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# taz.de -- Kommentar Sichere Herkunftsstaaten: Schmutziger Unfug
> Hetze gegen Rechtspopulismus: Koalitionspolitiker verteidigen das Gesetz
> für mehr sichere Herkunftsländer mit unlauteren Mitteln.
Bild: Haben über „sichere Herhunftsländer“ viel zu diskutieren: Thomas St…
Man muss Michael Kretschmer nicht kennen. Kretschmer ist Vater,
evangelischer Christ und in der CDU. Dort wirkt er als Generalsekretär in
Sachsen, wo er seine Aufgaben erfüllt, so gut er eben kann. Aber wie
Kretschmer im [1][Streit um die angeblichen sicheren Herkunftsstaaten]
Marokko, Tunesien und Algerien seine Gegner diffamiert, verdient es,
zitiert zu werden.
Die Grünen müssten sich entscheiden, sagt er. „Wollen sie Anwalt der
Mehrheit der deutschen Bevölkerung sein oder derjenigen Menschen, die nicht
hierher gehören.“ Ach, so ist das. Wer auf die deutsche Verfassung
hinweist, spricht also gegen die Mehrheit der Deutschen? Es ist wirklich
bemerkenswert, wie argumentfrei CDU und CSU gute Argumente gegen ein
schlechtes Gesetz abqualifizieren. Ach was, es ist widerlich.
Kretschmer ist mit seinem Nonsens ja nicht allein. „Eine Ablehnung wäre
pure, sinnlose Ideologie“, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Die
Grünen machten sich „zum Gehilfen für massenhaften Asylmissbrauch“, sagt
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Die zweifelnden Grünen seien „die
besten Wahlkampfhelfer der AfD“, sagt FDP-Chef Christian Lindner. Natürlich
ist das alles großer Quatsch.
Damit hetzt das schwarz-gelbe Lager, anders als es vielleicht denkt, nicht
nur gegen die Grünen. De Maizière und andere stellen auch die evangelische
und die katholische Kirche, alle Menschenrechtsorganisationen in
Deutschland und diverse profilierte Anwälte als weltfremde Idioten hin.
Denn all jene haben sich ebenfalls klar gegen den Plan der Koalition
gestellt, schneller in Staaten abzuschieben, in denen es Folter gibt. Eine
dumpfe Diffamierungskampagne sollte man sich als Partei, die das
Christliche im Namen trägt, deshalb gut überlegen.
Es gibt sehr gute, ernsthafte Argumente gegen das Gesetz. Es widerspricht
sehr wahrscheinlich der Rechtsprechung von Karlsruhe. Es ignoriert
Zustände, die jedem menschenrechtlichen Anspruch spotten. Es liefert nicht
mal eine adäquate Antwort auf die sexuellen Attacken in der Kölner
Silvesternacht, weil ausländische Straftäter schon lange schneller
abgeschoben werden können – durch andere Gesetze. Es tut so, als ließen
sich Straftaten einzelner auf ganze Völker übertragen.
## Ausblick auf den Wahlkampf 2017
Wer solche Einwände wie de Maizière als „pure, sinnlose Ideologie“ abtut,
argumentiert in einem geschlossenen Weltbild, das vielleicht eigenen
Wünschen entspricht, aber nicht der Realität. Wenn hier gerade jemand
ideologisch diskutiert, dann CDU, CSU und FDP. Aber sicher nicht die
Grünen, die Kirchen und andere Teile der Zivilgesellschaft.
Das Fürchterliche ist, dass weder der Innenminister, noch der
CSU-Generalsekretär oder der FDP-Chef Ideologen sind. Sie sind kluge,
gebildete Menschen, die um die Schwächen dieses Gesetzes wissen. Bewusst
entscheiden sie sich dafür, den Rechtspopulismus mit populistischer Hetze
zu bekämpfen, weil sie sich davon taktische Vorteile versprechen. Sie
liefern damit einen Ausblick darauf, wie ein Wahlkampf 2017 mit einer
stärker werdenden AfD aussehen könnte.
Doch diese Strategie wird nicht verfangen. Die AfD ist mit ihren eigenen
Mitteln nicht zu schlagen. Sie wird immer die schärfste Diffamierung
angeblich multikultiverliebter Traumwelt-Grüner finden. Sie wird stets die
irrste Pressemitteilung verschicken. Und ihr werden Forderungen gegen
Flüchtlinge und den Islam einfallen, die wir uns heute nicht einmal
vorstellen können.
Das Lager der Demokraten, wenn man es so nennen möchte, darf sich davon
nicht kirre machen lassen. Die Parteien von CSU bis zur Linken müssen hart
in der Sache streiten und unterschiedliche Rezepte vorschlagen, nur so
wirken sie dem Pauschalvorwurf vom Allparteien-Kartell entgegen. Wenn sie
sich gegenseitig mit schmutzigem Unfug bewerfen, machen sie die Rechten
stark. CDU und CSU dürfen selbstverständlich ihren handwerklichen Murks
toll finden, das ist ihr Job. Aber sie sollten bitteschön auch ein paar
Argumente bringen.
Was wichtige Mitglieder der Regierungskoalition gerade vorführen, ist
deshalb demokratieschädliches Theater. Man kann nur hoffen, dass Kanzlerin
Angela Merkel diesem Irrweg 2017 nicht folgt.
16 Jun 2016
## LINKS
[1] /Streit-um-sichere-Herkunftsstaaten/!5310369/
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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Schwerpunkt Flucht
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