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# taz.de -- Flüchtlinge in Frankfurt: Ohne Freiwillige geht gar nichts
> Die Organisation „Welcome Frankfurt“ kümmert sich um Flüchtlinge. Ihre
> Mitglieder sehen sich als Helfer – und als politische Aktivisten.
Bild: Kein Fotoshooting, sondern die sogenannte „Erkennungsdienstliche Behand…
Frankfurt taz | Es ist Mittwochabend. Annette Ludwig von der
Flüchtlingsinitiative „Welcome Frankfurt“ sitzt mit AktivistInnen am
Tischkreis des DGB in Frankfurt. Junge Frauen in Strickpullis, ältere
Männer im roten Pullunder, ein Student mit MacBook, die Notizblöcke vor
sich aufgeschlagen. Der Koordinationsrat der Initiative tagt. Wöchentlich,
teilweise öfter seit Gründung Anfang September.
Im August, als Ludwig hört, dass in Frankfurt Flüchtlinge in einer
Sporthalle untergebracht werden, ist sie empört: „In so einer reichen Stadt
mit so viel Leerstand.“ Politisch nicht hinnehmbar sei das für sie und
Welcome Frankfurt.
Noch bevor Welcome Frankfurt offiziell gegründet wird, ruft sie mit anderen
zum „Umsonstflohmarkt“ und zur Begegnung mit Geflüchteten auf. Mit Erfolg.
Etwa 150 Menschen kommen zu der Aktion an der Sporthalle.
Hallen als Unterkünfte sind heute Alltag in Frankfurt. Insgesamt sechs
Standorte gibt es. Dort schlafen 850 Menschen, Pritsche an Pritsche, in
Massenunterkünften. Wann diese aufgelöst werden, ist nicht absehbar. Obwohl
Initiativen wie Welcome Frankfurt fordern, Büroräume umzufunktionieren. Die
Stadt sagt, das gehe oft nicht. Meist seien die Kosten für den Umbau zu
hoch.
## „Es ist gut hier“
Im Norden der Stadt, im Dornbusch, befindet sich eine der Hallen. Draußen
sitzt eine Gruppe minderjähriger Flüchtlinge. Ein Junge im Trainingsanzug
grinst. Englisch spricht er nicht. „Libya“ kann er sagen. Alaa, ein
16-jähiger Syrer, sagt: „Es ist gut hier.“ Aber ihm sei langweilig. Er kann
gut Englisch und übersetzt für die anderen geflüchteten Jungen und Männer,
die Arabisch sprechen. Professionelle Dolmetscher sind an dem Tag nicht da.
Auch die Angestellten eines Wachdienstes, von denen einige einen
Migrationshintergrund und die oft übersetzt haben, sagen sie dürften das
nicht mehr. Das habe Ärger gegeben, weil Klagen der Flüchtlinge über die
Feldbetten und das Essen an die Öffentlichkeit gedrungen seien.
Eigentlich hatte das Deutsche Rote Kreuz (DRK), das auch Träger dieser
Einrichtung ist, gefordert, dass jedem Menschen mindestens neun
Quadratmeter zustehen. In der Halle im Dornbusch gibt es einen Schlafraum
für 140 Menschen. „Viel mehr ist zurzeit nicht möglich, leider“, sagt
Thomas Wolff, Sprecher des DRK Hessens. Er ist nicht sehr optimistisch,
dass sich bald etwas ändere. Vergangene Woche habe man Feldbetten aus
Kanada geliefert bekommen. Die seien in Deutschland ausgegangen.
Im Rosa-Luxemburg-Raum des DGB hat gerade die Sitzung von Welcome Frankfurt
begonnen. „Wir müssen einen Flyer machen mit Informationen, wie das
Asylverfahren abläuft und was die Menschen zu beachten haben“, sagt die
Vertreterin der AG Recht. Wie viele andere Mitstreiter bei Welcome ist auch
sie noch in einer anderen Initiative aktiv, bei Pro Asyl.
## Schuhe vom Betreuer abgenommen
Die AktivistInnen tauschen sich über ihre Erlebnisse aus. „Ich werde immer
wieder gefragt, wie lange die Menschen hier sein werden, wie der aktuelle
Stand sei und wie lange die Registrierung dauere“, sagt einer. „Mir hat ein
Flüchtling erzählt, dass ihm die neuen Schuhe von einem Betreuer abgenommen
worden seien, weil sonst Neid entstehe. Wie kann das sein?“, fragt eine
Aktivistin aus der AG Dolmetscher. Und überhaupt: Überall fehlten
Dolmetscher.
Es gibt so viele Fragen der Engagierten, die sich nach ihrer Tätigkeit als
Sozialpädagoge, kaufmännische Angestellte oder Student zusammensetzen. Die
versuchen aufzufangen, was woanders nicht geleistet wird.
Ehrenamtliches Engagement ist in Hessen wichtig. Ministerpräsident Volker
Bouffier (CDU) lobte in seiner Regierungserklärung, wie fast alle seine
Amtskollegen, die ehrenamtlichen Helfer. „Ohne sie würden wir das gar nicht
packen“, sagt auch Thomas Wolff vom DRK Hessen. Wer ehrenamtlich
Deutschunterricht geben will, den verweist die Stadt an Teachers on the
Road, eine freiwillige Organisation. „Die haben das beste Know-how“, sagt
Manuela Skotnik vom Sozialdezernat in Frankfurt.
Aber zumindest Ludwig von Welcome Frankfurt will nicht „Ehrenamtlerin“
sein. Primär sei sie eine politische Aktivistin. „Wir können den Staat
nicht aus der öffentlichen Daseinsvorsorge entlassen. Es geht nicht, dass
hoheitliche Aufgaben auf EhrenamtlerInnen übertragen werden”, sagt sie.
## Jeans und Wasser
Während der Sitzung von Welcome Frankfurt müssen einige früher los, andere
kommen später. Das ist für diese Art Arbeit nichts Ungewöhnliches. Manche
melden sich erst für Aufgaben und tauchen doch nie mehr auf. Andere kommen
aus dem Nichts und springen ein.
Auch nicht alle Hauptamtlichen sind immer glücklich mit der Arbeit der
Freiwilligen. Gerade wenn diese spontan mit zwei paar Jeans oder Wasser
vorbeikommen. „Das gibt schlimmstenfalls Streit, wer die Sachen haben
kann“, sagt Pilar Madariaga, die für die AWO Flüchtlingsunterkünfte managt.
Es sei besser, vorher zu fragen, was wo gebraucht würde.
Am Ende der Sitzung sieht Annette Ludwig müde aus. Fast drei Stunden lang
hat man beraten und ausgetauscht. „Können wir morgen telefonieren?“, fragt
sie. Schon am nächsten Tag sieht man sie wieder bei einer Demo.
Seit Freitag vergangener Woche haben die Hauptamtlichen des Frankfurter
Vereins für soziale Heimstätten den Empfang der neu ankommenden Flüchtlinge
am Bahnhof übernommen.
Am selben Tag kündigt Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) die
Einrichtung einer eigene Stabsstelle mit bis zu 25 Mitarbeitern an. Ab dem
1. November organisieren sie Ankunft, Unterbringung und Integration der
ankommenden Menschen. Die Stadt beginnt zu handeln.
17 Oct 2015
## AUTOREN
Alina Leimbach
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