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# taz.de -- Anwältin über obskure Altersschätzungen: „Er wollte kein Versu…
> Anwältin Susanne Besendahl klagt gegen fragwürdige Verfahren zur
> Feststellung des Alters von Flüchtlingen. Das Grundrecht auf
> Menschenwürde werde verletzt.
Bild: Die umstrittenen Altersbestimmungen von jungen Flüchtlingen sollen jetzt…
taz: Frau Besendahl, Sie haben im Namen eines jungen Flüchtlings aus Gambia
Verfassungsbeschwerde eingelegt. Jugendamt und Gerichte hatten ihm aufgrund
eines Sachverständigen-Gutachtens nicht geglaubt, dass er noch minderjährig
ist. Auf welches Grundrecht beruft sich Ihr Mandant?
Susanne Besendahl: Vor allem auf die Menschenwürde. Er wollte sich nicht
als Versuchsobjekt eines unwissenschaftlich arbeitenden Sachverständigen
benutzen lassen.
Versuchsobjekt? Es geht doch nur um die Altersbestimmung.
Mit Röntgenaufnahmen des Handgelenks kann aber das Alter nicht zuverlässig
bestimmt werden. Das hat auch schon der deutsche Ärztetag festgestellt.
Der Sachverständige im Fall Ihres Mandanten hat die Standardabweichung bei
der von ihm angewandten Methode auf vier Monate beziffert. Ist das nicht
einigermaßen genau?
Der Sachverständige hat sich auf eine Studie bezogen, wonach die
Standardabweichung für derartige Fälle bei rund vier Jahren lag. Es geht
also um Jahre, nicht um Monate! Das war erstens ein schwerer Fehler des
Sachverständigen und zeigt zweitens, wie wenig exakt diese Methode ist.
Die Rechtsprechung geht davon aus, dass eine Kombination verschiedener
körperlicher Untersuchungsmethoden brauchbare Ergebnisse liefern kann.
Warum hat sich Ihr Mandant weiteren Untersuchungen verweigert?
Weil auch die anderen körperlichen Methoden untauglich sind und eine
Kombination von untauglichen Methoden keine brauchbaren Ergebnisse liefern
kann. Röntgenuntersuchungen sind wegen der Strahlenbelastung
gesundheitsgefährdend. Manche Untersuchungsmethoden sind zudem unethisch
und erniedrigend.
Zum Beispiel?
Die Untersuchung von Penislänge und Hodenumfang verletzt das Schamgefühl
junger Flüchtlinge. So etwas erinnert an die entsetzlichen medizinischen
Untersuchungen im Nationalsozialismus. Auch die Prüfung des Gebisses
verletzt die Menschenwürde.
Gab es schon einmal eine Verfassungsbeschwerde zur Frage der
Altersfeststellung?
Mir ist keine bekannt. Die meisten jungen Flüchtlinge sind auch nicht
anwaltlich vertreten.
Hat Ihre Verfassungsbeschwerde grundsätzliche Bedeutung oder geht es vor
allem um Gerechtigkeit im Einzelfall?
Beides. Ich hoffe, das Bundesverfassungsgericht nimmt den Fall zum Anlass,
die körperlichen Untersuchungsmethoden zur Altersfeststellung generell für
ungeeignet und grundrechtsverletzend zu erklären. Der Fall meines Mandanten
ist jedoch besonders, weil die Gerichte auch im Einzelfall willkürlich
geurteilt haben.
Warum?
Das Oberlandesgericht nahm Kontakt zur früheren Schule meines Mandanten
auf, und der Schulleiter bestätigte dessen Geburtsdatum. Daraufhin hat das
Gericht vermutet, dass mein Mandant an seiner Schule jahrelang mit einem
falschen Geburtsjahr geführt wurde – nur weil das Datum nicht zu dem
obskuren Sachverständigen-Gutachten passte.
Lehnen Sie es generell ab, Altersangaben von jungen Flüchtlingen zu prüfen?
Nein, ich finde es nachvollziehbar, dass die Behörden nur Flüchtlingen, die
tatsächlich minderjährig sind, die besondere Betreuung für unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge gewähren wollen. Soweit man das Alter schätzen
muss, finde ich aber nur die psychosoziale Methode vertretbar. Dabei wird
anhand von Gesprächen und des Auftretens des Flüchtlings dessen Reifegrad
ermittelt.
13 Oct 2015
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Menschenrechte
Altersfeststellung
Minderjährige
Verfassungsbeschwerde
Minderjährige Geflüchtete
Asylrecht
Frankfurt am Main
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Flüchtlinge
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