# taz.de -- ZDF-Serie „Volksvertreter“: Anne Will mit Duzen und Pizzaessen | |
> Schauplatz ist ein Hinterhofloft in Berlin-Neukölln. Dort reden Politiker | |
> mit Bürgern – und zwar in denselben Floskeln wie in Polit-Talkshows. | |
Bild: „Hier schwitzt die Auseinandersetzung aus allen Poren“, wirbt das ZDF… | |
Es ist wieder Bundestagswahl. Noch nicht ganz, vorher kommt im | |
öffentlich-rechtlichen Fernsehen das „Sommerloch“. Und wozu hat man den | |
hauseigenen Nischensender ZDFneo? Drei gute Gründe zum Experimentieren! Mit | |
einem siebenteiligen „Social Factual“. Das ZDF verspricht: „Drei Bürger, | |
ein Politiker und ein Tag. […] hier wird hinter die Fassade von Politiker | |
und Politik geschaut. Hier dampft und schwitzt die Auseinandersetzung aus | |
allen Poren. […] Wie lebendig ist unsere Demokratie? ‚Volksvertreter‘ wird | |
es herausfinden.“ | |
Natürlich wohnt „Gastgeber“ Jo Schück („Aspekte“) nicht wirklich in d… | |
Neuköllner Hinterhofloft, das so aussieht, wie Mainzer Redakteure sich ein | |
Neuköllner Hinterhofloft eben vorstellen, und in dem ebenso gut eine | |
Kochsendung mit Ralf Zacherl produziert werden könnte. Das Staatsfernsehen | |
lädt zum Fraternisieren. Nach drei „Einzeldates“ kommt das gemeinsame | |
Kalte-Pizza-aus-der-Pappschachtel-Essen. (Ist eben ohne Zacherl.) Von wegen | |
„die da oben“. Politiker sind auch nur Menschen. Jedenfalls die aus der | |
„zweiten Reihe“ – auf „Politikprominenz“ will das ZDF bewusst verzich… | |
haben. | |
Erster Gast: Paul Ziemiak, 31, Bundesvorsitzender der Jungen Union, | |
Unternehmensberater, Student der Unternehmenskommunikation (nachdem er | |
durchs Juraexamen gefallen war). Anette, 46, Geschäftsführerin eines | |
Kulturzentrums, ist skeptisch, sie nimmt Paul (das hat er schon lässig | |
geklärt: „Wenn ihr wollt, könnt ihr ,du' sagen“) ins Kreuzverhör. | |
Anette: „Und wenn du in den Bundestag kommst, was schmeißt du dann hin? Das | |
Studium oder den Job? Oder alles?“ | |
Paul: „Am besten: Studium abschließen.“ | |
Anette: „Passt das zeitlich bis September?“ | |
Paul: „Ja, ich will Gas geben. Es ist halt wahnsinnig schwierig.“ | |
Es ist dann auch wahnsinnig schwierig für Paul in der Sendung. Das liegt in | |
der konstruierten Natur der Sache. Jo hat nämlich nur solche Bürger | |
eingeladen, die Paul und die CDU nicht (mehr) wählen wollen. Bei der | |
alleinerziehenden Anette kann er familienpolitisch mit seinem | |
wahlkampfversprochenen „Babystarterpaket“ nicht groß punkten. Und auch bei | |
Malte, 22, Medizinstudent, der vaterlos bei zwei Müttern aufgewachsen ist, | |
setzt Paul sich gleich mal in die Nesseln. | |
Paul: „Weil das etwas ist, was ja zumindest – ähm, äh, komisch ist. Also | |
wenn –. So.“ | |
Malte: „Du wolltest vielleicht doch nicht ,komisch‘ sagen?!“ | |
Paul schwant bald, dass seine einzige Chance auf einen Stimmengewinn für | |
die Union Markus, 43, Malermeister, ist. Der hat immerhin 23 Jahre lang | |
CDU gewählt. Wohin er wohl jetzt tendiert? Wenn man ihm so zuhört: „Am | |
liebsten esse ich gutbürgerlich deutsch. […] ‚Rechts‘ is ja auch so ’n | |
