# taz.de -- Streit über sichere Herkunftsstaaten: Kanzleramt schaltet auf stur | |
> Marokko, Tunesien, Algerien als sichere Herkunftsländer? Kanzleramtschef | |
> Altmaier beharrt in einem Brief an die Länder-Grünen auf dieser | |
> Einstufung. | |
Bild: Finden ihr Gesetz nach wie vor klasse: Merkel und ihr Vertrauter Peter Al… | |
Berlin taz | Die Bundesregierung hält trotz des Widerstands der Grünen an | |
dem Plan fest, Marokko, Tunesien und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten | |
zu erklären. „Eine Verabschiebung dieses Gesetzes bleibt daher – jedenfalls | |
auf kurze und mittlere Sicht – unentbehrlich“, schreibt Kanzleramtschef | |
Peter Altmaier (CDU) in einem internen Brief an die Länder-Grünen. | |
Altmaier argumentiert in dem Schreiben, das der taz vorliegt, dass in | |
diesem Jahr bereits über 5.500 Asylsuchende aus den drei Staaten im | |
sogenannten EASY-System registriert worden seien. In diesem IT-System | |
werden Flüchtlinge erfasst, die neu in Deutschland ankommen. | |
Mit Blick auf die Entwicklung der Migration über die zentralmediterrane | |
Route bedürfe es eines „zügigen und entschlossenen Signals“, dass Menschen | |
ohne Chance auf Asyl sich nicht auf den Weg nach Europa machen sollten, | |
betont der Kanzleramtschef. Der Brief Altmaiers ist auf den 5. Juli | |
datiert, er ging an Volker Ratzmann, den Koordinator der grün-mitregierten | |
Länder im Bundesrat. | |
CDU, CSU und SPD hoffen auf einen abschreckenden Effekt. Käme das Gesetz, | |
könnten Menschen aus diesen drei nordafrikanischen Staaten unkomplizierter | |
abgeschoben werden. Im Moment steigen die Flüchtlingszahlen auf der | |
Mittelmeerroute, weil nach Grenzschließungen nur noch sehr wenige Menschen | |
über die Balkanroute nach Europa kommen. Doch die Grünen blockieren den | |
Plan im Bundesrat. | |
## Alternative: „Fast and Fair“ | |
Die meisten grün mitregierten Länder lehnen das Gesetz ab, weil es in den | |
drei Staaten immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Da die | |
Grünen über eine Sperrminorität im Bundesrat verfügen, ist die Regierung | |
auf ihre Hilfe angewiesen. Eine für Freitag geplante Abstimmung in der | |
Länderkammer wird wohl vertagt, weil ein Kompromiss nicht in Sicht ist. | |
Allerdings will sich Altmaier nach taz-Informationen am Donnerstag noch | |
einmal mit den grünen Vize-Regierungschefs aus den Ländern treffen, um eine | |
Einigung in letzter Minute auszuloten. | |
Die Grünen hatten zuvor Alternativvorschläge ans Kanzleramt geschickt. Die | |
Ökopartei plädiert für Informationskampagnen in den Herkunftsländern, um | |
Menschen von einer aussichtslosen Reise nach Europa abzuhalten. Außerdem | |
will sie eine Altfallregelung für langfristig in Deutschland lebende | |
Asylbewerber, um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu entlasten. | |
In einem Aktionsplan „Fast and Fair“ schlagen die Grünen der Regierung | |
außerdem vor, Asylverfahren durch Priorisierung zu beschleunigen und dabei | |
eine unabhängige Rechtsberatung zu gewähren. Diese Idee geht zurück auf | |
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und | |
Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck (beide Grüne). | |
Asylverfahren würden demnach automatisch für Menschen beschleunigt, die aus | |
Ländern mit niedrigen Anerkennungsquoten kommen. | |
Altmaier deutet in seinem Brief Sympathie für eine solche Lösung an. „Wir | |
haben diesen Vorschlag sorgfältig und mit Interesse geprüft.“ Der | |
Grünen-Vorschlag enthalte eine Reihe für sich genommen erwägenswerter | |
Ansätze, schreibt der Kanzleramtschef. Er begrüße, dass Fragen der | |
Verfahrensbeschleunigung und Rückführung angesprochen würden, „zu deren | |
vertiefter Erörterung wir selbstverständlich bereit sind.“ | |
Jenseits des geplanten Gesetzes zu Marokko, Tunesien und Algerien gäbe es | |
also durchaus Chancen, das Asylrecht zwischen CDU und Grünen neu zu regeln. | |
Doch für das aktuelle Vorhaben sehen wichtige Grüne schwarz: Selbst wenn | |
die Regierung viele Herzenswünsche der Grünen oben drauf packe, sei ein Ja | |
