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# taz.de -- Lobbyismus an Bildungseinrichtungen: Schulverweis für Exxon & Co.
> Schulbesuche bei Energiekonzernen fallen in Niedersachsen erstmal weg.
> Das Kultusministerium hat solche Kooperationen untersagt.
Bild: Hefte raus und notieren: „Fracking ist ganz große Klasse.“
BERLIN taz | | Wenn die Elftklässler des Gymnasiums Sulingen bis dato nur
eine ungefähre Vorstellung davon hatten, welche Bedeutung Erdgas für die
künftige Energieversorgung haben würde, so wurden sie im November 2012
eines Besseren belehrt. An diesem Tag besuchten die naturwissenschaftlichen
Kurse nämlich eine Tochterfirma von ExxonMobil, die an mehreren Standorten
in Niedersachsen Erdgas fördert.
„Der Referent aus der Öffentlichkeitsarbeit stellte heraus, dass der
Nutzung von Erdgas […] eine herausragende Rolle in den nächsten Jahrzehnten
zukommen wird“, notierten die Schüler in einem Bericht für die Webseite der
Schule. Die Betriebsbesichtigung, Teil einer [1][langjährigen Kooperation
mit Exxon], endete zur allgemeinen Zufriedenheit mit einem „sehr leckeren
Mittagessen“ in der betriebseigenen Kantine.
Auf solche Ausflüge werden Niedersachsens Gymnasiasten ab dem kommenden
Schuljahr erst einmal verzichten müssen. Das SPD-geführte Kultusministerium
kündigte im Januar eine Kooperation zwischen Gymnasien und
Erdöl-Unternehmen auf, nachdem zivilgesellschaftliche Kritik laut geworden
war.
Es sei „nicht mehr gewährleistet“ dass sich „Schülerinnen und Schüler …
einseitigen Einfluss ihr eigenes Urteil bilden können“, begründet das
Kultusministerium seine Entscheidung. Die Kooperation verstoße gegen die
Antikorruptionsrichtlinie.
## Bilaterale Kooperationen
Initiiert wurde die Zusammenarbeit zwischen den Gymnasien und dem
Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG) 2007 unter der
schwarz-gelben Regierung. Diese hatte vor, Schulen für
zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure zu öffnen, um mehr
Praxis in den Unterricht zu holen.
Einige niedersächsische Gymnasien starteten daraufhin bilaterale
Unternehmenskooperationen. Die Gymnasien Sulingen und Antonianum Vechta
knüpften Kontakte zu ExxonMobil, das Franziskusgymnasium in Lingen
arbeitete mit dem Energieunternehmen GDF SUEZ zusammen.
Nach Auskunft des Kultusministeriums erhielten insgesamt fünf Gymnasien von
den Unternehmen jeweils bis zu 10.000 Euro jährlich, über deren Verwendung
die jeweiligen Partnerunternehmen jedoch mitentscheiden durften. Außerdem
verpflichteten sich die Schulen, „Statusberichte“ über die Zusammenarbeit
vorzulegen und gemeinsam mit dem WEG [2][Unterrichtsmaterialien zu
entwickeln].
„Eine solche Vertragsgestaltung eröffnet unseres Erachtens Möglichkeiten
der Einflussnahme auf schulische Belange und die Mitgestaltung der
Lehrinhalte und wäre damit unzulässiges Sponsoring“, begründet das
Ministerium auf Nachfrage der taz seine Entscheidung.
## Gefahr der Instrumentalisierung
Aus einer vom WEG publizierten Dokumentation „Erdöl- und Erdgasgewinnung
als Thema für die gymnasiale Oberstufe“ ([3][hier als pdf]) geht zudem
hervor, dass die Partner auch Exkursionen und Lehrerfortbildungen
durchführten und Referenten an die Schulen schickten. Dabei seien auch
tagespolitisch relevante Themen wie [4][das umstrittene Fracking] oder die
[5][Bedeutung von Erdgas] für die Energieversorgung thematisiert worden.
Der [6][Antikorruptionsverein LobbyControl] sieht die Unabhängigkeit der
schulischen Wissensvermittlung durch solche Kooperationen bedroht. „Die
Gefahr ist, dass die Schulen für die Interessen der Unternehmen
instrumentalisiert werden“, argumentiert Felix Kamella von LobbyControl.
