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# taz.de -- Ermittlungen nach dem Berliner Anschlag: Was für ein Fiasko
> Die Sicherheitsbehörden hatten den mutmaßlichen Attentäter über Monate im
> Visier – und verloren seine Spur. Die Politik reagiert fassungslos.
Bild: Leere Hände auch nach drei Tagen: Polizist und Fahndungsfotos des Tatver…
BERLIN taz Am Donnerstag ist Anis Amri immer noch verschwunden. Drei Tage
ist da das Attentat vom Berliner Breitscheidplatz schon her, bei dem 12
Menschen starben und rund 50 verletzt wurden. Drei Tage, in denen die
Ermittler noch immer keinen Täter gefasst haben.
Für die Sicherheitsbehörden ist es ein Fiasko. Sie sind sich inzwischen
sicher, dass Anis Amri der richtige Mann ist. An der Fahrertür des LKWs,
der in den Weihnachtsmarkt bretterte, fanden sich seine Fingerabdrücke.
Schon zuvor hatten Ermittler ein Portemonnaie mit seinem Duldungsbescheid
im Führerhaus des Fahrzeugs gefunden. Die Bundesanwaltschaft sucht Amri als
„dringend tatverdächtig“. Nur finden kann sie ihn nicht. Und womöglich ist
er bis heute bewaffnet.
Nun bricht sich Kritik Bahn. Die Informationen über die frühere
Ermittlungsarbeit gegen Amri „können einen nur erschüttern“, sagt der
CDU-Bundesvize Armin Laschet. Auch der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer
sagte, es sei die Frage zu klären, weshalb der Verfassungsschutz Amri ab
September nicht mehr beobachtete. Auch der SPD-Innenexperte Burkhard
Lischka erklärte: „Wir müssen uns ernsthaft Gedanken machen, wie wir
Gefährder engmaschiger kontrollieren können.“
Tatsächlich sehen die Sicherheitsbehörden derzeit schlecht aus: Denn sie
hatten Amri lange als gefährlich eingestuft. Im Juli 2015 war der
24-jährige Tunesier über Freiburg nach Deutschland gekommen, lebte Anfangs
in Nordrhein-Westfalen. Seit Februar wird er dort als Gefährder geführt.
Die Behörden notieren Kontakte zu Salafisten-Größen. Zum Dortmunder Boban
S. etwa. Oder zu Ahmad Abdelazziz A., alias „Abu Walaa“, aus Hildesheim.
Und sie bekommen auch konkrete Informationen durch einen Vertrauensmann:
Amri suche nach Waffen und höre sich nach Mittätern für einen Anschlag um.
Der Bayerische Rundfunk zitiert aus seiner Gefährderakte. Amri suche
„großkalibrige Schnellfeuergewehre“, soll es dort heißen. Seine
Anschlagspläne seien „ausdauernd und langfristig“.
Im Frühjahr 2016 taucht Amri schon vermehrt in Berlin auf. Wenig später
wird er auch dort als Gefährder geführt. Die Berliner
Generalstaatsanwaltschaft wird über den Verdacht informiert, dass der
24-Jährige einen Einbruch plane, um Geld für Waffenkäufe zu beschaffen,
möglicherweise für einen Anschlag. Gegen Amri wird ein Ermittlungsverfahren
wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährden Straftat eingeleitet; er
wird danach über Wochen observiert, seine Kommunikation mitgeschnitten.
Der Vorwurf aber erhärtet sich nicht: Im September wird die Überwachung
abgebrochen. Amri sei damals auch nicht mehr in Berlin gewesen, teilt die
Generalstaatsanwalt mit. Nicht bei früheren Kontaktpersonen, nicht bei
einer „relevanten Moschee“, nicht an den sonstigen „bekannten
Anlaufstellen“.
In NRW indes will man Amri da auch nicht mehr beobachtet haben. Im August
taucht er nach taz-Informationen ein letztes Mal für ein paar Tage in der
Flüchtlingsunterkunft in Emmerich auf, in der er offiziell gemeldet ist.
Danach verliert sich die Spur. Ein letztes Mal wird am 11. November im
Berliner Terrorismusabwehrzentrum über Anis Amri gesprochen. Drei Tage
zuvor waren dessen frühere Kontaktleute „Abu Walaa“ und Boban S.
festgenommen worden. Die Ermittler halten sie für IS-Anwerber.
## „Das ist nicht zu leisten“
Wie aber konnte Anis Amri aus dem Blick geraten? „Hoch mobil“ sei Amri
gewesen, erklärt NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) die Schwierigkeiten,
ihn zu beobachten. Die Sicherheitsbehörden selbst schweigen zu der Frage.
Verwiesen wird auf das „laufende Ermittlungsverfahren“.
Polizei und Verfassungsschutz verweisen aber auf eine Zahl: 549
islamistische Gefährder werden derzeit in Deutschland gezählt. Personen,
denen jederzeit schwere Straftaten zugetraut werden. Die aber vielfach auch
noch nichts nachweisbar Strafbares getan haben. Sie über längere Zeit rund
um die Uhr zu beobachten, sei fast unmöglich, heißt es. Rund 30 Beamte
bräuchte man dafür pro Gefährder. „Das ist nicht zu leisten“, sagt ein
Verfassungsschützer. „Und auch rechtstaatlich kommen wir hier an eine
Grenze.“
SPD-Innenexperte Burkhard Lischka lässt das nicht gelten. Gerade Gefährdern
wie Amri, deren Abschiebung feststehe, müsse man „24 Stunden am Tag auf den
Füßen stehen“: „Mit verschärften Meldeauflagen, Näherungsverboten und
notfalls auch dadurch, dass wir sie bis zu einer Abschiebung in Gewahrsam
nehmen.“
Bei Anis Amri soll es weitere Hinweise auf schwere Straftaten gegeben
haben. Im Internet soll er Bauanleitungen von Sprengsätzen gesucht haben,
berichtet die New York Times. Über den Mitteilungsdienst Telegram habe er
Kontakt zu einer IS-Person gehabt. Im Spiegel wiederum heißt es, Amri habe
sich in einem Chat auch vage für ein Selbstmordattentat angeboten.
## „Nicht ohne Optimismus“
Die Ermittler setzen nun vor allem auf das Umfeld von Amri. Am Mittwoch
durchsuchten Beamte Amris letzte Flüchtlingsunterkunft in Emmerich. In
Dortmund wurden mehrere Personen befragt, auch in Berlin Wohnungen und eine
Moschee durchsucht. Festnahmen erfolgten vorerst keine.
Für die Ermittler wird die Situation mit jeder Stunde unangenehmer. Mit dem
ersten Verdacht, ein festgenommener Pakistaner könnte der Täter sein,
verloren sie wichtige Zeit. Von „vielen, vielen Ermittlungsansätzen“ hatte
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) danach dennoch gesprochen. Er
sei „nicht ohne Optimismus“ was die Fahndung betreffe. Nun allerdings
stehen die Ermittler bis heute mit leeren Händen da.
22 Dec 2016
## AUTOREN
Konrad Litschko
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Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
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