# taz.de -- Debatte gleichberechtigt Kinderkriegen: Wer schwanger wird, hat Pech | |
> Vater werden ist ein Grund zum Anstoßen, schwanger werden ein Problem. | |
> Bei der Familienplanung geht der Stress zwischen den Geschlechtern los. | |
Bild: Kinder bekommen ist schön. Aber was wird aus der Karriere? | |
Geht ein Mann zur Arbeit und denkt sich: „Puh, ich werde Vater, aber wie | |
sag ich’s meinem Chef?“ Eine eher abstruse Vorstellung, oder? Dass das so | |
unwirklich erscheint, ist leider ein Symptom realer Zustände. Erstens: Der | |
Risikofaktor Kind, den Arbeitgeber so fürchten, ist noch immer weiblich. | |
Schwanger werden ist, vereinfacht gesagt, ein Problem, Vater werden ein | |
Grund zum Anstoßen. Zweitens: Die Sorge, Kind und Karriere unter einen Hut | |
zu bringen, plagt immer noch eher Frauen als Männer. | |
In einer Studie von Berliner Sozialforschern zu den Lebensentwürfen junger | |
Menschen zwischen 21 und 34 Jahren stimmten 2013 53 Prozent der Frauen, | |
aber nur 28 Prozent der Männer folgender Aussage zu: „Wer Kinder hat, kann | |
keine wirkliche Karriere machen.“ Für viele junge Frauen, die über Kinder | |
nachdenken, schwingt noch immer die Sorge mit, dafür den Job | |
vernachlässigen zu müssen. Das ist nicht nur Ausdruck einer | |
gesellschaftlichen Schieflage, was die Gleichberechtigung von Erziehenden | |
angeht. Sondern oft das erste Mal im Leben, dass Geschlechterrollen | |
überhaupt ein Thema sind. | |
In der Zeit erschien kürzlich ein Artikel, in dem die Autorin die These | |
aufstellte, mit Schwangerschaft und Geburt täte sich plötzlich ein | |
Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern auf, letztlich auch durch | |
biologische Gegebenheiten, das zu kompensieren unsere Gesellschaft offenbar | |
nicht in der Lage sei. Das kann man so sehen. Ich behaupte, dass sich diese | |
Kluft noch viel früher auftut: Mit dem ersten Gedanken an Kinder und | |
Familie. | |
Als Frau kommt man mit Mitte/Ende zwanzig irgendwann an den Punkt, an dem | |
eine Schwangerschaft kein Elternschocker mehr wäre, sondern tatsächlich: | |
normal. Vielleicht hat man eine Beziehung, die sich unaufhaltsam diesem | |
Level entgegen harmonisiert, vielleicht will man zumindest vorerst gar kein | |
Kind. Der Gedanke daran aber taucht allein deshalb auf, weil plötzlich der | |
halbe Freundeskreis aus Eltern besteht. Was einen jedenfalls ziemlich | |
sicher ereilt, ist die Frage vor dem Spiegel: Wie komme ich dahin, wo ich | |
beruflich eben hin will – und kann ich das genauso durchziehen, wenn ich | |
mal Kinder haben will? | |
## Selbstverständlich gleichberechtigt engagieren | |
Diesen Moment vor dem Spiegel kennt so gut wie jede Frau. Fragt man aber | |
einen Mann im selben Alter und in derselben Lebensphase, was er sich so für | |
Gedanken mache zu Beruf und Familienplanung, guckt man erst mal in ein | |
Fragezeichen. Na ja, heißt es dann leicht beleidigt, da werde man sich | |
selbstverständlich gleichberechtigt engagieren. Wenn es dann irgendwann mal | |
so weit sei. Warum also vorher darüber nachdenken? | |
Dass es ja auch plötzlich so weit sein kann, ist der Horror einer jeden | |
Berufsanfängerin, aber kaum eines Berufsanfängers. Kann es ernsthaft sein, | |
dass wir auch 2016 noch auf dem Stand sind, dass sich eben nur sorgt, wer | |
das Kind austrägt? Gewissermaßen: Wer schwanger wird, hat Pech gehabt? | |
