
schärfere Maßnahmen an.
## Umstrittene Räumungen
Am vergangenen Montag wurde ein Zeltlager im Tiergarten schließlich
geräumt. Zwei Wochen zuvor waren bereits die Lager von Obdachlosen am
Hansaplatz geräumt worden. Die betroffenen Personen habe man vor der
Durchführung der Räumung über Hilfsangebote wie Notübernachtungen,
Beratungen und Kältehilfen aufgeklärt, teilte der Bezirk am Montag mit.
Gerade an einer nachhaltigen Hilfe mit individueller Beratung fehle es aber
in der Stadt, klagen die Wohlfahrtsverbände, die die Räumungen zuletzt
scharf kritisierten.
Osteuropäische Obdachlose ohne Deutschkenntnisse, Menschen mit
Behinderungen und Pflegebedarf – mit diesen besonderen Bedarfen seien seine
Mitarbeiter überfordert, sagt Ulrich Neugebauer von der Berliner
Stadtmission, die 120 saisonale Schlafplätze und auch einen Kältebus
bereitstellt. „Mit großer Sorge blicken wir auf die nächsten Monate“, so
Neugebauer am Mittwoch.
Die Unterkünfte der Kältehilfe brächten jetzt zwar für ein paar Monate
Entlastung, sagt Caritas-Direktorin Ulrike Kostka. Aber sie ersetzten keine
berlin- und deutschlandweite Gesamtstrategie zum Umgang mit
Obdachlosigkeit. „Ich hoffe, dass die Politik jetzt nicht in ein
Kältehilfe-Koma verfällt.“
Wärmebus-Fahrer Szokalsky sieht indes seinen ersten kalten Nächten in
diesem Herbst entgegen. Von 18 bis 24 Uhr wird er mit dem Bus unterwegs
sein. „Ich werde auch viele Gesichter aus den vergangenen Jahren
wiedersehen“, ist sich Szokalsky sicher.
2 Nov 2017
## AUTOREN
Manuela Heim
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