Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte „Landesverrat“ abschaffen: Die Angst vor fremden Mächt…
> Die Strafnorm des Landesverrats muss reformiert werden. Und zwar so, dass
> demokratische Debatten nicht mehr behindert werden können.
Bild: Markus Beckedahl von Netzpolitik.org in den Redaktionsräumen von Correct…
Nehmen wir an, eine Zeitung deckt auf, dass das Personal der
Lebensmittelkontrolle im Zuge von Sparmaßnahmen halbiert werden soll. Sie
prangert das an, will die deutsche Öffentlichkeit mobilisieren. Doch der
Wirtschaftsminister reagiert mit einer Strafanzeige wegen Landesverrat.
Die Ausdünnung der Lebensmittelkontrolle sei ein Staatsgeheimnis, das vor
fremden Mächten verborgen bleiben müsse, weil diese sonst wüssten, wie
leicht sie in Deutschland Lebensmittel vergiften könnten. Es drohe ein
schwerer Nachteil für die äußere Sicherheit Deutschlands.
Der Generalbundesanwalt sieht zumindest einen Anfangsverdacht und ermittelt
wegen Landesverrat (§ 94 Strafgesetzbuch), Offenbarung von
Staatsgeheimnissen (§ 95) und fahrlässiger Preisgabe von Staatsgeheimnissen
(§ 97).
Das Beispiel ist etwa so abwegig wie die gerade gestoppten Ermittlungen
gegen zwei Journalisten von Netzpolitik.org, die Einzelheiten aus dem
Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz veröffentlicht haben. Auch hier
wurde die Gefahr für die äußere Sicherheit darin gesehen, dass „fremde
Mächte“ nach Schwachstellen im deutschen Sicherheitsapparat suchen könnten
und deshalb keine Details über diesen erfahren dürfen.
## Abschaffung oder Entschärfung
Der Vorgang zeigt, wie schnell der Begriff des Staatsgeheimnisses eine
notwendige öffentliche Debatte nach geltendem Recht behindern kann. Es ist
daher notwendig, über eine Abschaffung oder Entschärfung der
Landesverrats-Paragrafen zu diskutieren. Bundesjustizminister Heiko Maas
(SPD) hat bereits angekündigt, dass er hierzu bereit ist.
Erst in jüngster Zeit hat der Gesetzgeber den Schutz der Pressefreiheit
verbessert. Seit 2012 ist im Strafgesetzbuch festgehalten, dass
Journalisten, die ein vertrauliches Dokument veröffentlichen, sich nicht
wegen Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen strafbar machen (§ 353
b).
Es ist wohl auch kein Zufall, dass nun andere Möglichkeiten ausgetestet
werden, gegen Journalistinnen und Journalisten vorzugehen – und sei es mit
der juristischen Superkeule des Landesverrats. Deshalb muss nun versucht
werden, auch hier einen expliziten Schutz der Pressefreiheit einzubauen.
Die Hoffnung, dass die Gerichte solche Exzesse am Ende schon stoppen
werden, ist zwar berechtigt. Allerdings kann schon ein Ermittlungsverfahren
stigmatisierende Wirkung haben. Und nicht jeder ist so sympathisch (und
deshalb relativ gut gegen Diffamierungen geschützt) wie Netzpolitik-Chef
Markus Beckedahl. Außerdem kann ein Ermittlungsverfahren benutzt werden,
Redaktionen abzuhören und auszuforschen.
Es geht nun nicht darum, einen allgemeinen Freibrief für Journalisten
einzuführen. Diese sollen nicht über dem Gesetz stehen. So verlangt
niemand, dass sie bei der Arbeit andere bedrohen, bestechen oder bestehlen
dürfen, um an Informationen zu kommen. Die Veröffentlichung von Nachrichten
von allgemeinem Interesse sollte in der Demokratie aber möglichst straflos
möglich sein.
## Glaubwürdigkeit dank veröffentlichter Dokumente
Dazu gehört auch die Veröffentlichung von Informationen im
Originalwortlaut. Das verschafft einem Bericht mehr Glaubwürdigkeit, es
macht die Informationen besser nachvollziehbar und natürlich schafft es
auch mehr Aufmerksamkeit.
Dazu können im Einzelfall auch Dokumente gehören, die als „vertraulich“
oder „geheim“ eingestuft sind. Es kann schließlich nicht sein, dass sich
Behörden, die sich rechtswidrig oder sonst skandalös verhalten, schon
dadurch immunisieren können, dass sie alle Informationen darüber mit dem
Stempel „geheim“ versehen. Aber auch jenseits von illegalen oder
kritikträchtigen Vorgängen werden in Deutschland zu viel Informationen vor
der Öffentlichkeit geschützt.