Für meine Generation hat Feminismus den luxuriösen Status, kein | |
persönlicher Kampf mehr zu sein. Frausein war nie ein Nachteil. Ich wurde | |
nie durch männliche Mitbewerber ausgestochen, ich musste nicht darum | |
kämpfen, wahrgenommen zu werden. Ich ärgerte mich, schlechter bezahlt zu | |
werden – als Praktikantin im Vergleich zu gleich qualifizierten | |
Festangestellten, nicht als Frau im Vergleich zu Männern. | |
## Die gläserne Decke | |
Die berühmte gläserne Decke war ein Mythos – bis ich jetzt, mit 26, zum | |
ersten Mal dagegen knalle. Beim hundertsten Gedanken „Schwanger werden wäre | |
jetzt aber ganz blöd“. Wenn mir klar wird, dass ich vermutlich einen gut | |
verdienenden Mann bräuchte, wenn man sich die Elternzeit gleichmäßig | |
aufteilen wollte. Wenn ich mich mit Freunden über dieses Thema unterhalte | |
und sich der Gesprächskreis derart sauber in männlich-desinteressiert und | |
weiblich-desillusioniert teilt, dass man sich fragt, was hat sich da | |
eigentlich getan in den letzten zwanzig, dreißig Jahren. | |
Wir reden uns gerne ein, dass junge Eltern in Deutschland immer | |
gleichberechtigter würden. Gleichberechtigt sind wir zumindest theoretisch, | |
ja – aber nicht gleich. Das zeigt sich spätestens in der Praxis: 80 Prozent | |
der Elternzeit nehmenden Männer beschränken sich auf die zwei | |
„Vätermonate“, zeigen Studien. Und die werden dann verkauft als etwas ganz | |
Besonderes: Schaut ihn euch an, er ist jetzt so richtig VATER, ein echter | |
Full-time-Job, haha. Man muss nur einmal durch Prenzlauer Berg laufen und | |
zählen, wie das Verhältnis von Müttern mit Kinderwagen zum männlichen | |
Äquivalent ist. | |
## Freiheiten gepflegt ignorieren | |
Was soll man nun daraus schließen? Dass der Mann hierzulande immer noch als | |
Ernährer der Familie gilt, ob nun aus freien Stücken oder, Gender-Pay-Gap | |
sei Dank, bedingt durch höheres Einkommen? Oder aber, dass wir die | |
Gleichberechtigung, die unsere Generation quasi als Kirsche auf der Torte | |
sämtlicher Freiheiten serviert bekam, immer und gerne mitnehmen – aber in | |
Sachen Familie und Erziehung gepflegt ignorieren? Ich weiß nicht, was | |
erschreckender ist. | |
Fest steht: Beides ist nicht nur eine Frage der Politik, sondern auch der | |
persönlichen Einstellung. Natürlich ist Gleichstellung auch in der | |
Erziehung für immer mehr Männer Thema. Dass das aber weniger eine situative | |
Entscheidung, sondern ein selbstverständlicher Faktor der individuellen | |
Lebensplanung ist – das ist auch 2016 noch eine utopische Vorstellung. Das | |
wird sich mit allen Elterngeldmodellen der Welt nicht ändern lassen. Denn | |
das Problem sind in diesem Fall nicht die Vorstandsetagen, Ministerien oder | |
Stammtische. | |
Der Spagat zwischen Kind und Karriere bleibt in den Köpfen von vornherein | |
Frauenproblem. Die Männer sehen – wer könnte es ihnen verdenken? – wenig | |
Grund, es von vornherein mit zu ihrem zu machen. Und wir Frauen spielen | |
mit, indem wir es stetig als unsere Bürde beklagen. Erst, wenn potenzielle | |
Väter sich dieselben Sorgen machen, wenn Chefs einen Mann um die 30 mit | |
fester Beziehung genauso ungern einstellen wie eine Frau in ähnlichen | |
Umständen – erst dann sind wir gleich. | |
5 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Johanna Roth | |
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