Die Unternehmen könnten die Autorität und den Schutzraum der Institution
Schule für Werbung und Selbstdarstellung nutzen.
Der Schulleiter des Franziskusgymnasiums Lingen, Heinz-Michael Klumparendt,
versucht zu beruhigen. Entscheidend sei, dass die Schule kontrolliere,
welche Themen behandelt werden: „Gefährlich wird es erst dann, wenn
Unternehmen Unterrichtsinhalte diktieren können.“ An seiner Schule sei das
aber zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen.
Den Energieunternehmen ging es jedoch dezidiert auch darum, ihre Themen im
Klassenraum zu setzen: Die Integration von „Erdöl- und Erdgasthemen in die
Projektarbeit der Schule“ ist laut WEG-Dokumentation ein Ziel der
Nachwuchsarbeit. Und sie haben es erreicht: Alle fünf Schulen richteten ein
entsprechendes Seminarfach ein.
## Mangelnde Distanz
Am Gymnasium Sulingen hieß das Fach „Erdgas – ein Energieträger mit
Zukunft“. Im Rahmen des Unterrichts führte die Schule 2012 eben jene
Exkursion zur norddeutschen Erdgasaufbereitungsanlage NEAG, einem
Tochterunternehmen des Kooperationspartners Exxon durch.
Kamella von LobbyControl sieht auch ein strukturelles Problem: „Solche
Kooperationen können grundsätzlich zu finanziellen Abhängigkeiten und
mangelnder Distanz führen.“ Eine ähnliche Auffassung vertritt das
Kultusministerium.
Ein genauer Blick auf die Kooperationen zeigt: Es gibt tatsächlich ein sehr
dichtes Geflecht an Kommunikationskanälen, die meist von den Unternehmen in
Richtung der Schulen verlaufen. „Man kennt sich, man hilft sich“, zitiert
die digitale Kreiszeitung im September 2011 Norbert Stahlhut aus der
Öffentlichkeitsabteilung von ExxonMobil in einem Artikel über die
Schulkooperation.
## Reputation verbessern
Die Kommunikationsstrategie der Erdöllobby wirkt dabei zuweilen etwas
schizophren. Nach außen muss der Wirtschaftsverband Befürchtungen abwehren,
er würde die Schüler manipulieren. „Die Erfahrung zeigt, dass sich die
Schülerinnen und Schüler sehr engagiert einbringen und sich mit aktuellen
Themen durchaus kritisch auseinandersetzen“, schreibt Verbandssprecherin
Miriam Ahrens auf taz-Anfrage.
Nach innen will der Verband den Mitgliedsunternehmen allerdings die
Schulkooperation schmackhaft machen. Zumindest in seiner Dokumentation ist
der Lobbyverband bemerkenswert offen. Ziel der Kooperationen sei die
„Verbesserung von Akzeptanz und Reputation“ der beteiligten Unternehmen. In
einer Evaluation heißt es, 57 Prozent der beteiligten SchülerInnen fänden
ihr Partnerunternehmen „sehr gut“ oder „gut“, und für 45 Prozent habe …
die Bewertung der Partnerunternehmen verbessert.
Geht es nach dem Wirtschaftsverband, dann geht die Nachwuchsarbeit auch
nach dem Rausschmiss durch das Kultusministerium weiter: „Die beteiligten
Unternehmen streben an, die Zusammenarbeit fortzuführen“, schreibt Ahrens.
Davon geht auch Kamella von LobbyControl aus. Er befürchtet, dass die
Unternehmen, die Verträge mit den Schulen so verändern, dass sie formal der
Antikorruptionsrichtlinie nicht mehr widersprechen, die Kooperationen
jedoch mit minimalen Veränderungen fortbestehen.
27 Jun 2015
## LINKS
[1] /!5068398/
[2] /!5047254/
[3] http://www.erdoel-erdgas.de/content/download/1987/11308/file/Dokumentation%…
[4] /Kabinett-beschliesst-Fracking-Gesetz/!5014293/
[5] /Prozess-gegen-Erdgasfirma/!5202949/
[6] http://www.lobbycontrol.de
## AUTOREN
Tobias Maier
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