# taz.de -- Debatte Familienpolitik: Drei sind keiner zuviel | |
> In Deutschland können bisher höchstens zwei Menschen rechtlich anerkannte | |
> Eltern eines Kindes sein. Warum nicht auch drei? | |
Bild: Hier gibt es noch genug Platz für ein drittes Elternteil | |
Im Kontext der Diversifizierung von Familienformen wurde in den letzten | |
Jahren über verschiedene familienpolitische Aspekte gestritten. Eine | |
Öffnung der Ehe sowie das damit zusammenhängende Adoptionsrecht für | |
gleichgeschlechtliche Paare gehören zu den lautesten Forderungen. Aber eine | |
Debatte darüber, ob auch mehr als zwei Personen Eltern eines Kindes werden | |
können, wird bisher nicht geführt. | |
Ich lebe in einer Drei-Eltern-Familie. Unser gemeinsames Kind lebt seit | |
mittlerweile eineinhalb Jahren abwechselnd bei mir und bei zwei Müttern. In | |
Deutschland werden bislang aber höchstens zwei Menschen als Eltern eines | |
Kindes rechtlich anerkannt. In der Geburtsurkunde sind wir also nur zu | |
zweit eingetragene Eltern – und nur zu zweit haben wir das Sorgerecht. | |
In der Praxis verstehen wir uns als drei gleichberechtigte Eltern. Wichtige | |
Entscheidungen treffen wir zu dritt: Wir diskutieren so lange, bis wir | |
zusammen eine Lösung gefunden haben. Wenn ein Elternteil alleine mit dem | |
Kind unterwegs ist, fragt im Alltag kaum jemand nach Geburtsurkunde und | |
Sorgerechtserklärung. Für die Kita und den Kinderarzt gibt es Vollmachten. | |
Mit meiner Drei-Eltern-Familie stehe ich seit einiger Zeit in der | |
Öffentlichkeit und bekomme immer wieder Nachrichten von (werdenden) Eltern, | |
die sich wie wir die Verantwortung zu dritt teilen (wollen). Meine Kontakte | |
sind vielleicht nicht repräsentativ, aber sie zeigen ein breites Bild: Da | |
ist das schwule Paar, das zusammen mit einer gemeinsamen Freundin ein Kind | |
bekommen hat. Die drei wohnen in zwei Wohnungen im gleichen Haus und | |
verstehen sich zu dritt als Eltern. | |
## Vertrauen statt Rechtsgrundlage | |
Da ist die Mutter, die aufgrund der Unzuverlässigkeit des Vaters noch | |
während der Schwangerschaft eine gute Freundin gefragt hat, ob sie auch | |
Elternverantwortung übernehmen möchte. Die beiden Mütter wohnen zusammen | |
mit dem Kind in einer WG, der Vater sieht sein Kind regelmäßig. Da sind | |
viele lesbische Paare, die nicht nur einen Samenspender gesucht haben, | |
sondern einen Vater. Nur einige von vielen möglichen Konstellationen. | |
Die Personen ohne Elternstatus müssen bisher darauf vertrauen, dass die | |
anderen beiden sich immer an die getroffenen Abmachungen halten werden. | |
Umgekehrt müssen sich die beiden rechtlichen Eltern darauf verlassen, dass | |
sich die Person ohne Rechte und auch ohne Pflichten an die Abmachungen hält | |
und sich beispielsweise auch in Zukunft finanziell beteiligt. | |
Vor allem viele gleichgeschlechtliche Paare benötigen mindestens eine | |
weitere Person, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Diese Person kann ein | |
anonymer Samenspender sein, der im Alltag der Familie keine weitere Rolle | |
mehr spielt oder, wie im Fall einiger in den Medien herumgereichter Paare, | |
eine Leihmutter aus Kalifornien oder Indien. Immer mehr lesbische Paare | |
fragen aber auch nach einem Samenspender im Freundeskreis. Nicht immer soll | |
diese dritte Person dann auch gleichberechtigtes Elternteil mit allen | |
Rechten und Pflichten sein. Aber bisher ist das auch in den Fällen, in | |
