# taz.de -- Debatte Rechter Diskurs und die Linke: Heimat, Volk und Elite | |
> Drei Begriffe, die man früher von links denken konnte. Das geht nicht | |
> mehr. Es wäre die Unterwerfung unter rechte Deutungen. | |
Bild: Heimat ist der Ort, an dem man ohne Angst und ohne Gewalt gemeinsam leben… | |
Drei Begriffe sind in den Polemiken zwischen den Rechtspopulisten und der | |
Mainstream-Kultur wieder aufgetaucht, die vordem fast schon überwunden oder | |
doch nicht wirklich mehr entscheidend schienen: Das Volk, in dessen Namen | |
die Pegida, der Front National, ein Donald Trump und viele andere zu | |
sprechen vorgeben, die Heimat, die man als weiche Form der Identität neben | |
den harten von Nation, Religion und Ideologie genießen soll, und die Elite, | |
der man Manipulation, Lüge und Eigennutz vorwirft, jedenfalls wo man sie | |
als „linksliberal“ und „politisch korrekt“ adressiert. | |
Alle Begriffe konnten einst von links her begriffen werden: Das Volk als | |
die Masse der Lohnarbeiter und politisch-kulturell Machtlosen gegen die | |
herrschenden Eliten, die sich auf deren Kosten eine eigene luxuriöse und | |
arrogante Kultur der Unterschiede und Unterscheidungen gönnt und deren | |
Hauptinteresse scheint, unter sich zu bleiben, die eigene Macht zu mehren. | |
Die Heimat als Utopie eines menschenwürdigen, freien Lebens für alle. Die | |
Elite, die sich als Avantgarde im Kampf um die Verbesserung der Welt | |
legitimieren kann, die sich aber immer wieder durch Korruption, Gewalt und | |
falsches Bewusstsein auch als historisches Hemmnis und Instrument von | |
Unterdrückung und Entfremdung erweist. | |
Andersherum war Demokratie auch ein Projekt, das Volk zum politischen | |
Subjekt, zum wahren Souverän zu machen. Das demokratische Staatsvolk ist | |
die Gesamtheit jener Menschen, die über das eigene Schicksal zumindest | |
mitbestimmen kann. Umgekehrt kann man freilich auch sagen: Durch das | |
Projekt der Demokratie wird das Volk mitverantwortlich an den Umständen, in | |
denen die Menschen leben. Regieren heißt in der Demokratie den Widerspruch | |
zwischen Volk und Elite so zu bearbeiten, dass er dem allgemeinen Glück | |
nicht im Wege steht. | |
Die repräsentative Demokratie war nämlich nie ein Projekt, die Eliten | |
abzuschaffen, sie war im Gegenteil von ihren Anfängen an dazu konstruiert, | |
die „oppulent few“, die Menschen mit Besitz (an Land, Menschen und | |
Maschinen) gegen die Ansprüche der Besitzlosen zu verteidigen. So | |
formulierte es der achte Präsident der Vereinigten Staaten, jener James | |
Madison, der sein Land im Britisch-Amerikanischen Krieg zwischen 1812 und | |
1815 auf dem Weg zum Home of the Brave and Land of the Free führte. | |
## Demokratie als Projekt sozialer Entwicklung | |
Die Angst, die Demokratie könne von der Gewalt der Besitzlosen zerstört | |
werden und daher automatisch die Keime zu einer Tyrannei entfalten, geht | |
freilich viel tiefer zurück, bis in die antike Staatslehre. Warum, fragte | |
Aristoteles zum Beispiel, sollten die Besitzlosen ihre von der Demokratie | |
gewährten Rechte nicht in erster Linie dazu nutzen, einen mehr oder weniger | |
gerechten Teil des Besitzes zu erlangen und damit ein unentwegtes Chaos | |
anzurichten? | |
Damit wurde Demokratie schließlich zu einem Projekt der dynamischen | |
sozialen Entwicklung, das die Spannung zwischen den Besitzenden und den | |