Die naheliegende Forderung wäre, die Landesverrats-Paragrafen und den
Begriff des Staatsgeheimnisses ganz abzuschaffen. Was schützenswert ist,
könnte als Dienstgeheimnis geschützt bleiben. Dagegen ist der Bezug auf
„fremde Mächte“ ohnehin antiquiert, wir leben nicht mehr im 19.
Jahrhundert.
Natürlich können fremde Geheimdienste jede Information über Missstände in
Deutschland auch gegen Deutschland verwenden – aber soll sie schon deshalb
ein Staatsgeheimnis sein? Der ganze Ansatz ist verfehlt. Die
Landesverrats-Delikte müssen zumindest ganz neu konzipiert werden.
Richtigerweise sollte dabei von den Funktionsbedingungen der Demokratie
ausgegangen werden. Diese lebt von der freien öffentlich Information und
Diskussion über gesellschaftliche Verhältnisse und Vorhaben. Alles was
hierzu beiträgt, kann per se kein Staatsgeheimnis sein – auch wenn
irgendjemand die Information gegen die Bundesrepublik verwenden könnte.
## Eine Schutzklausel für Journalisten ist sinnvoll
Das muss auch für Informationen über Sicherheitsbehörden gelten. Bei der
Polizei ist jedenfalls völlig anerkannt, dass ihre Eingriffsbefugnisse
ausdrücklich gesetzlich zu regeln sind. Das heißt, bevor sie beschlossen
werden, findet eine öffentliche und meist kontroverse Debatte statt.
Nachdem sie beschlossen wurden, sind sie für jedermann – auch Kriminelle –
im Gesetz nachlesbar.
Für manche Methoden – etwa das Abhören von Telefonen oder Wohnungen – gibt
es sogar jährliche Statistiken, wie häufig sie angewandt wurden. Das sind
demokratische Standards. Wenn der Verfassungsschutz das nicht für sich
gelten lassen will, dann ist er kein demokratischer Dienst.
Weil aber im Einzelfall streitig sein kann, welche Debatten und
Informationen zum normalen demokratischen Leben gehören, ist es sinnvoll,
eine generelle Schutzklausel für die Veröffentlichungen von Journalisten
vorzusehen.
Dabei ist die Frage, wer ein Journalist ist, durchaus lösbar und wurde
bisher auch gelöst. Schließlich gibt es das Zeugnisverweigerungsrecht für
Journalisten schon seit Jahrzehnten. Natürlich ist Blogger Markus Beckedahl
ein Journalist und natürlich ist nicht jeder ein Journalist, der sich eine
entsprechende Visitenkarte zulegt. Daran sollte eine notwendige Reform nun
wirklich nicht scheitern.
13 Aug 2015
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Landesverrat
Schwerpunkt Überwachung
Netzpolitik.org
Demokratie
Landesverrat
Landesverrat
Landesverrat
Landesverrat
Landesverrat
Landesverrat
Schwerpunkt Überwachung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Recherche zum „Landesverrat“: Wer ist hier Verräter?
Die Ermittlungen gegen netzpolitik.org sind eingestellt. Nun gibt es eine
neue Theorie: Wollten Geheimdienste gegen Parlamentarier vorgehen?
„Landesverrat“-Skandal der Regierung: Kanzleramt wusste es schon im April
Bislang wollte das Kanzleramt erst Ende Juli von den Ermittlungen gegen
Journalisten erfahren haben. Die Grünen halten das für ein Märchen.
„Landesverrat“-Affäre der Regierung: „Völlig sinnlos“ und „absurd“
Der Bundestag berät über Ermittlungen gegen „Netzpolitik.org“. VS-Chef
Maaßen und Innenminister de Maizière erschienen nicht.
Landesverrat-Vorwurf gegen „Konkret“: „Operation Eva“
Nicht nur gegen „Spiegel“ und netzpolitik.org wurde ermittelt, sondern auch
gegen das linke Magazin „Konkret“ – 1982. Eine absurde Geschichte.
„Landesverrat“-Affäre zu Harald Range: Spiel mit gezinkten Karten
Harald Range beschuldigte den Justizminister eines „Eingriffs in die
Justiz“. Der warf ihm vor, die Tatsachen zu verdrehen und entließ ihn
vorzeitig.
Ermittlungen gegen netzpolitik.org: Landesverrat. Bitte was?
Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen netzpolitik.org. Aber sind die
Vorwürfe gerechtfertigt? Und was bedeuten sie für die Verdächtigten?
Kommentar netzpolitik.org: Grenzenloser Verrat
Den Betreibern des Blogs netzpolitik.org wird Landesverrat vorgeworfen. Das
ist ein drastischer Angriff auf Pressefreiheit und Demokratie.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.