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# taz.de -- Queer-Familien in Israel: Das Recht auf Kinder
> Lesben und Schwule sollten sich ihren Babywunsch mit Hilfe der
> Reproduktionsmedizin erfüllen können. Israel ist dafür ein Vorbild.
Bild: Israel rühmt sich international gerne mit seiner Queer-Community
Israel ist im Babyboom. Unter den frommen Juden waren Kinder schon immer
„in“, jetzt ziehen die Nichtreligiösen nach. Gut drei Kinder pro Frau sind
der Durchschnitt – trotz hoher Lebenshaltenskosten und geringer Einkommen.
Weder Kindergeld, wie es in Deutschland üblich ist, noch großzügig
subventionierte Elternzeit motivieren zur exzessiven Fortpflanzung. Für die
meisten sind Kinder schlicht der Schlüssel zum Glück. Wer keine hat, wird
bedauert. Der Druck, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, macht auch vor
der Queer-Community nicht halt. Schlimm genug, der jüdischen Mama
mitzuteilen, dass es den ersehnten Schwiegersohn oder die Schwiegertochter
niemals geben wird. Mindestens ein Enkel muss her, besser noch zwei.
Die staatliche Investition in Sachen Bevölkerungswachstum setzt in Israel
viel früher an als in Deutschland. Eine unverpaarte Frau muss weder den
Briefträger noch ihren Versicherungsvertreter zu einem Quickie verführen,
um schwanger zu werden. Wer den Service einer Samenbank in Anspruch nehmen
will, braucht keinen Trauschein und keine Verdienstbescheinigung. Im
jüdischen Staat herrschen paradiesische Zustände für Lesben mit
Kinderwunsch.
Wenn es darum geht, den alten Geboten zu entsprechen, drücken die Rabbiner
ein Auge zu und fragen nicht danach, wer hier wen liebt. Wären die frommen
Herren doch immer so nachsichtig! Und zögen nur bald auch andere Länder
nach, um Singles und Queer-Paaren bei der Erfüllung ihrer Familienträume
unter die Arme zu greifen!
## Samenspende auf Krankenschein
In Israel übernehmen die Krankenkassen die Kosten für Samenspende,
Inseminierung und sogar für die aufwendige und teure künstliche Befruchtung
(In-vitro-Fertilisation), sollte es nötig sein. Das Prozedere ist
unbürokratisch, entspannt, vorurteilslos und professionell. Hier könnte das
um die sinkenden Bevölkerungszahlen besorgte Deutschland lernen.
Im letzten Jahr gelang es einem Gynäkologen, seiner 65-jährigen Patientin
noch zu ihrem ersten Kind zu verhelfen. Die Fachwelt jubelte über den
medizinischen Erfolg und ließ den Egotrip der alten Dame ansonsten
unkommentiert. Wenn der Nachwuchs eines Tages Abitur macht, sitzt Mama
schon im Altersheim. Nichtsdestotrotz sollte die Entscheidung in den Händen
der Frau und des behandelnden Arztes bleiben.
Die Trennwand zwischen Warte- und Behandlungszimmer der „Abteilung für die
Fruchtbarkeit des Mannes“ im Tel Hashomer Krankenhaus ist mit Bildern
lachender Babys tapeziert. Sie alle wurden hier gezeugt, die meisten mit
Spendersamen und von alleinstehenden oder lesbischen Müttern. Wer sagt,
dass diese Kinder unglücklicher sein sollen als die, die mit Mutter und
Vater aufwachsen, redet Unsinn. Diese Babys sind ausnahmslos Wunschkinder –
ideale Voraussetzung für ein liebevolles Zuhause.
In Israel bieten Samenbanken Spender mit deutschem, polnischem, iranischem,
marokkanischem oder russischem Hintergrund, und jüngst sind verstärkt auch
Franzosen im Angebot. Alles, was das Herz begehrt, ein Markt der
unbegrenzten Möglichkeiten. Der Samen von Aschkenasen, also Juden mit
europäischen Vorfahren, ist der beliebteste, sogar bei Frauen, die selbst
nordafrikanischer Herkunft sind. Grund dafür mag die Tatsache sein, dass
die hellhäutigen Israelis ökonomisch noch immer besser dastehen als die
Nachfahren der Einwanderer aus dem Orient. Wer wollte es einer Mutter
verübeln, wenn sie beim gezielten Griff in die Samenkiste die
Karrierechancen ihres Nachwuchses vor Augen hat?
Während die Lesben weit vorn sind mit ihren Möglichkeiten der
Familienplanung, hinken schwule Männer noch deutlich hinterher. Leihmütter
sind zwar grundsätzlich legal in Israel, allerdings nur für heterosexuelle
Paare. Israels Regierung rühmt sich gern der Liberalität des Landes, gerade
gegenüber sexuellen Minderheiten – und misst doch mit zweierlei Maß. Was
Mann und Frau erlaubt ist, steht Mann und Mann noch lange nicht zu.
## Höhere Hürden für Schwule
Schwule sind auf Eizellenspenderinnen und Leihmütter im Ausland angewiesen,
was einerseits sehr kostenintensiv ist, zum anderen Probleme schafft, wenn
der Partner des leiblichen Vaters das gemeinsame Kind adoptieren will. In
Israel kann ein Jude nur Vater eines jüdischen Kindes werden, ein Christ
der eines Christen, und ein Muslim darf nur ein muslimisches Kind
adoptieren, wobei sich die drei Religionen gegenseitig nicht viel nehmen
bei der Ablehnung der Vermischung. Die im Ausland gezeugten Kinder sind in
der Regel nichtjüdisch, da sie keine jüdische Mutter haben, und müssten vor
der Adoption durch einen Juden konvertieren. Dafür wiederum fordern die
orthodoxen Rabbiner einen koscheren, streng religiösen Haushalt.
Gleichgeschlechtliche Familien sind nicht „koscher“.
Der Staat Israel rühmt sich auf internationaler Bühne gern mit der eigenen
Queer-Community und lässt dabei unerwähnt, dass sexuelle Minderheiten in
Israel nicht heiraten können und dass Leihmütter Schwulen grundsätzlich
vorenthalten werden. Die Regierung zieht den Schwanz ein vor dem orthodoxen
Establishment, das in Sachen Familienrecht noch immer das Sagen hat.
Israels Queer-Familien müssen im Ausland heiraten. Schwule und Lesben, die
sich in Schweden oder Kalifornien trauen lassen, werden in Israel als
Ehepaar anerkannt. Genauso ist die von liberalen Rabbinern vorgenommene
Konvertierung gültig, solange sie nur im Ausland stattgefunden hat. Wer
schlau ist, macht mit dem Neugeborenen gleich auf dem Rückweg aus Indien
oder den USA einen Abstecher zu einer liberalen Gemeinde. Oft ist das
Ritual mit ein bisschen „Masel tow“-Gesang schon vollzogen. Bei Jungen gibt
es den Kombipack mit der Beschneidung gleich inklusive.
Doch trotz dieser überflüssigen Umständlichkeiten und so mancher
Widersprüche: Israel ist, was das grundsätzliche Recht eines jeden Menschen
auf Kinder angeht, ein Vorbild. Queers können hier Familien werden. Das ist
schon viel mehr, als anderswo möglich ist.
Weitere Beiträge zum Thema unter [1][www.taz.de/Familie]
27 Aug 2016
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## AUTOREN
Susanne Knaul
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