| # taz.de -- Debatte Zivilgesellschaft und Rassisten: Das Rechte gegen rechts | |
| > AfD, NPD oder Ku-Klux-Klan: Die grundlegenden Werte sind bei allen | |
| > Rechten gleich. Die demokratische Zivilgesellschaft muss sich | |
| > dagegenstellen. | |
| Bild: Entschieden gegen rechts: Demonstrierende in Minneapolis am Montag | |
| Gewiss, es gibt Unterschiede zwischen „besorgten Bürgern“, | |
| Pegida-Anhängern, AfD-Wählerinnen und -Wählern, aktionistischen | |
| Identitären, der Neuen Rechten, Reichsbürgern, der NPD, faschistischen | |
| Kameradschaften, Rechtsterroristen usw. So wie es Unterschiede zwischen | |
| NeoCons, Alt Rights, Ku-Klux-Klan, Blood & Honour, White Supremacy, | |
| christlichen Fundamentalisten und gewöhnlichen Trump-Wählern gibt. | |
| Der Blick nach Charlottesville indes zeigt, wie rasch sich das alles zu | |
| einer gewalttätigen Aktion formt, und in den Täterprofilen ist zu erkennen, | |
| wie problemlos jemand mehreren Szenen gleichzeitig angehören kann und wie | |
| engmaschig das rechte Netz in den westlichen Gesellschaften bereits ist. | |
| Denn die grundlegenden „Werte“ der Rechten sind überall die gleichen: | |
| Nationalismus, Rassismus, Sexismus, Antidemokratie, Antiliberalität, | |
| Antiaufklärung. | |
| Die Unterschiede sind vor allem strategischer und ästhetischer Natur: Soll | |
| man zuerst die Köpfe, dann die Straße und dann die „Regierung“ erobern? | |
| Oder anders herum? Soll man eine rechte Gegenkultur errichten oder doch | |
| lieber bürgerliche Masken anlegen? Soll man sich mit einer normativen | |
| Demokratie arrangieren, in der man eine rechte Hegemonie erlangen kann, | |
| soll man sie autokratisch umformen oder doch lieber „hinwegfegen“? Die | |
| Antwort ist: alles zugleich und immer dort, wo der Gegner Schwäche zeigt, | |
| wo Korruption, Opportunismus, Gleichgültigkeit und taktische | |
| Depolitisierung Einfallstore und Aufmarschplätze bieten. | |
| Gewiss sind auch die Demokraten, die Liberalen, die Linken, die Menschen- | |
| und Bürgerrechtler, die Friedensbewegungen, die Emanzipationsgruppen, die | |
| Graswurzel-Aktivisten, die Alternativen, die Feministinnen, die | |
| LGBT-Comunitys, die engagierten Staatsbürgerinnen und -bürger, die | |
| kritische Gegenöffentlichkeit, die Antifaschisten organisiert und vernetzt | |
| und zur Gegenmobilisierung in der Lage. Aber ansonsten sind sie auch von | |
| gegenseitigen Distanzierungen, von Streit, Spaltung, Delegitimierung und | |
| Misstrauen geprägt. | |
| ## Halblinks gegen Dreiviertellinks | |
| Da muss sich noch der 87-Prozent-Linke vom 91-Prozent-Linken distanzieren, | |
| kaum etwas kann gesagt werden, das nicht mit einer Distanzierung von | |
| Extremismus, Gewalt, Übertreibung, Dogma, Alarmismus usw. auf der einen | |
| Seite mit einer Distanzierung von Nachgiebigkeit, Opportunismus, | |
| Abwiegelei, Egoismus, Bürgerlichkeit, Verblendung auf der anderen verbunden | |
| ist. Das macht: Der Streit zwischen den Linken, den Demokraten und den | |
| Liberalen und ihren vielen Spielarten ist nicht nur taktisch oder | |
| strategisch, sondern auch inhaltlich bestimmt. | |
| Und das ist ja auch gut so. Denn natürlich funktioniert eine politische | |
| Kultur, die nicht auf Machtübernahme und Vernichtung aufgebaut ist, sondern | |
| auf moralischen und rationalen Entscheidungen, anders als eine, die auf | |
| Mythen und Phantasmen gewaltige Gebäude von Hass, Verachtung und Gewalt | |
| errichtet. Der Streit gehört zur Demokratie, Differenzierung und | |
