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# taz.de -- Altersuntersuchungen bei Flüchtlingen: Sag mir erst, wie alt du bi…
> Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kommen oft ohne Papiere. Der Staat
> versucht ihr Alter zu schätzen – teilweise mit fatalen Folgen.
Bild: „Na, wie alt seid ihr denn?“ Auf jeden Fall minderjährig, Herr Vizek…
Freiburg taz/epd | Papier lügt nicht – es sei denn, es kommt aus Gambia:
Eine Freiburger Behörde schickte einen 17-jährigen unbegleiteten Flüchtling
unlängst zu einer Röntgenuntersuchung des Handwurzelknochens. Sein
angegebenes Geburtstagsdatum wurde angezweifelt. Zwar konnte er eine
Geburtsurkunde vom Januar 1998 vorweisen, doch wurde diese nicht anerkannt,
da es sich um eine Fälschung handeln könnte. Auf dem Röntgenbild waren
geschlossene Wachstumsfugen zu erkennen. Ein klares Indiz für die Behörde:
Der junge Mann sei volljährig – und hat somit keinen Anspruch auf
Jugendhilfe.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge genießen mehr Rechte als
volljährige. Sie haben Anspruch auf eigenen Wohnraum, Bildung, rechtliche
Vertretung und Gesundheitsversorgung. Wer unter 16 ist, bekommt einen
rechtlichen Vormund zur Seite gestellt, der den komplexen Asylprozess
begleitet. 16- bis 17-Jährigen blieb dieses Recht bislang oft verwehrt. Ein
neues, vom Familienministerium erarbeitetes Gesetz sieht vor, diese
Altersgrenze auf 18 Jahre anzuheben. Der Altersschätzung kommt somit eine
tragende Rolle im Asylverfahren zu.
Viele Flüchtlinge kommen ohne Papiere in Deutschland an. Fluchthelfer
behalten diese ein oder raten dazu, die Papiere zu vernichten. Und selbst
wenn Papiere vorhanden sind, werden diese wie im eingangs erwähnten Fall
von Behörden angezweifelt. Die Prozedur der Altersschätzung differiert von
Bundesland zu Bundesland. Auch innerhalb der Landesgrenzen unterscheiden
sich die Methoden. Wie uneinheitlich die Verfahren sind, zeigt die Antwort
der Bundesregierung auf eine große Anfrage von Grünen-Abgeordneten zur
Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ([1][Drucksache 18/5564
– Frage 109]).
Das Hamburger Verfahren gilt vielen Behörden als Vorbild. Zunächst werden
die Geflüchteten von zwei Sozialpädagogen begutachtet. Anhand einer
Checkliste (Bartwuchs, Stirnfalten et cetera) versuchen sich die
Mitarbeiter in der Altersschätzung. Tauchen Zweifel auf, wird das Institut
für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE)
hinzugezogen. Dort findet eine Anamnese und eine zahnärztliche Untersuchung
statt. Wenn nötig, wird der Handknochen geröntgt.
## Umstrittene Praxis
Die Praxis ist umstritten. Zur Anamnese gehört die Betrachtung der
Genitalien. Das Schamgefühl der jungen Menschen wird ignoriert. Auch die
Röntgenmethode steht in der Kritik. Drei Kinderärzte veröffentlichten im
vergangenen Jahr einen [2][Artikel im Deutschen Ärzteblatt], der sich gegen
diese Methode aussprach. Auch bei vollständigem Schluss der Wachstumsfugen
sei ein chronologisches Alter von unter 18 Jahren möglich, hieß es dort.
Und weiter: „Röntgen und CT verursachen eine nicht verantwortbare
Strahlenbelastung ohne Vorliegen einer rechtfertigenden Indikation.“
Einer der Autoren des Artikels, Klaus Mohnike, Leiter des Bereichs
Pädiatrische Endokrinologie und Stoffwechsel am Universitätsklinikum
Magdeburg, sagt: „Es gibt kein idealtypisches Verfahren zur
Altersschätzung. Man kann nur die Reife feststellen: Ist derjenige vor der
Pubertät, in der Pubertät oder nach der Pubertät, daraus lässt sich aber
nicht auf das Alter schließen.“
„Wir geben das Mindestalter an“, erläuterte Klaus Püschel, Leiter des
Instituts für Rechtsmedizin des UKE, [3][im Januar gegenüber der taz]. Das
sei das diagnostizierte Alter minus zwei Jahre. Mit seinem Kollegen Michael
Tsokos, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Charité, schrieb er
einen Leserbrief als Antwort auf den Ärzteblatt-Artikel. Er warf den
Kollegen unter anderem vor, den aktuellen Forschungsstand zu
vernachlässigen.
Zum Forschungsstand gehört allerdings auch die Erkenntnis, dass das
Asylverfahren für Traumatisierte eine weitere Traumasequenz darstellen
kann. Insbesondere die Altersschätzung stelle einen Belastungsfaktor dar,
so eine Studie der Traumapädagogin Brigitte Hargasser. Das deckt sich mit
der Tatsache, dass viele geflüchtete Jugendliche nicht über das während der
Altersschätzung Erlebte sprechen wollen.
Im Falle des jungen Menschen aus Gambia bereitet seine Anwältin nun eine
Verfassungsbeschwerde vor. Mehrere Dokumente aus dem Heimatland würden die
Minderjährigkeit belegen. „Es wären nur ein paar Telefonate nach Gambia
nötig“, sagte die Anwältin dem epd.
24 Sep 2015
## LINKS
[1] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/055/1805564.pdf
[2] http://www.aerzteblatt.de/pdf/111/18/a786.pdf
[3] /Streit-ueber-Altersbestimmung/!5024985
## AUTOREN
Marco Wedig
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