# taz.de -- Debatte Polit-Talkshows: Sprechschau und Schausprech | |
> Sie fördern nicht, nein, sie zerstören die Demokratie. Ein Plädoyer für | |
> die Abschaffung der Talkshows, wie wir sie kennen. | |
Bild: Maybrit Illner, Manuela Schwesig und Volker Bouffier in desaströser Miss… | |
Wir fragen uns ja immer, was ist nur aus unserer guten alten Demokratie | |
geworden. Natürlich träumen wir, während wir uns das fragen, ziemlich | |
wahrscheinlich von einer Demokratie, die es nie gegeben hat. Aber gut, es | |
war wenigstens von ihr zu träumen. Vielleicht sogar vom wirklichen und | |
wahrhaftigen „Mehr Demokratie wagen“, wer weiß. Besonders heftig, | |
scheint’s, erwischt einen dieser Nostalgietraum gelegentlich beim | |
Fernsehen, wenn man etwa vom Sonntagsabendkrimi hängenbleibt und in die | |
Talkshow dämmert. Vielleicht sind Talkshows ja nicht an allem schuld. Aber | |
so viel ist sicher: Wo es Talkshows gibt, gibt es keine Demokratie. Und | |
mehr Demokratie schon gar nicht. | |
Keine politische Partei, kein Politiker und keine Politikerin kann es sich | |
leisten, die Talkshows zu boykottieren und der Anforderung zu entsagen, | |
darin a) eine gute Figur zu machen und b) den anderen möglichst obstruktiv | |
an demselben Ziel zu hindern. Die Versprechschauung der Politik wächst | |
mithin exponentiell, auch dann, wenn sich die Bedeutung ihres | |
Hauptmediums, des „free TV“, insgesamt verringert. Erst mit den Trumps und | |
Erdoğans dieser Welt gelangten wir in eine Post-Sprechrunden-Politik aus | |
Tweets und Terror. Wollten wir dahin? Anhänger von Autokraten jedenfalls, | |
kann ich mir vorstellen, wollen sich auch von Talkshows erlösen. Dem | |
Missing Link zwischen der Demokratie und dem, was danach kommt. | |
In der Talkshow verschmelzen Politik und Fernsehen. Mehr noch, die | |
Talkshow, insbesondere vor und nach den Wahlkämpfen (und wann haben wir | |
nicht irgendwo Wahlkampf?), gehört zu den Angeboten, mit denen sich das | |
„normale“ Fernsehen (hierzulande hauptsächlich in Form der | |
öffentlich-rechtlichen Anstalten) gegen die wachsende mediale Konkurrenz | |
behauptet. Eine politische Talkshow lässt sich nicht beliebig in ein | |
anderes, offeneres Format übertragen, sie lebt vom Echtzeit-Event und der | |
direkten Reaktion von Ereignis und Empfang. Sie ist sozusagen Fernsehen | |
schlechthin. Die Talkshow ist eine antidemokratische, medienpopulistische | |
Form des Dabeiseins. Je näher man der Sache, der Sprache, den Vertretern | |
der politischen Machtknoten namens Partei kommt, desto nichtiger, | |
unsinniger, beleidigend doofer wird das Ganze. | |
Immer wenn wir Zuschauer bemerken, wie viel hohle Rhetorik, Maskerade oder | |
schlichte Lüge im Auftritt eines Politikers, einer Politikerin steckt, wie | |
unkultiviert und niveaulos man sich beharkt, wie nichtig und willkürlich | |
das Zahlenmaterial, die „Beweise“, die Zitate sind, entsteht ein neuer Grad | |
der Entfremdung. | |
## Die Sehnsucht nach „Klartext“ hat hier ihren Ursprung | |
Das Gift des Populismus steckt schon in der Form selbst, so als hätten die | |
Medien nichts Besseres zu tun, als den Politikern die populistischen Gesten | |
und Strategien geradezu abzuverlangen. Der „sprachliche Terror“, den die | |
Rechtspopulisten dann zum Höhepunkt führen, wird hier eingeübt, nur dass | |
man merkt, dass es eben Schau ist (und die Kontrahenten, die sich eben noch | |
in der Schau heftig attackierten, gemütlich zum gemeinsamen Speisen und | |