Begriff, ne. […] Ich persönlich kenn nix anderes außer Bielefeld. […] Soll | |
ich dir sagen, was die Hauptfluchtursache ist? Die Hauptfluchtursache ist, | |
dass viele unten aus Afrika ,Flüchtling in Deutschland' mittlerweile als | |
Beruf ansehen! […] Nur habt ihr die Länder mit Flüchtlingen geflutet, 2015. | |
Das kann man ja nicht anders beschreiben.“ | |
## „Es sind immer noch Menschen“ | |
Spätestens hier könnte Paul sagen: Es ist gut, vor allem für die CDU, wenn | |
sich Leute wie du, Markus, bei der CDU nicht länger zu Hause fühlen. Sagt | |
er aber nicht. Es würde ihn die einzige Chance auf einen Stimmengewinn | |
kosten. Es ist dann nicht er, sondern Jo, der nicht länger neutral bleiben | |
kann und sagt, was gesagt werden muss: „Es sind immer noch Menschen, am | |
Ende.“ | |
Am Ende wird Jo noch „Espresso oder ’n Schnäpselchen“ offerieren, und Pa… | |
wird beweisen, dass er das Parteiseminar „Wie deute ich eine Niederlage | |
rhetorisch in einen Sieg um“ bestanden haben muss: „Viele Menschen beneiden | |
uns darum, dass wir so frei unsere Meinung äußern können. Das wär ja auch | |
total schräg, wenn ich erwarten würde, dass alle die gleiche Auffassung | |
haben und alle nur eine Partei wählen.“ | |
Und der Zuschauer wird sich möglicherweise sagen, dass Duzen und Pizzaessen | |
auch keine Lösung sind, wenn er mit genau den mittelmäßig dargebotenen | |
Floskeln abgespeist werden soll, wie er sie schon bei Anne Will & Co. von | |
der „Politprominenz“ zu hören bekommt. Nur ohne Duzen und Pizzaessen und | |
das ranschmeißerische Gedöns. | |
Möglicherweise wird er den sechs anderen Jungpolitikern – etwa Tim Renner, | |
52, SPD, und Konstantin von Notz, 46, Grüne – trotzdem noch eine Chance | |
geben. Und siehe da, mit der überhaupt nicht verklemmt daherkommenden Silke | |
Launert, 40, CSU, Juristin, geht es in Teil zwei (23 Uhr) gleich viel | |
besser. Es wird auch viel besser gegessen. | |
29 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
## TAGS | |
ZDF Neo | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Wahlkampf | |
ZDF | |
Schlagloch | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Frankreich | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Relaunch bei ZDFneo: Am Ende sticht der Krimi | |
ZDFneo gibt sich eine neue Optik. Der Spartensender will hip und innovativ | |
sein. Die Quoten kommen allerdings woanders her. | |
Debatte Polit-Talkshows: Sprechschau und Schausprech | |
Sie fördern nicht, nein, sie zerstören die Demokratie. Ein Plädoyer für die | |
Abschaffung der Talkshows, wie wir sie kennen. | |
Debatte Rechtspopulismus in Europa: Keine Angst vor AfD-Fans! | |
Es bringt nichts, mit Hass auf Hass zu reagieren. Ich rede mit Anhängern | |
von AfD, Pegida & Co. Denn: Ist an unserer Politik wirklich alles richtig? | |
Themen in deutschen Talkshows: Blick nach rechts | |
In den Talkshows von ARD und ZDF geht es vor allem um Terror, Flucht und | |
Islam. Also um die Lieblingsthemen der Rechten. | |
TV-Formate vor der Wahl in Frankreich: Wie in einer Realityshow | |
Es menschelt in den Talkshows vor der französischen Präsidentschaftswahl. | |
Doch ist Mitgefühl ein gutes Wahlkriterium? |