# taz.de -- Debatte Frausein und Kinderkriegen: Topf ohne Töpfchen | |
> Als Frau Ende dreißig reift die Erkenntnis: Für ein erfülltes Leben | |
> braucht es gar kein Kind. Fehlt nur noch die gesellschaftliche | |
> Anerkennung. | |
Bild: Wirklich wichtig sind mir eigene Kinder nicht. Mein unkompliziertes Leben… | |
Man könnte sagen, ich befinde mich in einer kritischen Phase. In ein paar | |
Wochen feiere ich meinen 39. Geburtstag. Ein Jahr noch, bevor die erste | |
Ziffer vorne von einer Drei auf eine Vier umspringt. Und ich bin nach wie | |
vor kinderlos. | |
Jede fünfte Frau zwischen 40 und 44 Jahren hat laut Erhebungen des | |
Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2013 keine Kinder – aus | |
unterschiedlichen Gründen. Meine bislang nicht erfolgte Reproduktion fußt | |
auf Lebensentscheidungen, die ich so und nicht anders getroffen habe. | |
Trotzdem würde ich sagen: Ausgesucht habe ich sie mir nur bedingt. | |
Seit ich denken kann, habe ich mir mich selbst auch immer wieder als Mutter | |
vorgestellt. Nicht aktiv. Aber das Bild von mir als erwachsener Frau, auf | |
dem Arm und an der Hand je ein sauberes, fröhlich lachendes Kind, war immer | |
da. Ich habe es lange nicht hinterfragt. Im Gegenteil, in mir bestand die | |
Gewissheit: Eines Tages würde dieses Bild Wirklichkeit werden. Wenn ich es | |
mir jetzt in Erinnerung rufe, würde ich sagen: Es stammt von einer | |
mittelmäßigen Werbeagentur, die eine Versicherung oder ein Waschmittel | |
bewirbt. | |
Eine Zeitlang war die Zeitschrift Eltern meine Lieblingslektüre. Ich muss | |
so zwischen neun und elf Jahre alt gewesen sein. Säuglinge und Kleinkinder | |
waren meine Dinosaurier und meine Eisenbahn. Eltern lieferte so etwas wie | |
die Bedienungsanleitung, den Bauplan dafür, wie man Humanoide entweder zu | |
gesunden oder zu verkorksten Exemplaren erzieht. Dass ich in diesem Alter | |
eine Zeitschrift für Erwachsene las, hat nie jemand in Frage gestellt. An | |
meiner mangelnden Prägung in die richtige Richtung lag es also nicht. Was | |
aber ist passiert? | |
## Social Freezing ist teuer | |
Genau ein Mal in meinem Leben habe ich wirklich ernsthaft mit dem Gedanken | |
gespielt, eine Familie zu gründen. Ich war Anfang dreißig und sehr | |
verliebt. Es war die zweite ernsthafte und lange Beziehung in meinem Leben. | |
Wir wohnten zusammen. Ich hatte mein Studium beendet und strampelte mich | |
gerade damit ab, Journalistin zu werden: Praktika, Journalistenschule, die | |
Anfänge als freiberufliche Journalistin. Geld verdiente ich noch lange | |
nicht. Es war mein damaliger, seit einigen Jahren berufstätiger Freund, der | |
den Einkauf im Supermarkt bezahlte. | |
Laut der Statistik von 2013 sind es vor allem Akademikerinnen, die | |
kinderlos bleiben. Hätte ich damals ein Kind bekommen, wer weiß, ob ich | |
heute Journalistin, geschweige denn Redakteurin dieser Zeitung oder | |
Ressortleiterin geworden wäre. Vermutlich nicht. Sicher, es ist nicht | |
auszuschließen. In der Familienpolitik, in der Arbeitswelt und auch in | |
(heteronormativen) Beziehungen hat sich viel getan. Vielleicht hätte ich es | |
geschafft – wenn auch sicher ein paar Jahre später. | |
Ich blicke auf einige meiner Freundinnen, die ebenso wie ich ein | |
geisteswissenschaftliches Studium hinter sich hatten, das nicht automatisch | |
für einen Beruf qualifiziert, und die damals unmittelbar nach der | |
Ausbildung Kinder bekamen. Sie haben genau das, was für mich nie in Frage | |
