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# taz.de -- Marketing an Schulen: Fitmachen für die Verwertungskette
> An Schulen präsentieren Unternehmensberater und Versicherungen wie
> Allianz und McKinsey ihre Produkte. Verbraucherschützer sind wenig
> begeistert.
Bild: Zielgruppe auf dem Weg zum Unterricht.
BERLIN taz | Das Thema Finanzen kam bei den Schülern offenbar prima an.
„Ich kann allen Kollegen empfehlen, die My-Finance-Coach-Sternstunde auch
in ihrem Unterricht auszuprobieren!“, schreibt Ursula Hartl, Lehrerin,
Hauptschule an der Franz-Nißl-Straße, München, in ihrem „Erfahrungsbericht…
auf der Webseite der My-Finance-Coach-Stiftung: „Ich habe sofort gemerkt,
wie toll es die Schüler finden, echte Experten aus der Arbeitswelt in der
Klasse zu haben.“
Hinter My Finance Coach verbergen sich der Versicherungsriese Allianz, das
PR-Netzwerk Grey und die Unternehmensberatung McKinsey. Sie gründeten 2010
die gemeinnützige Stiftung, um Kindern und Jugendlichen ein besseres
Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge zu vermitteln. So die
Philosophie.
Weniger begeistert sind Verbraucherschützer: Die Bundesverbraucherzentrale
in Berlin ließ die Themenhefte, mit denen My Finance Coach die Schüler
aufklärt, 2011 untersuchen. Ergebnis: Das Gesamtkonzept müsse „aufgrund der
unzulässigen fachlichen Verengung als tendenziös und damit als nur bedingt
unterrichtstauglich eingestuft werden“.
## Mit Unterrichtsmaterialien überschüttet
Unternehmen und ihre Verbände drängen seit Jahren vermehrt in die Schulen.
Mit dem Argument, die ökonomische Allgemeinbildung der Schüler sei dringend
verbesserungsbedürftig, schreiben sie Wettbewerbe aus. Sie bieten
Fortbildungen für Lehrer an und überschütten sie mit
Unterrichtsmaterialien.
Die Verbraucherzentrale listet in einem „Materialkompass“ im Internet über
200 solcher Arbeitshefte auf. Projektleiterin Tatjana Bielke geht aber
davon aus, dass man nur einen Bruchteil der im Umlauf befindlichen Menge
erfasst hat.
## Politisch tendenziöse Weltbilder
Für die unter Sparzwang stehenden Schulen sind die gratis erhältlichen
Themenhefte eine willkommene Ergänzung. Sozialwissenschaftler der
Universität Bielefeld warnten jüngst jedoch in einer Analyse: „Die
Lernmaterialien sind nicht selten wissenschaftlich und politisch tendenziös
und fördern oft einseitig unternehmernahe Weltbilder.“
Das alles geschieht unter den wohlwollend zusammengekniffenen Augen der
Kultusminister. Außerschulische Materialien müssen die Regeln für die
Lizenzierung nicht erfüllen, die für staatliche Schulbücher gelten. Die
Lehrer können selbst entscheiden, welche der Gratispakete sie im Unterricht
verwenden.
Bayern bietet die Onlineschulungen von My Finance Coach sogar als
offizielle Lehrerfortbildungen an. „Bei dem Angebot von MFC handelt es sich
um einen ergänzenden Baustein der Lehrerfortbildungsinitiative in Sachen
ökonomische Verbraucherbildung“, heißt es aus dem bayerischen
Kultusministerium.
## Kaufen, Sparen und Umgang mit Risiken
Die Stiftung My Finance Coach geht aber noch einen Schritt weiter: 450
Unternehmensmitarbeiter sind im Auftrag der Stiftung als ehrenamtliche
„Coaches“ aktiv. Sie unterrichten Themen wie „Kaufen“, „Sparen“ oder
„Umgang mit Risiken“. 90.000 Schülerinnen und Schüler haben nach
Stiftungsangaben bereits teilgenommen.
„Erstmalig wagen sich UnternehmensvertreterInnen systematisch mit eigenen
Materialien in die Schulen“, erklärt Tim Engartner, Professor an der
Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. „Das ist völlig inakzeptabel.�…
2,3 Millionen Euro haben Allianz, McKinsey und Grey sowie über 20 weitere
Partner aus der Wirtschaft 2011 in ihre pädagogischen Offensive gesteckt.
