# taz.de -- Debatte Rechtspopulismus: Mehr Zusammenhalt wagen | |
> Als Antwort auf den Trumpismus brauchen wir einen neuen | |
> Gesellschaftsvertrag für Europa. Er soll die Teilhabe für alle | |
> organisieren. | |
Bild: Klare Statement gegen Rechtspopulisten | |
Nach diesem Sonntag könnte der neue österreichische Bundespräsident ein | |
Rechtspopulist sein. Es wäre der zweite Sieg für den Rechtspopulismus in | |
drei Wochen. Bereits bei den Präsidentschaftswahlen in den USA war | |
eingetreten, was wir alle nicht wahrhaben wollten. Rassismus, | |
Frauenfeindlichkeit und Verlogenheit haben zu einer Mehrheit der Wahlmänner | |
und -frauen für Donald Trump geführt. | |
Wir wollten es nicht wahrhaben. Jetzt müssen wir uns vor Überheblichkeit | |
hüten. Denn wir haben etwas unterschätzt: das Ausmaß der Wut und der | |
Verbitterung in unseren Gesellschaften. | |
Trumps Sieg offenbart: Es gibt diese große Wut über das gebrochene | |
politische Versprechen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen | |
Teilhabe an der Gesellschaft. In den USA hieß das Versprechen: | |
amerikanischer Traum, bei uns: soziale Marktwirtschaft. Spätestens mit dem | |
Finanzcrash ist dieser Traum geplatzt. Der Trumpismus ist die rechte | |
Antwort auf den Finanzcrash. | |
Denn wie verarbeiten gerade ältere weiße Menschen der Mittelschicht den | |
Schock? Sie träumen sich zurück in die vermeintlich heile Welt der 50er | |
Jahre. Der Mann arbeitet, die Mutter steht am Herd. Das meint Donald Trump, | |
wenn er sagt: Make America great again. Daraus speist sich der | |
frauenfeindliche Hass gegen Hillary Clinton. | |
## Folgen für Europa | |
Manche hoffen, dass Trump nicht wahr macht, was er im Wahlkampf versprochen | |
hat. Das ist naiv – nicht nur wegen der republikanischen Mehrheiten im | |
Kongress. | |
Trumps Versprechen sind nicht haltbar. Vier Prozent Wachstum für die | |
nächsten zehn Jahre wird es nicht geben. Aber was macht ein Populist, wenn | |
er wirtschaftlich nicht liefern kann? Dann wird er aggressiv. Dann werden | |
Feindbilder erzeugt und bekämpft – im Inneren wie im Äußeren. Das ist das | |
Risiko. Um dieser Unberechenbarkeit begegnen zu können, brauchen wir ein | |
starkes Europa. | |
Doch auch für Europa war die US-Wahl ein schwarzer Tag. Trumps Sieg ist | |
Viagra für Europas Rechtspopulisten, für die Hofers und die Wilders, ist | |
Aufwind für die Petrys und Le Pens. Sie alle wollen zurück zur Nation. Sie | |
alle wollen weniger Europa. Am 4. Dezember könnten in Österreich, im März | |
in Holland, im Mai in Frankreich Rechtspopulisten an die Macht kommen. Und | |
im September will die AfD in den Bundestag – mit ihren Identitären und | |
ihren Reichsbürgern. | |
Das gemeinsame, demokratische Europa ist heute in seiner Existenz | |
herausgefordert. Es droht die Spaltung Europas. Um den Rechtspopulismus | |
wirksam bekämpfen zu können, müssen wir ehrlich zu uns selber sein. Zur | |
Wahrheit gehört, dass die US-Wahl von Hillary Clinton verloren wurde. | |
Wähler in Staaten, die die Demokraten für sich verbucht hatten, wählten | |
Trump. Andere, besonders aus den Minoritäten, blieben zu Hause. | |
## Die bittere Realität | |
Daraus lernen wir: Wenn die Linke die soziale Frage liegen lässt, wird sie | |
von der Rechten besetzt. Die Deindustrialisierung und Zerstörung ganzer | |