kaum mehr vorstellbar, heißt es bei den Grünen – schließlich seien | |
Menschenrechte nicht durch einen hübschen Deal wegzuwischen. | |
6 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Peter Altmaier | |
Kanzleramt | |
sichere Herkunftsländer | |
Polizei | |
Marokko | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Asylpolitik | |
Asylrecht | |
Asylrecht | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
sichere Herkunftsländer | |
Integrationsgesetz | |
Lesestück Interview | |
sichere Herkunftsländer | |
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
sichere Herkunftsländer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Massenproteste in Marokko: Tod eines Verkäufers löst Unruhen aus | |
Ein Fischverkäufer wird bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei | |
getötet. Der Fall weckt Erinnerungen an den Ursprung der tunesischen | |
Revolution. | |
Parlamentswahl in Marokko: Gemäßigte Islamisten gewinnen | |
Premierminister Benkirane kann weiter regieren. Doch er muss sich seine | |
Koalitionspartner in einem gespaltenen Land suchen. | |
Kommentar Asylvorschlag der Grünen: Spielchen mit Schutzbedürftigen | |
Mit „Fast and Fair“ machen die Grünen der Regierung ein Angebot, das der | |
Union gefallen müsste – ohne dabei die eigene Klientel zu verschrecken. | |
Grünen-Anfrage im Bundestag: „Sichere Herkunftsstaaten“ prüfen | |
Am Beispiel Ghana kritisieren die Grünen die Asylpolitik und | |
Einstufungspraxis. Das Land müsse von der Liste der sicheren Staaten | |
gestrichen werden. | |
Neue Verfassungsrichterin: Asylexpertise für Karlsruhe | |
Mit der Göttinger Rechtsprofessorin Christine Langenfeld ist eine | |
Asylexpertin neue Verfassungsrichterin in Karlsruhe. Was heißt das? | |
Wie kommen Flüchtlinge zu ihrem Recht?: Die Rechte der Anderen | |
Mit Willkommen werben, mit Gesetzen abschotten: Asyl erstreiten sich viele | |
Flüchtlinge erst vor Gericht – trotz Rechtsbeistand ein ungleicher Kampf. | |
Kommentar Merkels Sommerinterview: Sommer der Sachlichkeit | |
Die Kanzlerin reagiert kühl auf Nachfragen zu Problemen wie Brexit und | |
Flüchtlingspolitik. Eine erneute Kandidatur lässt sie offen. | |
Neu registrierte Flüchtinge in Deutschland: Nur noch 16.000 im Juni | |
Innenminister de Maizière lobt sich für gesunkene Zahlen. NGOs kritisieren | |
Abschiebungen und mangelnde Bekämpfung der Fluchtursachen. | |
Debatte Flüchtlingspolitik in der EU: Spurenelemente des Asylrechts | |
Nicht nur der Brexit bedroht die EU, sondern auch die Uneinigkeit beim | |
Thema Migration. Das Offshore-Asylverfahren ist keine Lösung. | |
Sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat: Grüne sagen Showdown ab | |
Das umstrittene Gesetz wird am Freitag doch nicht behandelt. Regierung und | |
Grüne verabreden einen gesichtswahrenden Aufschub. | |
Aydan Özoguz kritisiert Integrationsgesetz: Was heißt „gute Bleibeperspekti… | |
Die Integrationsbeauftragte Özoguz (SPD) bemängelt das Gesetz der Großen | |
Koalition. Der Entwurf sei unpräzise und nehme wenig Rücksicht auf die | |
Einzelfälle. | |
Robert Habeck über deutsche Bräsigkeit: „Wir haben es verlernt zu streiten�… | |
Was tun, wenn Wutbürger lauter werden? Der Spitzengrüne plädiert für | |
republikanisches Bewusstsein – und sieht die Chance für Schwarz-Grün | |
schwinden. | |
Westbalkan und Asylpaket: Arbeitsvisa nur selten ausgestellt | |
Für Bewerber vom Westbalkan sollte die Ausstellung eines Arbeitsvisums in | |
Deutschland erleichtert werden. Doch die bürokratischen Hürden sind hoch. | |
Roma-Protest für Bleiberecht: Zuflucht in Flüchtlingskirche gesucht | |
Rund 30 RomaaktivistInnen protestieren am Sonntag in Kreuzberg für | |
Bleiberecht. Auch am Montag, dem Weltflüchtlingstag, finden Mahnwachen | |
statt. | |
Homophobie in Marokko: Schutz ist nicht in Sicht | |
Der Bundesrat will entscheiden, ob Marokko ein sicheres Herkunftsland wird. | |
LGBTI-Aktivisten berichten von Gewalt und staatlicher Repression. | |
Kommentar Sichere Herkunftsstaaten: Schmutziger Unfug | |
Hetze gegen Rechtspopulismus: Koalitionspolitiker verteidigen das Gesetz | |
für mehr sichere Herkunftsländer mit unlauteren Mitteln. |