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# taz.de -- Debatte Frauen und Karriere: Ausgeknockt vom Schuldgefühl
> Mutter, Journalistin, Führungskraft: Berufliche und familiäre
> Verantwortung auszubalancieren ist nach wie vor kompliziert.
Bild: Seit Jahrzehnten wird für Gleichstellung und Gleichberechtigung gearbeit…
Als die Frage im Raum stand, ob ich mich auf eine Führungsposition bewerben
soll, war mein erster Gedanke: „Das kannst du nicht machen. Die Kinder
werden darunter leiden.“ Die Kinder sind zwei und vier, haben einen Vater,
mit dem ich mich gemeinsam um sie kümmere, und gehen gerne in die Kita.
Wenn sie hören, dass die Babysitterin sie nachmittags abholt, motzen sie
ein bisschen, aber am Ende ist dann doch alles prima. Trotzdem: Wenn ich
abends nach Hause komme und die Tür aufschließe, rennen sie mir laut
„Mamaaaa“ rufend in die Arme.
Ja, die Kinder brauchen mich. Und ich will für sie da sein. Will erleben,
wie sie größer werden. Möchte mit ihnen darüber reden, was sie am Tag in
der Kita gemacht haben, will sehen, wie sie einen tollen Turm aus
Duplo-Steinen bauen oder auf einen Baum klettern. Ich will nah bei ihnen
sein. Aber ich will auch arbeiten. Weil mir mein Job Spaß macht. Weil ich
lange studiert habe. Und weil ich gemerkt habe, dass ich die beste Version
meiner selbst bin, wenn ich beides bin: Mutter und Journalistin.
Obwohl ich nach den beiden Elternzeiten immer wieder ins Büro zurückgekehrt
bin, war ich gefühlt doch vor allem Mutter. Die Arbeit habe ich in erster
Linie nach den Bedürfnissen der Kinder geplant. Immer war da der Gedanke,
ob mein Sohn und meine Tochter genug Mama haben. Das ist komisch, denn ich
halte mich für eine emanzipierte, fortschrittliche Frau. Ich finde es
normal und richtig, dass mein Mann und ich uns die Kinderbetreuung
gleichberechtigt teilen. Dass er die beiden genauso gut ins Bett bringen
kann wie ich, mit ihnen spielt und bei ihnen zu Hause bleibt, wenn sie
krank sind. Aber wenn es darum geht, Entscheidungen für mich zu treffen,
knockt mich immer wieder das Schuldgefühl aus. Warum?
Bevor ich Kinder bekam, hätte ich nie gedacht, wie viele Kilogramm Gefühle
diese neue Rolle im Gepäck hat. Wie schwer es mir fallen würde, auch mal an
mich zu denken. Und damit sind wir am Anfang dieses Textes. Bei der
Überlegung, mich auf den neuen Job zu bewerben, habe ich als Erstes ein
schlechtes Gewissen bekommen. Und das, obwohl noch gar nichts passiert war.
Ich habe mich nicht zuerst gefragt, ob ich das wirklich machen will,
sondern habe mich gleich mies gefühlt. Wegen der Kinder. Denn natürlich
bedeutet mehr berufliche Verantwortung potenziell noch weniger Zeit.
In meinem persönlichen Schreckensszenario sah ich mich schon völlig
abgekoppelt vom Leben der beiden. Ich im Büro, sie zu Hause – betreut von
jemand anderem. Die Kleine lernt Laufrad fahren, und ich hänge in der
Redaktion in einer Besprechung. Es fühlte sich schlecht an, so als ob es
nur ein Entweder-oder gäbe.
