# taz.de -- Ermittlungen gegen netzpolitik.org: Landesverrat. Bitte was? | |
> Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen netzpolitik.org. Aber sind die | |
> Vorwürfe gerechtfertigt? Und was bedeuten sie für die Verdächtigten? | |
Bild: Bundesjustizminister Heiko Maas will überprüfen, ob „Landesverrat“ … | |
FREIBURG taz/dpa | Es ist ein ungeheurer Vorwurf. Die beiden Journalisten | |
Markus Beckedahl und Andre Meister werden des Landesverrats verdächtigt. | |
Auf Landesverrat steht laut Strafgesetzbuch (§ 94) eine Freiheitsstrafe von | |
mindestens einem Jahr. Es handelt sich also um ein „Verbrechen“. | |
Inbesonders schweren Fällen ist sogar lebenslange Freiheitsstrafe möglich. | |
Das Gesetz kennt zwei Varianten des Landesverrats. In der einen werden | |
Staatsgeheimnisse an eine „fremde Macht“ weitergegeben. Das wird | |
netzpolitik.org nicht vorgeworfen. Die Ermittlungen gegen Beckedahl und | |
Meister gehen von der zweiten Variante aus, dass sie Staatsgeheimnisse an | |
Unbefugte geben oder „sonst öffentlich bekannt gemacht“ haben. Ein | |
Staatsgeheimnis ist laut Gesetz eine Information, die vor einer fremden | |
Macht geheim gehalten werden muss, um schweren Schaden von Deutschland | |
abzuwenden. | |
Es ist aber nicht nur zu klären, ob netzpolitik.org „Staatsgeheimnisse“ | |
veröffentlicht hat. Für eine Bestrafung wegen Landesverrats müssen laut | |
Gesetz noch zwei weitere Voraussetzungen gegeben sein. Zum einen muss durch | |
die Veröffentlichung die „Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere | |
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ eingetreten sein. | |
Außerdem müssen die vermeintlichen Täter in der Absicht gehandelt haben, | |
„die Bundesrepublik zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu | |
begünstigen.“ Beides ist abwegig. | |
## Haushalt des Verfassungsschutzes | |
Im Februar [1][berichtete netzpolitik.org] ([2][Kopie auf archive.org]), | |
dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) plant, „massenhaft | |
Internet-Inhalte zu erheben und auszuwerten, darunter Kontaktlisten und | |
Beziehungsgeflechte bei Facebook.“ 2,75 Millionen Euro sollen dafür im | |
geheimen BfV-Haushalt vorgesehen sein. Im April [3][legte netzpolitik.org | |
nach und berichtete] ([4][Kopie auf archive.org]), dass 75 BfV-Mitarbeiter | |
zur „Massendatenauswertung von Internetinhalten“ eingeplant seien. Dazu | |
wurde das geheime Konzept der „Erweiterten Fachunterstützung Internet“ | |
veröffentlicht. Angesichts des NSA-Skandals stießen die eher technischen | |
Informationen durchaus auf öffentliches Interesse. | |
BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen ärgerte sich jedoch sehr über die | |
Indiskretionen und reichte beim Landeskriminalamt Berlin Strafanzeigen ein. | |
Die Veröffentlichung sollte unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft | |
werden. Die Strafanzeigen wurden Anfang Juli durch einen Bericht des | |
Deutschlandfunks bekannt. Zu diesem Zeitpunkt ging man noch davon aus, dass | |
nicht gegen die Journalisten ermittelt werden, sondern nur gegen ihre | |
(unbekannten) Quellen in den Behörden. | |
Das LKA Berlin gab die Strafanzeigen an Generalbundesanwalt Range ab, weil | |
es um Staatsgehimnisse gehe. Die Bundesanwaltschaft fragte beim | |
Verfassungsschutz nach, der ausführlich darlegte, dass es sich um | |
„Staatsgeheimnisse“ handele. Darauf nahm Range zumindest einen | |
Anfangsverdacht an und leitete ein Ermittlungsverfahren ein. | |
## Vorschriften zu Landesverrat reformieren? | |
Am 30. Juli erhielten Beckedahl und Meister einen Brief der | |
Bundesanwaltschaft, der ihnen die Existenz des Ermittlungsverfahrens | |
mitteilte. Dies diente dazu die Verjährung zu unterbrechen, die bei | |
Pressedelikten zum Schutz der Grundrechte schon nach sechs Monaten | |
eintritt. Allerdings erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas am 31. Juli | |
mit Blick auf die Weiterführung der Ermittlungen, dass er „Zweifel daran | |
habe, ob die Journalisten mit ihrer Veröffentlichung die Absicht verfolgt | |
haben, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde | |
Macht zu begünstigen“. | |
„Der Schutz der Pressefreiheit ist ein hohes Gut“, sagte Maas. Deshalb | |
werde zu klären sein, ob die strafrechtlichen Vorschriften zum Landesverrat | |
und dem Schutz von Staatsgeheimnissen im Verhältnis zur Pressefreiheit | |
insgesamt reformbedürftig seien. | |
Zuvor hatte die Bundesanwaltschaft einen externen Gutachter mit der Prüfung | |
beauftragt, ob die beiden netzpolitik.org-Veröffentlichungen tatsächlich | |
Staatsgeheimnisse sind. Die Prüfung soll zügig abgeschlossen sein. | |
Bis dahin will die Bundesanwaltschaft in dieser Sache keine weiteren | |
Ermittlungsmaßnahmen durchführen, also keine Telefone abhören, keine | |
Redaktionsräume durchsuchen. Auch Verhaftungen, etwa wegen Fluchtgefahr, | |
sind nicht geplant. | |
31 Jul 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://netzpolitik.org/2015/geheimer-geldregen-verfassungsschutz-arbeitet-a… | |
[2] http://web.archive.org/web/20150329154655/https://netzpolitik.org/2015/gehe… | |
[3] http://netzpolitik.org/2015/geheime-referatsgruppe-wir-praesentieren-die-ne… | |
[4] http://web.archive.org/web/20150415155552/https://netzpolitik.org/2015/gehe… | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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