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# taz.de -- Debatte Ideen und Sprache der Linken: Recht haben ist nicht alles
> Die Linken müssen sich die ihnen entrissene Sprache zurückerobern. Sie
> ermöglicht erst die Transformation von Ideen in politische Praxis.
Bild: Die Sprache der Linken – nicht immer leicht und bunt
Eine Idee, sie mag so triftig und belegt sein, wie sie will, wird erst
praktisch und politisch, wenn sie geteilt wird. Und dieser Vorgang ist
mindestens so kritisch wie der des Ideenhabens überhaupt. (Und nein, Ideen
haben ist kein Mittelstandsprivileg.) Jetzt nämlich kommt es darauf an, wie
sie geteilt wird. Als Befehl oder als Geschenk? Als Vorschlag oder als
Anweisung? In autoritärer oder demütiger Geste? Als Einweg oder im Dialog?
Eine Kultur ist nicht nur auf dem Ideenhaben, sondern auch auf der Art
ihrer Weitergabe aufgebaut.
Ich weiß nicht, ob jede Idee von Natur aus den Impuls mit sich trägt,
anderen mitgeteilt, vielleicht sogar aufgedrängt zu werden. Zumindest in
der Kunst kenne ich Ideen, die in sich selbst vernarrt sind und deren
Urheber sie am liebsten für sich behalten würden. Aber das sind dann eben
auch keine politischen, sondern in erster Linie ästhetische Ideen.
Wenn eine Idee in die Welt hinein will, nehmen wir die Idee bei gewissen
Erscheinungen unserer „Leitkultur“ als Beispiel, dann wird nicht die Idee
allein, sondern der möglicherweise aus ihr entstehende Funken des
gemeinsamen Handelns den Weg bestimmen. So wie es Ideen gibt, die nie und
nimmer ein gemeinsames Handeln erzeugen, gibt es auch ein gemeinsames
Handeln, das mehr oder weniger ohne Ideen auskommt. Und genauso gibt es
„richtige“ Ideen, die ein „falsches“ gemeinsames Handeln auslösen.
## Postindustrieller Rohstoff
Was also geschieht zwischen der Erzeugung einer Idee und dem gemeinsamen
Handeln? Ein wesentliches Merkmal der neoliberalen Weltanschauung wie auch
des Rechtspopulismus besagt, dass die Ideenerzeugung vereinfacht werden
muss und wahlweise zum Stichwortgeber für gemeinsames Handeln (vom
„Deutschland“-Brüllen bis zum Anzünden von Unterkünften von Schwachen und
Flüchtenden) oder zum Rohstoff für die postindustrielle Produktion wird.
Und so entsteht in dieser Situation die linke Verzweiflung beziehungsweise
die verzweifelte Linke. Jede noch so begrenzte Idee muss erst einmal
verteidigt werden, bevor überhaupt daran zu denken ist, dass sie sich in
ein gemeinsames Handeln einbringt.
Um aber zu Politik und Praxis zu werden, muss da diese Idee nicht auch
transformiert werden, heraus aus dem „schwierigen“ Kontext? Bringe deine
Ideen in einfache Sätze. Mach viele Punkte. Keine Schachtelsätze, keine
Einschübe, keine Klammern, keine Gedankenstriche (es sei denn, sie
generieren einen Effekt!).
Denn zwischen einer Idee und einem gemeinsamen Handeln steht die Sprache.
Wer die Sprache beherrscht, der beherrscht die Ideen, das Handeln und vor
allem das, was zwischen beidem geschieht. Das probateste Mittel der
Beherrschung von Sprache ist ihre Reduktion, gefolgt von der
Delegitimierung. Die Propaganda der Rechtspopulisten richtet sich ja nicht
nur gegen spezifische Ideen (die werden sogar bedenkenlos bei Bedarf
gestohlen), sondern gegen das freie Sprechen von Ideen überhaupt.