kam: eine Familie und einen pragmatischen Teilzeitjob, von dem sie weder | |
geträumt noch für den sie studiert hatten. | |
Das Ende dieser Beziehung vor fünf Jahren – in erster Linie deshalb, weil | |
mir mein Beruf und alles, was ich dafür als notwendig erachtete, wichtig | |
war – ist unter dem Aspekt der Familienplanung der Anfang des „Problems“. | |
Denn was danach folgte, hat die Bezeichnung „Beziehung“ nicht verdient. Mit | |
dieser Phase des kontinuierlichen Singledaseins ab Mitte dreißig habe ich | |
nicht gerechnet. Wer tut das schon in einer Welt, in der kleine Mädchen | |
(und erwachsene Frauen) noch immer von dem einen „Seelenverwandten“ | |
träumen, dem Deckel für jeden Topf? Was, wenn der nicht zu finden ist? | |
Wollte ich nun trotzdem ein Kind bekommen, bevor es biologisch immer | |
unwahrscheinlicher wird – ich müsste das irgendwie alleine hinbekommen. | |
Klar, da gibt es Möglichkeiten. Ein One-Night-Stand ohne Verhütung. Eine | |
(anonyme) Samenspende, die man sich in Deutschland als Single-Frau mithilfe | |
eines Anwalts erstreiten muss. Social Freezing. Ein schwuler Freund und | |
In-vitro-Fertilisation. Ich habe über jede dieser Möglichkeiten nachgedacht | |
– und beschlossen, dass keine davon für mich in Frage kommt. Jemanden ohne | |
Einverständnis in eine Vaterschaft zu tricksen, finde ich schäbig. Allein | |
ein Kind großzuziehen, ist mir zu anstrengend. Social Freezing kann ich mir | |
nicht leisten. Und den schwulen Freund, mit dem ich ernsthaft ein solch | |
lebenslanges Abenteuer eingehen wollte, gibt es nicht. | |
## Der Biologie ausgeliefert | |
Vielleicht aber ist auch das hier die Wahrheit: Wirklich wichtig sind mir | |
eigene Kinder gar nicht. Denn mein derzeit ziemlich unkompliziertes Leben | |
passt mir ganz gut. | |
Neulich sagte eine Freundin, ebenfalls in meinem Alter, die sich vor Kurzem | |
von ihrem Freund getrennt hat und darüber sehr, sehr traurig ist: „Weißt | |
du, eigentlich habe ich bislang nie die Notwendigkeit verspürt, Kinder zu | |
bekommen. Ich denke darüber nur deshalb gerade so viel nach, weil ich weiß, | |
dass es am Ende nicht ich sein werde, die diese Entscheidung für mich | |
fällt, sondern mein Körper.“ Sie hat recht: Es ist das Gefühl des | |
Ausgeliefertseins gegenüber der eigenen Biologie, die Hilflosigkeit, die | |
mit diesem Gefühl einhergeht, die kinderlose Frauen „meines Alters“ ins | |
Grübeln und Zweifeln bringt – nicht die Kinderlosigkeit an sich. Und es | |
geht um das Gefühl, gegenüber der gesellschaftlichen Erwartung versagt zu | |
haben, wenn man mit fast vierzig ohne Mann und Kind „noch immer“ alleine | |
ist und das Klischee der glücklichen Familie aus der Waschmittelwerbung | |
nicht erfüllt. | |
Glücklicherweise bin ich mittlerweile alt und klug genug, um diese | |
Erwartungen, die nicht meine sind, und die Klischees, die man mir als Frau | |
als meine Wünsche verkauft, zu durchschauen. Und in den immer häufiger | |
werdenden Momenten, in denen mir das gelingt, bin ich derart berauscht von | |
all den Abenteuern und unausgeschöpften Möglichkeiten, die noch vor mir | |
liegen, dass es schon fast an emotionales Besoffensein grenzt. | |
Weitere Beiträge zum Thema unter [1][www.taz.de/Familie] | |
5 Aug 2016 | |
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## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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