denen es dem erklärten Wunsch aller Beteiligten entspricht, rechtlich gar | |
nicht möglich. | |
## Drei Mal erben | |
Die Rechtsfrage betrifft zwei Ebenen. Erstens geht es darum, wer in der | |
Geburtsurkunde auftaucht und damit rechtlich Elternteil ist, zweitens um | |
das Sorgerecht. Für beides sind in Deutschland höchstens zwei Personen | |
vorgesehen. Eltern und Sorgeberechtigte sind jedoch nicht zwangsläufig die | |
gleichen Personen – und beides funktioniert auch heute schon unabhängig von | |
einer konkreten Beteiligung der jeweiligen Personen bei Geburt und Zeugung | |
eines Kindes, beispielsweise durch die automatische Elternschaft von | |
Ehemännern gebärender Frauen sowie bei Adoptionen. | |
Warum darf das dritte Elternteil in den von mir genannten Familien | |
(inklusive meiner eigenen) das Kind nicht adoptieren, ohne dass eines der | |
anderen Elternteile den Elternstatus verliert? Warum darf das dritte | |
Elternteil nicht auch einen Teil des Sorgerechts übernehmen, wenn es im | |
Sinne aller Beteiligten ist? | |
Es kann kaum zum Nachteil eines Kindes sein, wenn sich drei Personen | |
kümmern, sorgen und finanziell einstehen. Ein Kind mit drei Eltern hätte | |
einen Unterhaltsanspruch gegenüber drei Personen. Es könnte auch drei Mal | |
erben. Mit der Elternschaft hätten außerdem drei Personen ein Umgangsrecht, | |
also das Recht, Zeit mit dem Kind zu verbringen – wenngleich dieses auch | |
heute schon nicht auf zwei Personen beschränkt ist. | |
Beim Sorgerecht ist die Sache eventuell etwas komplizierter. Ein möglicher | |
Einwand gegen ein Sorgerecht für drei Personen wäre, dass Familiengerichte | |
schon jetzt genug mit den ganzen getrennten Elternpaaren zu tun haben, die | |
sich zu zweit nicht darüber einigen können, wo das Kind wohnen, ob es | |
geimpft werden und auf welche Schule es gehen soll. | |
## Mehrheitsprinzip als Chance | |
Man kann also fragen: Wenn nun in Zukunft in einigen Fällen drei | |
Elterninteressen zu berücksichtigen wären, endet das dann nicht in völligem | |
Chaos? Vielleicht wird es bei drei Beteiligten aber auch einfacher. Stehen | |
sich zwei unterschiedliche Positionen gegenüber, gibt es immer noch eine | |
dritte Person, die theoretisch zwischen diesen Positionen vermitteln kann. | |
Wenn eine Person an einen anderen Ort ziehen möchte – Ausgangspunkt vieler | |
Sorgerechtsstreitigkeiten –, wäre von vornherein klar, dass sie das Kind | |
nicht mitnehmen kann, wenn eine Mehrheit der Eltern dagegen ist. Der | |
Gesetzgeber könnte für solche strittigen Fragen beispielsweise das | |
Mehrheitsprinzip festlegen, wonach zwei Unterschriften ausreichen würden, | |
um etwa ein Kind in der Schule anzumelden. | |
Für eine genauere Ausgestaltung einer Dreierelternschaft gäbe es also | |
durchaus noch einige Punkte zu klären. Die familienpolitischen | |
SprecherInnen der Fraktionen im Bundestag antworteten mir auf meine Anfrage | |
zu ihrer Position zu Drei-Eltern-Familien bisher überwiegend mit völligem | |
Unverständnis. „Ich verstehe Ihre Frage nicht“, bekam ich unter anderem als | |
Antwort. Schade. Wir sollten mit der Diskussion beginnen. | |
Mehr Texte aus der Debattenreihe „Familienangelegenheiten“ finden Sie unter | |
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4 Sep 2016 | |
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## AUTOREN | |
Jochen König | |
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