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# taz.de -- Kommentar Teilhabegesetz: Kein Paradigmenwechsel
> Das Bundesteilhabegesetz ist nur ein Reförmchen der bisherigen
> Gesetzgebung. Und ein Rückschritt in Sachen Inklusion und Teilhabe.
Bild: #NichtMeinGesetz: symbolische „Käfig-Aktion“ vor dem Berliner Hauptb…
Das am Donnerstag verabschiedete Bundesteilhabegesetz ist der ganz große
Wurf. Zumindest für Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD). Sie
freut sich über „eine der größten sozialpolitischen Reformen in dieser
Legislaturperiode“. Millionen Bürger würden von dem Gesetz profitieren.
Behinderte Menschen sehen das anders: Nach einem jahrelangen
Beteiligungsverfahren und Beratungen über das Gesetz finden sie nun einen
Scherbenhaufen vor. Denn das Teilhabegesetz ist ein Rückschritt in Sachen
Inklusion und Teilhabe!
Unter dem Kampagnennamen [1][#NichtMeinGesetz] haben die Betroffenen einen
„noch nie dagewesenen Abwehrkampf geführt“, wie die Geschäftsführerin der
Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), Sigrid
Arnade, feststellt. Die größte Behindertenrechtsbewegung der letzten 30
Jahre konnte in letzter Minute noch einige der größten Schrecken abmildern.
Zwar dürfen behinderte Menschen künftig mehr Einkommen verdienen und etwas
mehr Vermögen ansparen, die Unterstützungsleistungen für sie bleiben aber
von der eigenen finanziellen Situation abhängig. Betroffene müssen sich an
den Kosten ihrer Assistenz beteiligen.
Außerdem stehen die innersten Werte der Behindertenpolitik zur Debatte: Die
sogenannte 5-aus-9-Regel, nach der behinderte Menschen keine Unterstützung
erhalten, wenn sie nicht behindert genug sind, und zum Beispiel nur in 3
von 9 „Lebensbereichen“ eine Beeinträchtigung haben, wird nun zwar nicht
direkt eingeführt, allerdings bis 2023 weiter evaluiert und eventuell
später doch noch zum Gesetz. Damit könnten auch in Zukunft Betroffene ihren
Anspruch auf Hilfen verlieren.
Das sogenannte Pooling ermöglicht das Zusammenlegen von
Unterstützungsleistungen für mehrere Personen gleichzeitig auch gegen den
Willen der Betroffenen. Es kann also dazu führen, dass behinderte Menschen
sich ihre Assistenzen miteinander teilen müssen. Will beispielsweise einer
mit Freunden ins Kino gehen und der andere zu Hause bleiben, würde einer
von beiden den Kürzeren ziehen.
Wird eine Unterbringung in einer speziellen Wohnform, etwa einem Wohnheim,
für den Betroffenen vom Sozialamt für zumutbar erachtet und ist diese
gleichzeitig günstiger, so können auch in Zukunft Betroffene gegen ihren
Willen in Heimen untergebracht werden.
Am Ende bleibt festzuhalten, dass das Bundesteilhabegesetz nicht mehr als
ein Reförmchen der bisherigen Gesetzgebung ist. Das große Versprechen,
einen Paradigmenwechsel herbeizuführen und die
UN-Behindertenrechtskonvention acht Jahre nach der Ratifizierung auch in
Deutschland endlich gelebte Praxis werden zu lassen, wurde nicht
eingehalten.
2 Dec 2016
## LINKS
[1] https://twitter.com/search?q=%23nichtmeingesetz&src=tyah
## AUTOREN
Raúl Krauthausen
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