# taz.de -- Elternrolle in Deutschland: Wer ist hier die Mama? | |
> Die Tochter unseres Autors sagt Mama zu ihm. Das trifft oft auf | |
> Unverständnis. Aber warum sollten Väter keine guten Mütter sein? | |
Bild: Für das Kind zählt nicht das Geschlecht, sondern die Rolle, die man ihm… | |
Wenn meine Tochter mich in der Öffentlichkeit, im Supermarkt, auf der | |
Straße oder dem Bahnsteig ruft, blicke ich häufig in irritierte Gesichter | |
um uns herum. „Mama, können wir noch Schokolade kaufen?“, „Mama, schau m… | |
hier“, „Mama, ist das unsere S-Bahn?“ Seit mittlerweile 5 Jahren nennt mi… | |
meine Tochter „Mama“. | |
Kinder leben, wie alle anderen Menschen auch, in Beziehungsgefügen. Es gibt | |
die Geschwister, die Großeltern, die FreundInnen oder die ErzieherInnen in | |
der Kita. Und dann gibt es in den meisten Fällen noch diese eine Person, | |
die nach der Geburt für ein, zwei oder noch mehr Jahre zu Hause bleibt, die | |
nachts aufsteht, um den Hunger des Kindes zu stillen, die mit dem Kind | |
unzählige Nachmittage auf der Krabbeldecke verbringt, es hin und her trägt | |
und ihm zum Einschlafen über den Kopf streichelt. | |
Diese Person kann natürlich bei ihrem Namen angesprochen werden. Oder eben | |
anhand ihrer Rolle. Wie alle anderen Kinder in ihrer Kita fragte auch meine | |
Tochter irgendwann: „Wann holt mich meine Mama ab?“ | |
Ich hatte nie das Bedürfnis, sie zu korrigieren. Ich habe mich nach ihrer | |
Geburt ganz bewusst entschieden, die Aufgaben zu übernehmen, die in den mit | |
Abstand meisten Familien von einer Frau übernommen werden. Meiner damals | |
zweijährigen Tochter war es nicht wichtig, mit welchem Geschlecht ich mich | |
identifiziere oder identifiziert werde. Ihr war und ist auch heute noch | |
viel wichtiger, welche Rolle ich ihr gegenüber einnehme. | |
## Keine Frage des Gebärens | |
Niemand käme auf die Idee, einer Mutter, die ihr Kind adoptiert hat, zu | |
sagen, sie solle sich nicht „Mama“ nennen lassen, weil sie ihr Kind nicht | |
selbst geboren hat. Niemand käme auf die Idee, einer Mutter, die ihr Kind | |
nicht stillen möchte oder kann, zu sagen, sie solle sich deshalb nicht | |
„Mama“ nennen lassen. Ich gehöre zu den Menschen auf dieser Welt, die kein | |
Kind gebären können. Meine Tochter hat auch nicht aus meiner Brust | |
getrunken. Darf ich deshalb nicht ihre „Mama“ sein? | |
Wer auf YouTube nach wickelnden Vätern sucht, könnte anhand der | |
Suchergebnisse auf die Idee kommen, Väter seien per se ungeeignet, mit | |
Babys und kleinen Kinder umzugehen. Auch Mütter wissen jedoch nicht | |
automatisch von Beginn an, wie ein Kind am besten gewickelt oder beruhigt | |
werden kann. Der Umgang mit Babys oder Kleinkindern braucht Übung. Es muss | |
viel Zeit investiert werden, und oft ist es extrem anstrengend. | |
Mütter können den Umgang mit Babys erlernen. Das stellen sie seit | |
Jahrhunderten unter Beweis. Und ich würde die tollkühne Behauptung | |
aufstellen, dass es auch Vätern nicht grundsätzlich aufgrund ihres | |
Geschlechts unmöglich ist, sich diese Mühe zu machen. Denn: Irgendjemand | |
muss diese Arbeit leisten. | |
Leider sind Väter jedoch viel zu oft darauf bedacht, auf keinen Fall mit | |
Müttern verwechselt zu werden. Immer wieder betonen Väterforscher, Väter | |
sollten ihre eigene Rolle finden und nicht den Müttern nacheifern. Väter | |
