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# taz.de -- UNHCR-Vertreterin über Asylpolitik: „Es gibt keine Umkehr der Be…
> Beschleunigte Asylverfahren können durchaus sinnvoll sein, sagt Katharina
> Lumpp, Repräsentantin des UN-Flüchtlingskommissars in Deutschland.
Bild: Deutschland habe eine humanitäre Katastrophe verhindert, sagt Lumpp
taz: Frau Lumpp, sollen Algerien, Marokko und Tunesien als „sichere
Herkunftsstaaten“ eingestuft werden?
Katharina Lumpp: Wie ein Land etikettiert wird, ist aus UNHCR-Sicht weniger
wichtig. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Schutzbedürftiger im Einzelfall
wirklich Schutz erhalten kann. Das bleibt nach unserer Auffassung
prinzipiell gewährleistet. Denn die gesetzliche Vermutung, dass ein
Herkunftsstaat „sicher“ ist, kann in jedem Einzelfall widerlegt werden.
Das Innenministerium spricht von einer „Umkehr der Beweislast“. Ist das mit
der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar?
Es gibt keine Umkehr der Beweislast. Wie bisher gilt der
Amtsermittlungsgrundsatz, das heißt, die Behörde muss selbst die
notwendigen Tatsachen ermitteln. Der Antragsteller muss dabei darlegen,
warum er internationalen Schutz beansprucht. Das war aber schon immer Kern
jeder Anhörung im Asylverfahren, kann also bei den sogenannten „sicheren
Herkunftsstaaten“ nichts Neues und Anderes sein.
Ist das ganze Gesetz nur Show?
Das würde ich nicht sagen. Immerhin muss seit dem zweiten Asylpaket – das
im März in Kraft trat – über Antragsteller aus „sicheren Herkunftsstaaten…
in der Regel binnen einer Woche entschieden werden.
Mal unterstellt, das klappt: Wie steht der UNHCR zu derart beschleunigten
Verfahren?
Es kann sinnvoll sein, einfache Fälle beschleunigt zu behandeln, sowohl bei
der Ablehnung als auch bei der Anerkennung. Es ist nun mal gut, wenn die
Betroffenen schnell wissen, wie es weitergeht. Wenn allerdings ein
Verfahren binnen einer Woche abgeschlossen sein soll, ist es wichtig, dass
jeder Antragsteller vorher Zugang zu umfassender Verfahrensberatung hat.
Hier sehen wir noch Nachbesserungsbedarf. Zudem sollten Asylsuchende mit
besonderen Bedürfnissen, etwa traumatisierte Personen, von solchen
Schnellverfahren ausgenommen sein.
Wie bewertet der UNHCR die deutsche Flüchtlingspolitik der letzten beiden
Jahre generell?
2015 hat Deutschland eine humanitäre Katastrophe in Europa verhindert – in
dem es so viele Flüchtlinge aufnahm und Politik und Gesellschaft sich für
diese Herausforderung in beeindruckender Weise geöffnet haben. Auch für die
Situation in den Erstaufnahmeländern übernimmt Deutschland inzwischen immer
mehr Verantwortung. Deutschland gehört bei der Flüchtlingshilfe jetzt
weltweit zu den fünf größten Geberländern.
Welche Staaten haben die meisten syrischen Flüchtlinge aufgenommen?
Insgesamt leben derzeit 4,8 Millionen registrierte syrische Flüchtlinge in
anderen Staaten der Region. Davon hat die Türkei 2,7 Millionen Menschen
aufgenommen, der Libanon eine Million und Jordanien 650.000. Verglichen mit
der eigenen Bevölkerung ist die Aufnahmebereitschaft am größten im Libanon,
einem Land mit 4,5 Millionen Einwohnern.
Was ist für diese Erstaufnahmestaaten wichtiger: dass sie finanzielle Hilfe
erhalten oder dass ihnen Flüchtlinge abgenommen werden?
Wichtig ist beides, wobei die finanzielle Unterstützung wichtiger ist. Es
geht dabei um die Finanzierung der direkten humanitären Hilfe für
Flüchtlinge, etwa Lebensmittelgutscheine und Unterkünfte, aber auch um
Investitionen in Infrastruktur wie Schulen. Dabei sollte es am Ende nicht
nur mehr Schulen, sondern auch bessere Schulen für alle geben. Das trägt
zur Akzeptanz der Flüchtlinge vor Ort bei.
Stimmt es, dass Flüchtlinge insbesondere dann weiter nach Europa fliehen,
wenn in der Herkunftsregion Lebensmittelrationen gekürzt werden?
Es geht nicht nur um die Grundversorgung, entscheidend sind auch die
Perspektiven der Flüchtlinge im Erstaufnahmeland. Flüchtlinge, denen die
Rückkehr in die Heimat vorerst versperrt ist, brauchen die Möglichkeit,
sich selbst versorgen zu können. Sie brauchen also Zugang zum Arbeitsmarkt
des Aufnahmelandes, aber auch Bildungschancen für die Kinder.
Was versteht der UNHCR unter Resettlement und wie relevant ist es?
Von Resettlement sprechen wir, wenn Flüchtlinge in neue Aufnahmeländer –
meist fernab der Krisenregion – weitervermittelt werden. Resettlement soll
besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen zugutekommen, etwa Folteropfern
oder kranken Flüchtlingen. Im Schnitt benötigen acht bis zehn Prozent der
Flüchtlinge in Erstaufnahmeländern Resettlement.
Unterstützt der UNHCR Flüchtlinge, die sich auf eigene Faust nach Europa
durchschlagen?
Wenn Flüchtlinge, wie auch immer, nach Europa gekommen sind, tritt der
UNHCR dafür ein, dass sie Zugang zu einem fairen Asylverfahren erhalten und
dass sie nicht – direkt oder indirekt – in den Verfolgerstaat
zurückgeschickt werden.
Wie steht der UNHCR zu Schleusern und Fluchthelfern? Sind sie Teil des
Problems oder Teil der Lösung?
Der UNHCR sieht Schleuser sehr skeptisch. Es sind in der Regel Kriminelle,
die mit Fehlinformationen Flüchtlinge gefährden und sie ausbeuten. Die
Flucht über gefährliche Schmuggelrouten ist deshalb keine Lösung. Vielmehr
ist es wichtig, dass Flüchtlinge gute Bedingungen in den
Erstaufnahmeländern finden und dass besonders verletzliche Flüchtlinge im
Rahmen von Resettlement-Programmen sicher in neue Aufnahmeländer gebracht
werden.
Sind nach dieser Konzeption die Nachbarstaaten einer Krisenregion nicht
automatisch am meisten belastet?
Ja. Tatsächlich hält sich die überwiegende Mehrzahl der Flüchtlinge in
Ländern auf, die unmittelbar an Krisensituationen angrenzen. Wir brauchen
deshalb eine bessere Teilung der Verantwortung. Infolge der Syrienkrise
sehen dies inzwischen auch viele Staaten weltweit so. Im September wird es
hierzu eine Staaten-Konferenz in New York geben.
15 Jun 2016
## AUTOREN
Christian Rath
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