| # taz.de -- Machtfrage im Klassenzimmer: Lobbyisten stürmen Schulen | |
| > Ein Ölkonzern sponsert Ausflüge, Autohersteller verteilen Kopiervorlagen: | |
| > Neue Studien zeigen den Einfluss von Lobbygruppen an Schulen. | |
| Bild: Bildung tanken? Der Mineralölkonzern Exxon unterstützt den Unterricht. | |
| BERLIN taz | Das Gymnasium in Sulingen, 50 Kilometer südlich von Bremen, | |
| und der Ölkonzern ExxonMobil stehen sich sehr nahe: Regelmäßig sponsert das | |
| Unternehmen dem Leistungskurs Musik Fahrten zur Philharmonie in Hamburg. Im | |
| Foyer des Gymnasiums organisierte ExxonMobil eine Erdgasausstellung. Zu | |
| Beginn der Schulkooperation im Jahr 2007 machte der Konzern den Geldbeutel | |
| richtig weit auf: 10.000 Euro spendete er dem Gymnasium. | |
| Solche Partnerschaften kritisiert die Initiative LobbyControl. Ein heute | |
| veröffentlichtes Diskussionspapier listet zahlreiche Beispiele auf, die | |
| zeigen, wie weit der Einfluss von Unternehmen und Interessengruppe auf den | |
| Unterricht reicht. „Lobbyisten haben die Schule als Handlungsfeld für sich | |
| entdeckt“, sagt der Autor Felix Kamella. „Dabei geht es nicht um Bildung | |
| und Erkenntnis, sondern um Meinungsmache und Manipulation.“ | |
| Unternehmen umgingen das Werbeverbot an Schulen geschickt durch Sponsoring | |
| oder durch Unterrichtsmaterialien, die sie in Umlauf bringen, so die | |
| Studie. Die „Deutsche Schulmarketing Agentur“, ein Dienstleister, der unter | |
| anderem AOK, die Deutsche Bank und Nokia zu seinen Kunden zählt, drückt | |
| dieses Ansinnen sogar unverblümt aus: Ihr Ziel sei es, „die | |
| wirtschaftlichen Interessen der werbetreibenden Unternehmen mit dem | |
| pädagogischen Bildungsauftrag der Schulen in Einklang zu bringen“, schreibt | |
| die Agentur in einer Selbstdarstellung. | |
| Unterrichtsmaterialien aus der Feder von Unternehmen und Interessengruppen | |
| sind dabei weit verbreitet. Wie weit, das zeigte kürzlich eine Untersuchung | |
| der Universität Augsburg. 2011 machten die Forscher bei einer | |
| Internetrecherche 520.419 kostenlose Materialien wie Arbeitsblätter, | |
| Themenhefte und Unterrichtsbroschüren ausfindig. Im vergangenen Jahr ist | |
| die Zahl gar auf 883.540 Materialien angewachsen. 19 Prozent davon stammten | |
| von Unternehmen, Stiftungen und Vereinen. 16 der 20 umsatzstärksten | |
| Unternehmen bieten kostenloses Lehrmaterial an. | |
| ## „Eine gewisse Werbewirkung“ | |
| Ein Beispiel: die 66-seitige Kopiervorlage „Design und Aerodynamik“ des | |
| Autobauers Daimler, gedacht für den Physikunterricht der Klassen 8 bis 10. | |
| Darin finden sich neben Grafiken, Formeln und Aufgaben immer wieder schicke | |
| Bilder von Autos. Das nordrhein-westfälische Schulministerium hält das für | |
| vertretbar, schließt aber gegenüber LobbyControl „eine gewisse | |
| Werbewirkung“ nicht aus. Laut Schulgesetz ist „Werbung, die nicht | |
| schulischen Zwecken dient, in der Schule grundsätzlich unzulässig“ – ein | |
| Gummiparagraf, wie LobbyControl bemängelt. Schulleiter könnten nach eigenem | |
| Ermessen entscheiden, wann Werbung schulischen Zwecken dient. | |
| Manchmal gelingt es Lobbyisten gar, eigene Schulbücher zu schreiben. Als | |
| Beispiel nennt die Studie das Buch „Grundlagen wirtschaftlichen Handelns“, | |
| das die Bertelsmann-Stiftung, die Nixdorf-Stiftung und die | |
| Ludwig-Erhard-Stiftung initiiert haben. Die Lobby-Wächter bemängeln die | |
| einseitige marktliberale Perspektive des Buches. Dennoch haben Sachsen, | |
| Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern es als Schulbuch zugelassen. | |
| In einem offenen Brief fordert LobbyControl, den Einfluss von | |
| Interessengruppen im Klassenzimmer zurückzudrängen. So sollten die | |
| Kultusminister etwa eine Monitoringstelle einrichten, die private | |
| Unterrichtsmaterialien sichtet. | |
| 30 Apr 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Kramer | |
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