inszenieren sich deshalb als cooleren Gegenentwurf zu den vermeintlich | |
ständig besorgten und gestressten Müttern der heutigen Zeit. Manche Zeitung | |
fragte bereits: „Sind Väter die besseren Mütter?“ Die anstrengenden, | |
uncoolen und oftmals unsichtbaren Aufgaben bleiben damit jedoch weiterhin | |
an den Müttern hängen. | |
## Nur weibliche Rollenvorbilder | |
Ich habe von anderen Müttern gelernt, wie ich in den ersten Monaten mit | |
meinem Kind umgehe und wie ich unausgeschlafen mit einem Baby durch den Tag | |
komme. Ich habe mich mit anderen Müttern über meine Sorgen und meinen | |
Stress ausgetauscht. Mit meiner Interpretation meiner Rolle gegenüber | |
meinen Kindern fallen mir ausschließlich Frauen als Vorbilder ein. | |
Nur als Einschub am Rande sei bemerkt, dass es auch Aspekte eines deutschen | |
Mutterbildes gibt, auf die gerne verzichtet werden kann: Eine Mutter muss | |
nicht 24 Stunden am Tag für ein Kind verfügbar sein. Die Aufgabe, für ein | |
Baby zu sorgen, darf auch gerne mit weiteren Personen geteilt werden. Und | |
auch in Krippen und Kindergärten fühlen sich Kinder wohl. | |
Und was ist eigentlich mit der Gender Pay Gap, der Einkommenslücke zwischen | |
den Geschlechtern? Statistisch gesehen sind die langfristigen finanziellen | |
Einbußen für eine Familie größer, wenn eine Person länger aus dem | |
Berufsleben aussteigt, als wenn beide Elternteile für eine jeweils kürzere | |
Zeit zu Hause bleiben. Und das Problem, eventuell durch die Elternzeit den | |
Job und die Aufstiegschancen zu riskieren, betrifft Mütter und Väter | |
gleichermaßen. | |
Das Einkommensargument zieht sowieso nur, wenn davon ausgegangen wird, dass | |
die Eltern eines Kindes bis zu ihrem Lebensende gemeinsam wirtschaften. | |
Romantisch, aber heutzutage völlig unrealistisch. Wenn der Vater nicht | |
bereit ist, die beruflichen Nachteile in Kauf zu nehmen, verschiebt er | |
lediglich das Risiko zulasten der Mutter. | |
## Es braucht mehr Überzeugung | |
Meiner Tochter ist es mittlerweile selbst aufgefallen, wie ungewöhnlich es | |
ist, dass sie mich „Mama“ nennt. „Warum sage ich eigentlich Mama zu dir?�… | |
fragt sie mich deshalb eines Abends vor dem Einschlafen. „Weil ich immer | |
für dich da bin, dich tröste, wenn du traurig bist, und dir vor dem | |
Einschlafen solche Fragen beantworte“, antworte ich spontan. Ich sehe ihr | |
an, dass sie die Antwort nicht zufriedenstellt. | |
Unsere Familie ist für sie so selbstverständlich, dass ihr der Gedanke | |
absurd erscheint, nur eine Mutter könne diese Aufgaben erfüllen. Als ich | |
sie fragte, ob sie ein einziges anderes Kind in der Schule kennt, das wie | |
sie häufiger vom Papa abgeholt werde, zuckt sie mit den Schultern und | |
antwortet: „Nein, mir fällt niemand ein.“ | |
Ich finde es auffällig und erschreckend, wie sehr bei allen Veränderungen | |
der letzten Jahrzehnte die Verantwortlichkeiten in Bezug auf Kinder noch | |
immer so eindeutig anhand des Geschlechts aufgeteilt sind. Statt | |
hochdotierter Ausschreibungen für „Spitzenväter des Jahres“ wünsche ich … | |
mehr Wertschätzung für Spitzenmütter, seien sie männlich oder weiblich. | |
Und ich wünsche mir mehr Väter, die voller Überzeugung sagen: „Ich möchte | |
meinem Kind eine gute Mutter sein!“ | |
25 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Jochen König | |
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