Wenn wir eine Idee in demokratischer Sprache – und nicht in populistischer
Sprache! – weitergeben wollen, dann gehört dazu, dass der Vorgang des
Ideenfindens selber transparent ist. Gewiss kann ein komplizierter Satz
dazu dienen, die Unklarheit einer Idee zu maskieren; ebenso gut aber kann
er auch dazu dienen, dass der Leser und die Leserin dem Vorgang des
Ideenfindens und -erzeugens zusehen können.
Mag sein, dass man etwas Gedachtes in einen schlichten Satz pressen kann,
Denken selber kann man auf diese Weise indes nicht vermitteln. Der
verkomplizierte Satz ist ein Verrat an der Möglichkeit des gemeinsamen
Handelns; der vereinfachte Satz ist ein Verrat an der Idee und der
demokratischen Weise, sie zu teilen. Eine gute Idee ist nicht allein eine,
die für sich Triftigkeit reklamieren kann, sondern immer auch eine, die den
Bereich des gemeinsamen Denkens erweitert.
Wenn wir gemeinsam denken, denken wir immer auch ein bisschen
widersprüchlich, ein bisschen womöglich sogar „ineffektiv“. Manchmal macht
Denken eben auch zu viel Spaß, um sich gleich nach dem Nutzen befragen zu
lassen. Die radikal subjektivierte und kapitalisierte Freiheit der Ideen im
Neoliberalismus führt indes zu einer hier und dort schon manischen Angst
vor dem gemeinsamen Denken.
Auf der einen Seite steht die Angst vor dem Undeutlichen und
Widersprüchlichen, das „Andersdenken“ muss daher so fundamental
ausgeschlossen werden, bis man am Ende eine totale und totalitäre Instanz,
Partei und Führer braucht, um alles Andersdenken auszumerzen. Auf der
anderen Seite steht die Angst vor Ideen, die „zu nichts führen“, die
„abstrakt“ bleiben und sich nicht verkaufen lassen. Denn das „Ideen
verteilen“ im Kapitalismus ist nun mal das Sprache-Verkaufen.
## Ein Panzer aus Überzeugungen
Wenn es wirklich die Sprache (im weiteren Sinn) ist, die zwischen Idee und
gemeinsamem Handeln (über den Zwischenschritt des gemeinsamen Denkens,
nicht des gemeinsamen Gedachten) nur vermitteln kann, dann ist es derzeit
eins der wesentlichen linken Projekte, sich die entrissene, entfremdete,
transformierte und völkisch bis warenförmig deformierte Sprache
zurückzuerobern. Überzeugungen hat man (mindestens für eine Zeit) wie ein
Gefährt oder eine Panzerung; Ideen aber leben in einem und zwischen uns.
Daher brauchen sie eine andere Sprache als Überzeugungen.
Um gemeinsames Denken zu ermöglichen, das nicht auf „sozialdarwinistisches“
Rechthaben im Wettstreit der Ideen abzielt, sondern auf eine dialektische
Demokratie der Ideen, müssen wir die Sprache neu definieren. Nicht als
einen von Parolen, Jargons, Hass- und Ekelworten verschmutzten Kanal,
sondern als einen Ozean der Möglichkeiten. Überzeugungen können sich
bekämpfen oder müssen es sogar, Ideen dagegen sind zur Geschwisterlichkeit
begabt.
Der schönste Moment einer solchen Idee ist nicht das Rechthaben, sondern
die dialektische Umformung in das gemeinsame Denken vor dem gemeinsamen
Handeln. Sie kann weder gelingen, wenn das Rechthaben das eigentliche Ziel
darstellt, noch wenn man glaubt, die richtigen Ideen in einer falschen
Sprache verkaufen zu müssen.
3 Jun 2017
## AUTOREN
Georg Seeßlen
## TAGS
Kommunikation
Sprache
Politik
Ideen
Lesestück Meinung und Analyse
Propaganda
Schwerpunkt Gegenöffentlichkeit
Schwerpunkt Rassismus
Roland Barthes
Zivilgesellschaft
Pathos
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