Nichtbesitzenden nicht allein durch pure Herrschaft bearbeiten würde, | |
sondern durch die Gewährung von Freiheiten (auch die zum sozialen | |
Aufstieg), Beschränkung von Privilegien und die Maßnahmen zum Ausgleich | |
(das Volk hat zumindest Anteil am wachsenden Wohlstand, insbesondere | |
solange man ein ökonomisches Wachstum generieren kann, durch das möglich | |
ist, die Armen zu weniger Reichen zu machen, ohne den wirklichen Reichen | |
ein Opfer aufzuerlegen). | |
„Heimat“ entsteht für Menschen nicht als Widerspruch zum „Fremden“, so… | |
als jener Ort, an dem man ohne Angst und ohne Gewalt gemeinsam leben kann, | |
weil die Beziehung zwischen Volk und Elite offen und harmonisch geregelt | |
sind. Heimat ist, nach Ernst Bloch, erst möglich auf der Grundlage einer | |
wirklichen Demokratie. Doch wenn es den utopischen Begriff der Heimat nicht | |
mehr geben kann, dann hat der nostalgische leichtes Spiel, und auf seinem | |
Boden wächst der faschistische heran. | |
Wenn es die Aufgabe einer demokratischen Regierung ist, die Interessen der | |
Eliten ebenso zu vertreten wie die des Volkes, so gibt es wohl zwei | |
Möglichkeiten, nämlich entweder für einen sozialen und materiellen | |
Ausgleich zu sorgen (der skandinavische Weg, den man einst als dritte | |
Möglichkeit zwischen Kapitalismus und Sozialismus bewunderte) oder aber für | |
ein wirtschaftliches Wachstum („um jeden Preis“), der auch uns, dem Volk, | |
eine stetige Verbesserung in Aussicht stellt. Der große „Verrat“ der | |
europäischen Sozialdemokratie bestand darin, sich von der ersten | |
Möglichkeit auf die zweite zu schlagen. | |
Der Schwenk der Sozialdemokratie (und damit ist nicht allein eine Art von | |
Partei gemeint, sondern auch eine Form der politischen Haltung) ins | |
neoliberale Lager bedeutet neben der wirtschaftlichen immer auch eine | |
politische Reaktion. | |
## Rassistisches Konstrukt | |
So konnte in der jüngsten Verschärfung des Widerspruchs der Begriff Volk | |
ebenso wie der der Elite nach rechts wandern. Und dort wird unter Volk | |
etwas ganz anderes verstanden, nämlich ein nationalistisches und | |
rassistisches Konstrukt. Und auch unter „Elite“ versteht man rechts etwas | |
vollkommen anderes als in der demokratischen Kritik, nämlich keineswegs die | |
Ausbeuter, die Machthaber und die Unterdrücker, sondern im Gegenteil ein | |
unordentliches politisch-kulturelles Milieu, das nach der Meinung der | |
Rechten das eigene Volk verrät mit der tätigen Hilfe von Intellektuellen | |
und Kritikern, das sich als was Besseres vorkommt, nur weil es tolerant, | |
rechtsstaatlich und „faktisch“ argumentiert. | |
Das Etablierte erscheint nun als nichts anderes denn als das „Fremde“, das | |
dem Volk aufgezwungen wurde, und die Heimat liegt nicht mehr in der | |
Verwirklichung, sondern im Gegenteil in der Abschaffung der Demokratie als | |
jener Kultur, die Fremdes, Queeres und Intellektuelles zulässt. So folgt | |
erschreckenderweise auf den ersten Verrat der Sozialdemokratie in Europa | |
ein zweiter auf der einst linken Seite politischer Diskurse, nämlich der, | |
sich den nach rechts gewanderten Begriffen „Volk“, „Heimat“ und „Elit… | |
wieder anzudienen. Als wäre wirklich nichts zu lernen gewesen. | |
18 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Georg Seeßlen | |
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