## Dem Präsenzdiktat widerstehen
Bisher ist die Gleichung ja tatsächlich meist die: Willst du als Frau
aufsteigen, musst du härter arbeiten als ein Mann in der vergleichbaren
Position. Und du musst vor allem eines tun: immer da sein. Wer am längsten
im Büro sitzt, beweist in der ungesunden Aufstiegslogik, dass er die
bessere Wahl für den Job ist. So ein Unsinn! Natürlich ist es wichtig,
regelmäßig im Büro zu sein, Abläufe mitzubekommen, an Konferenzen
teilzunehmen. Ansprechbar und eine gute Chefin kann ich aber auch sein,
wenn ich nicht immer in der Firma sitze, mich dem Präsenzdiktat also nicht
permanent beuge – E-Mail und Handy sei Dank. Abgesehen davon, dass die
reine Anwesenheit kein Ausweis für Kompetenz ist und Dauerpräsenz nebenbei
auch noch ungesund, kann ich als Mutter zweier kleiner Kinder nicht immer
im Büro sein. Und ich will es auch gar nicht. Zu meinem Leben gehört
nämlich beides: die Familie und der Beruf.
Die Politik hat in den vergangenen Jahren einiges getan, um diese beiden
Welten besser miteinander vereinbar zu machen. Es gibt Elterngeld,
Elternzeit und den Anspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige. Für
Menschen im Schichtdienst gibt es sogar 24-Stunden-Kitas. Alles gut und
wichtig. Aber es geht nicht um das Wegorganisieren von Kindern, um am Ende
noch mehr arbeiten zu können. Es geht darum, das Familienleben im
Arbeitszusammenhang mit zu denken.
Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ernstnehmen und wollen, dass diese gute
Arbeit leisten, müssen sich auf die Bedürfnisse von Familien einstellen.
Sie müssen weg von der Präsenzkultur hin zu flexiblen Arbeitszeiten und
-orten. Um engagierte Mitarbeiter zu behalten, müssen sie bereit sein,
Teilzeitmodelle anzubieten – auch für verantwortungsvolle Jobs. Denn junge
Frauen und auch Männer wollen jeden Tag zu Hause Verantwortung für die
Familie übernehmen – warum nicht gleichermaßen im Beruf?
## Ein Vorbild aus der Politik
Damit sich etwas ändert, muss das Arbeitsleben familienfreundlicher werden.
Einen Rechtsanspruch auf Teilzeit gibt es zwar, den in Führungspositionen
durchzusetzen bleibt in Deutschland aber, je nach Arbeitgeber, eine
schwierige Verhandlungssache. Auch wenn Familienministerin Manuela Schwesig
dafür wirbt und versucht, selbst ein gutes Vorbild zu sein, indem sie unter
der Woche einen Nachmittag und Abend in Schwerin bei Mann und Kindern ist
und betont, diese Zeit gehöre allein ihrer Familie.
Wie in Schweden sollte auch in Deutschland klar und staatlich geregelt
sein, dass Besprechungen nicht nach 16 Uhr stattfinden und dass es
unerheblich ist, wo die Arbeit erledigt wird, solange sie gut erledigt
wird. Da kann auch mal eine Mail beantwortet werden, wenn die Kinder im
Bett sind, eine Konzeptidee weitergedacht werden, während Tochter und Sohn
auf dem Spielplatz eine Sandburg bauen. Die Notizfunktion im Handy ist
mittlerweile mein bester Freund.
Ich glaube daran, dass beides zusammen funktionieren kann, Kinder und ein
Job mit Verantwortung – wenn das Umfeld stimmt. Deshalb habe ich am Ende
mein ungefragt aufgetretenes Schuldgefühl beiseitegeschoben und mich um den
neuen Job beworben. Mit einer Bedingung: keine volle Stelle. Und ich hatte
Glück: Meine Firma findet es okay, dass eine leitende Mitarbeiterin eine
80-Prozent-Stelle hat. Und sie akzeptiert auch, dass sie nachmittags
regelmäßig ihre Kinder abholt und Mails vom Spielplatz aus beantwortet.
Mehr Texte aus der Reihe „Familienangelegenheiten“ finden Sie unter
[1][www.taz.de/Familie]
11 Jun 2016
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## AUTOREN
Verena Schneider
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