| Interaktion zum Gesellschaftsbild, Pluralität zum politischen Liberalismus. | |
| Die sozialen Bewegungen gegen die Supermächte von Neoliberalismus und | |
| Postdemokratie sind so gut, wie sie kommunikativen Individualismus, | |
| kritische Debatte, Toleranz und Vielfalt bergen; sie sind verloren, wo sie | |
| neue Dogmen, quasireligiösen Eifer und innere Intoleranz entfalten. In | |
| dieser politischen Kultur geht es nicht darum, sich einer Einheit zu | |
| unterwerfen, sondern Formen zu entwickeln, die Solidarität ohne | |
| Unterwerfung, Streit ohne Kränkung, eine Einheit der Unterschiedlichen | |
| ermöglicht. | |
| Die Auseinandersetzung zwischen der „identischen“ rechten Bewegung und | |
| einer vielfältigen und uneinheitlichen demokratischen, liberalen und linken | |
| Bewegung ist offenkundig asymmetrisch. Das beginnt schon damit, dass all | |
| das, was zwischen Rechtspopulismus, neurechtem Phantasma und | |
| neonazistischer Aktion geschieht, in den Medien einheitliche Bilder, | |
| Begriffe und Erzählungen generiert, während das, was sich dagegenstellt, | |
| nicht einmal einen Namen hat. | |
| ## Zivilgesellschaft gegen Fehler im System | |
| Geben wir uns also einen: die demokratische Zivilgesellschaft. Wohl | |
| wissend, dass dieser Begriff auch irreführend ist, dass er als Waffe | |
| benutzt wurde und nicht etwas beschreibt, was es „gibt“ | |
| (Selbstheilungskräfte der Demokratie – wer’s glaubt!), sondern etwas, das | |
| hergestellt werden muss. Eine Selbstorganisation der Demokratie in der | |
| Gesellschaft, die von ihren beiden ursprünglichen Partnern, dem normativen | |
| demokratischen Staat und der „freien Marktwirtschaft“, schmählich im Stich | |
| gelassen wurde. | |
| Der Ursprung des Konzepts Zivilgesellschaft geht bis in die Antike zurück. | |
| Es besagt, dass es zwischen der Macht des Staates und seinen Ordnungen und | |
| den Interessen der oikonomia von Produktion, Arbeit, Alltag und Handel | |
| etwas Drittes gibt, eine dynamische Kommunikation, die im besten Fall die | |
| Spannungen zwischen Politik und Ökonomie ausgleichen, im weniger günstigen | |
| Fall sie ausdrücken und korrigierend wirken muss. Seitdem taucht die | |
| Hoffnung auf eine Zivilgesellschaft überall dort auf, wo Staaten und | |
| Ökonomien ihre Versprechungen von Freiheit und Gerechtigkeit nicht | |
| erfüllen. | |
| Mit der Verschmelzung von Politik und Wirtschaft in Neoliberalismus und | |
| Postdemokratie ist der Zerfall in eine völkisch-nationalistische Rechte und | |
| eine demokratische Zivilgesellschaft programmiert. Nicht erst seit | |
| Charlottesville scheint der Punkt erreicht, wo jede politische Geste eine | |
| direkte oder indirekte Entscheidung für die eine oder die andere Seite ist. | |
| Da hilft auch das taktische Depolitisieren in der Art von Angela Merkel | |
| nicht endlos, die Stabilität im Tausch gegen Verzicht auf demokratische | |
| Praxen verspricht. | |
| Die demokratische Zivilgesellschaft ist die Selbstorganisation von | |
| Menschen, die sich nicht nur defensiv gegen rechts wendet, sondern das | |
| Projekt Aufklärung, Humanismus und Demokratisierung wieder aufnimmt, das | |
| von normativ demokratischen Staaten, der neoliberalen Organisation von | |
| Markt und Medien verraten wurde. An Dringlichkeit fehlt es nicht. Es wird | |
| höchste Zeit. | |
| 16 Aug 2017 | |
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| Georg Seeßlen | |
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