Trinken schreiten, wenn die Kameras abgeschaltet sind). | |
Die politische Talkshow ist die Schau der Entpolitisierung, die Schau der | |
Antipolitik schlechthin. Diese krude Sehnsucht nach „Klartext“ und „Sprac… | |
des Volkes“, sie hat hier ihren Ursprung. | |
## Die Talkshow an sich ist nicht politisch | |
Kein Wunder, dass sich dabei auch eine talkshowkompatible Politikermaske | |
herausbildet, und ebenso wenig verwunderlich, dass sie sich den | |
populistischen Diskursen öffnet, schließlich gibt es noch eine Dramaturgie | |
des Publikums, die Gäste im Studio, die genau dann Applaus spenden . . . | |
nun, sehen Sie selbst einmal zwei, drei Sendungen an. Denn schließlich ist | |
das Erste, was das Format produziert, eine geradezu unerträgliche | |
Langeweile. Der Einschlaffaktor scheint sogar in der Runde selber | |
gelegentlich hoch. Um so dankbarer reagiert man auf alles, was die | |
Langeweile, das Ritual der gemeinsamen Entleerung von Sprache und Sinn, | |
wenigstens für den Augenblick durchbricht. Es gilt, auf der Ebene der | |
Emotionen zu punkten. Applaus ist, wenn jemand einer bestimmten Art von | |
Menschen, also solchen, die nichts Besseres zu tun haben, als live einer | |
Fernsehtalkshow beizuwohnen, „nach dem Herzen spricht“. | |
Zu den postdemokratischen Errungenschaften der antipolitischen Politik | |
gehört indes, dass die Talkshow nicht nur die Debatte beerbt (das volle | |
Studio und das leere Parlament: Das Leit-Bild der Postdemokratie!), sondern | |
auch die Erklärung. Einen Coup landet in jedem Fall jene Politikerin, jener | |
Politiker, die oder der es schafft, einen Gegner statt auf einem Parteitag | |
während einer Talkshow zu entmachten, oder jener, der eine politische | |
Entscheidung statt dem Parlament lieber gleich dem fernsehenden Volk zu | |
verkünden versteht. Die TV-Sprechschau ist nämlich nicht allein für sich | |
politisches Event, sondern wirkt nach durch das mediale Echo. | |
## Talkshows sind schädlich | |
Früher haben Theaterkritiken in einer bürgerlichen Zeitung einen | |
bedeutenden Platz eingenommen, heute sind es Talkshowkritiken. Jemand, und | |
sei es Spiegel Online, muss uns schließlich sagen, was wir von dem Geraune | |
und Geblubber halten sollen. Und natürlich die B-Note, für die Haltung von | |
Moderatoren und Gästen. Punktabzug für desinteressiertes Grimassieren, | |
mangelnde Nachfragen oder unfaires Verhalten: Die Sprechschau ähnelt, was | |
dies anbelangt, auch einer Sportveranstaltung, in der man durch Kampf oder | |
durch Technik zum Sieg gelangt (aber wartet nur auf die Rückrunde!). | |
Die politische Talkshow, wie wir sie kennen, entlarvt nicht nur das mediale | |
Sprechen, sondern die Politik, die dahintersteckt; wir erkennen, wenn wir | |
hinsehen, den großen Unterschied zwischen der Schau und dem, was sie | |
darstellt, und die fatale Folge ist, dass der Showcharakter der | |
demokratischen Politik als gegeben hingenommen wird. Dann nämlich verzeihen | |
wir den Teilnehmern jeden Unfug, jede Lüge, jede Gemeinheit, solange sie | |
nur unterhaltsam sind. Und mit ihrem Medium vergreisen auch die Talkshows, | |
verkalkt nicht nur das Sprechen in ihnen, sondern auch das Sprechen über | |
sie. | |
Es wäre an der Zeit, die Sprechschau in der Demokratie zu begraben statt | |
die Demokratie in der Sprechschau. | |
9 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Georg Seeßlen | |
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