Landstriche im Rust Belt der USA, aber auch in weiten Landstrichen Europas | |
ist nicht postfaktisch. Sie ist bittere Realität. | |
Diese Entwicklung frustriert und verunsichert die Menschen – nicht etwa die | |
Verwendung politisch korrekter Sprache. Die Rechten begegnen dieser | |
Realität postfaktisch. Rechte punkten nicht mit einfachen Wahrheiten, | |
sondern mit einfachen Unwahrheiten. Vor allem mit der Botschaft, die | |
„anderen“ seien schuld. Rechtspopulisten erklären die Opfer der Krise, | |
Geflüchtete und prekarisierte Arme in anderen Ländern, zu Ursachen der | |
Krise. Und sie wollen die Rezepte radikalisieren, die in die Krise geführt | |
haben. Steuersenkungen und Deregulierung, ein Wettbewerb der Nationen um | |
die miesesten Standards. | |
Zu den harten Lektionen gehört aber auch: Es gibt keine grüne Antwort auf | |
die Verbitterung, die die Finanzkrise hinterlassen hat. Wenn wir unsere | |
Demokratie stärken wollen, müssen wir ein Angebot machen. Nicht an die | |
Superreichen. Sondern an die Gemeinschaft. Es geht um das Wohl der | |
Gesellschaft. | |
Gesellschaft ist mehr als die Summe unternehmerischer Individuen. | |
Gesellschaft organisiert Teilhabe für alle. Sie lässt niemanden zurück. | |
Wir müssen mehr Zusammenhalt wagen. Wir brauchen einen Gesellschaftsvertrag | |
in Europa. | |
Doch dieser Zusammenhalt wird durch Austerität untergraben. Wir müssen | |
verstehen lernen, dass Portugals, Italiens, Polens Arbeitslose unsere | |
Arbeitslosen sind. Ein Europa, in dem die Menschen im Süden ins Abseits | |
gedrängt werden und in dem im Norden und der Mitte rechts gewählt wird, | |
weil man mit denen nicht teilen will – so ein Europa wird keine Zukunft | |
haben. Es wird sich spalten zwischen den Nettoexporteuren und den | |
Nettoimporteuren. | |
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, müssen wir investieren –in | |
Infrastruktur wie neue Strom-, Gas- und Datenleitungen und in den Umbau der | |
Industriegesellschaft ohne soziale Verwerfungen. Dafür müssen wir die von | |
Merkel und Schäuble über Europa verhängte Investitionsblockade endlich | |
beenden. Wir brauchen in Europa Investitionen und Empathie statt Austerität | |
und Kälte. Wir gewinnen nur gemeinsam. | |
## Demokratische Mobilisierung | |
Die Lehre aus den USA ist auch: auf die Mobilisierung kommt es an. Wir | |
brauchen mehr demokratische Debatte – und das heißt Streit unter den | |
Demokraten. Nicht besinnungsloses Zusammenrücken in einer gesichtslosen | |
Mitte, sondern Streit um Alternativen. Weder Merkels noch New Labours | |
Politik ist alternativlos. Es gibt Alternativen. | |
Grüne fordern heute ein Ende des Ehegattensplittings, mehr Geld für Länder | |
und Kommunen. Sie wollen eine Garantierente und die Schikanen für | |
Langzeitarbeitslose beenden. Das sind nicht nur Antworten auf die Spaltung | |
der Gesellschaft. Sie lösen heftigen Widerspruch aus von CDU und CSU – auch | |
von Teilen der SPD. Das ist hilfreich. | |
Nur wenn wir Demokraten wieder über Alternativen für morgen streiten, | |
zerstören wir die Lüge der Rechten, sie seien die Alternative. | |
Wir müssen mehr Zusammenhalt wagen – und dafür streiten. | |
29 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Trittin | |
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