| # taz.de -- Streit um sichere Herkunftsstaaten: Grüne in Gewissensnöten | |
| > Die Regierung lockt die Grünen mit Kompromissen, Kretschmann soll zum Ja | |
| > tendieren. Özdemir glaubt nicht an eine schnelle Einigung. | |
| Bild: Nordafrikanische Geflüchtete. Die grüne Haltung zu ihnen ist aktuell in… | |
| Berlin taz | Die Grünen geben einer schnellen Einigung bei den sicheren | |
| Herkunftsstaaten keine Chance. „Ich gehe davon aus, dass es am Freitag zu | |
| keiner Einigung im Bundesrat kommt“, sagte Parteichef Cem Özdemir am | |
| Mittwoch der taz. | |
| Auch wichtige Grüne in den Ländern halten einen Kompromiss vor der | |
| Bundesratssitzung am Freitag für unwahrscheinlich. Die | |
| menschenrechtspolitischen Bedenken seien so grundlegend, dass ein Deal in | |
| letzter Minute inhaltlich nicht zu begründen sei, hieß es in mehreren | |
| grünen Landesverbänden. | |
| Damit droht der Bundesregierung eine Blamage. Am Freitag soll der Bundesrat | |
| über ihr Gesetz entscheiden, das Marokko, Tunesien und Algerien zu sicheren | |
| Herkunftsstaaten erklärt. Die Grünen sitzen in 10 von 16 Bundesländern in | |
| der Regierung. Für eine Mehrheit müssten drei große von Grünen mitregierte | |
| Länder zustimmen. Das ist – Stand jetzt – so gut wie ausgeschlossen, weil | |
| die meisten grünen Landesverbände das Gesetz ablehnen. | |
| Mit Spannung wird erwartet, wie sich Baden-Württembergs Ministerpräsident | |
| Winfried Kretschmann entscheidet, der mit der CDU regiert. Die | |
| Nachrichtenagentur dpa meldete am Mittwoch, das Kretschmanns Ja im | |
| Asylstreit wahrscheinlich sei. Grundlage sei ein Kompromissangebot der | |
| Regierung. | |
| ## Keine Bestätigung aus Stuttgart | |
| Kretschmanns Sprecher Rudi Hoogvliet bestätigte den Bericht auf taz-Anfrage | |
| nicht. „Es gilt: Das Kabinett hat freie Hand beschlossen. Der | |
| Ministerpräsident ist zuversichtlich, dass er sich mit Herrn Strobl einigen | |
| wird.“ Auch Andreas Mair am Tinkhof, der Sprecher von Vize-Regierungschef | |
| und Innenminister Thomas Strobl (CDU), wollte die positive Tendenz nicht | |
| bestätigen. „Der Ministerpräsident und sein Stellvertreter werden sich | |
| kurzfristig über das Abstimmungsverhalten verständigen“, sagte er. | |
| Mit einem Ja würde Kretschmann einen Koalitionsstreit in Stuttgart | |
| vermeiden. Die CDU drängt auf eine schnelle Umsetzung des Plans, der eine | |
| Antwort auf die sexuellen Attacken in der Kölner Silvesternacht sein soll. | |
| Gleichzeitig würde der grüne Ministerpräsident viele ParteifreundInnen | |
| gegen sich aufbringen, die das Gesetz für verfassungsrechtlich und | |
| menschenrechtspolitisch problematisch halten. | |
| Eine Zustimmung der Baden-Württemberger würde allerdings nichts an der | |
| wahrscheinlichen Blockade im Bundesrat ändern. Die pragmatisch tickenden | |
| Hessen-Grünen hatten am Wochenende auf einem kleinen Parteitag beschlossen, | |
| das Gesetz abzulehnen. Dieser Beschluss lässt den Grünen in der dortigen | |
| Landesregierung wenig Spielraum für eine Einigung mit der Bundesregierung | |
| auf den letzten Metern. | |
| Außerdem fehlte ja immer noch ein drittes von Grünen mitregiertes Land, das | |
| zustimmt. Jenes ist aber nicht in Sicht. Wichtige Ländergrüne aus | |
| Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein hatten bereits | |
| angekündigt, das Gesetz zu stoppen. Die grünen KritikerInnen der sicheren | |
| Herkunftsstaaten frohlocken bereits. „Die Front für Nichtzustimmung steht“, | |
| sagte eine Landespolitikerin am Mittwoch. | |
| ## „Die haben das vor die Wand fahren lassen“ | |
| Diejenigen Grünen, die zum Kompromiss bereit gewesen wären, ärgern sich | |
| dagegen über das plumpe Vorgehen der Bundesregierung. „Die haben das vor | |
| die Wand fahren lassen“, hieß es zum Beispiel in Baden-Württemberg. Das | |
| Kanzleramt habe viel zu spät nach Kompromissen gesucht, schließlich sei | |
| lange bekannt gewesen, wie groß die Bedenken seien. | |
| In der Tat ließ die Bundesregierung die Verhandlungen lange schleifen. | |
| Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), gleichzeitig Flüchtlingskoordinator | |
| der Regierung, schaltete sich erst in dieser Woche ein. Am Montag bat er | |
| die Landesregierungen per E-Mail darum, eine endgültige Entscheidung über | |
| das Gesetz aufzuschieben. Am Dienstag bot er per TV-Interview neue | |
| Gespräche an – „in den nächsten Tagen und womöglich darüberhinaus“. | |
| Dies konnte man als Hinweis verstehen, dass sich die Regierung bereits auf | |
| Nachverhandlungen im Vermittlungsausschuss von Bundestag und -rat | |
| einrichtet. Es kann aber auch sein, dass der Ausschuss direkt angerufen und | |
| eine Abstimmung vermieden wird. Auch eine Verschiebung des Themas auf eine | |
| spätere Bundesratssitzung ist im Gespräch. Dies wären für die | |
| Bundesregierung gesichtswahrende Lösungen. | |
| Hinter den Kulissen lotet das Kanzleramt nun mit manchen Grünen Kompromisse | |
| aus. Nach taz-Informationen sind mehrere Punkte im Gespräch. Mehr Geld vom | |
| Bund, zum Beispiel für die Integration von Flüchtlingen, und eine so | |
| genannte Altfallregelung, durch die langjährig in Deutschland geduldete | |
| Asylbewerber anerkannt würden. Außerdem könnte es eine Sonderregelung in | |
| dem Gesetz für schutzwürdige Minderheiten geben, etwa Homosexuelle oder | |
| Journalisten – diese Variante hatte Kretschmann ins Spiel gebracht. | |
| Menschenrechtler kritisieren solche Gedankenspiele scharf. Staaten für | |
| sicher zu erklären und gleichzeitig Ausnahmen für einzelne, von diesen | |
| Staaten systematisch verfolgte Gruppen zu schaffen, sei „absurd“, betonte | |
| Pro Asyl. Diese Idee widerspreche der Rechtsprechung des | |
| Bundesverfassungsgerichts. | |
| 15 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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