Die My-Finance-Coach-Stiftung will dabei unter allen Umständen den Anschein
vermeiden, im direkten Geschäftsinteresse der Geldgeber zu handeln.
## Eigenständig und kritisch
„Alle unsere Trainer werden geschult und müssen unterschreiben, keinerlei
Werbung zu machen. Sie dürfen auch keine Visitenkarten verteilen und keine
Auskünfte zu eigenen Produkten geben“, erklärt Stiftungssprecher Matthias
Jansen. Die Jugendlichen sollten sich eigenständig und kritisch mit dem
Thema Finanzen auseinandersetzen.
Die beiden WissenschaftlerInnen, die im Auftrag der Verbraucherzentralen
die Materialien begutachteten, kamen jedoch unabhängig voneinander zu einem
anderen Ergebnis: „Die Auswahl der Themen erfolgt interessengeleitet und
bei der Vermittlung fragen die Trainer so lange, bis die Schüler die
Antwort geben, die von ihnen gewünscht wird“, berichtet Projektleiterin
Bielke.
So wird etwa im Unterrichtsleitfaden für das Thema „Umgang mit Risiken“ die
gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland folgendermaßen eingeschätzt:
„Wir haben gelernt, dass das Solidarprinzip nicht mehr funktioniert, wenn
sich bestimmte Voraussetzungen ändern.“
Die Schüler sollen Vermutungen anstellen, welche Veränderung eintreten
können, „der Finance Coach setzt Impulse zum Beispiel in Richtung
demografischer Wandel/Überalterung der Gesellschaft oder Volkskrankheiten
wie Übergewicht“. Ist das geklärt, so wird zum zweiten Teil der Folie
übergeleitet, deren Ziel es ist: „Nutzen von privater Absicherung
nachvollziehen“.
## Mit dem Segen der Unesco
Dieser Ordner ist als einziger noch im „Materialkompass“ der
Verbraucherzentrale zu finden. Die anderen Themenordner, allesamt ebenfalls
nur als „mangelhaft“ oder „ausreichend“ benotet, musste der Verband nach
Beschwerden von My Finance Coach zurückziehen.
Die Weltkulturorganisation Unesco adelte die Stiftungsarbeit im vergangenen
Jahr, indem sie My Finance Coach zu einem offiziellen Projekt der
„UN-Dekade der Bildung für nachhaltige Entwicklung“ kürte.
Bundesbildungministerin Annette Schavan (CDU) war 2011 Schirmherrin des von
My Finance Coach ausgelobten Bundeswettbewerbs „Finanzen“.
## Eigener Beirat empfiehlt die Arbeit als unabhängig
Um jeden Zweifel an seiner Unabhängigkeit auszuräumen, hat My Finance Coach
außerdem einen Fachbeirat eingerichtet. Ihm gehören Vertreter anderer
wirtschaftsnaher Stiftungen an, aber auch der Vorsitzende des
Philologenverbands Heinz-Peter Meidinger. Der empfindet die Kritik der
Verbraucherschützer an My Finance Coach als „zu harsch“: „Wenn ich den
leisesten Verdacht hätte, dass die Coaches verdeckte Werbung machen, wären
sie sofort raus.“
Die Schule an der Franz-Nißl-Straße in München will die Zusammenarbeit mit
den Coaches nach zwei Jahren beenden. „Die Stunde war ganz gut, aber
organisatorisch war das ein richtiger Zirkus“, erzählt die Lehrerin Sarah
Kretz.
Eine Ursula Hartl hat an der früheren Hauptschule, die heute eine
Mittelschule ist, nie unterrichtet. Da ist sich die Sekretärin ganz sicher,
und die arbeitet hier schließlich seit 25 Jahren.
Anmerkung der Redaktion: Statt Ursula Hartl gibt es eine Judith Hartl. Sie
ist nicht Lehrerin an der Hauptschule Franz-Nißl-Straße, sondern an der
Mittelschule Wiesentfelster Straße, München. Die Verwechslung war ein
Fehler von My Finance Coach, den die Stiftung nach Erscheinen des Artikels
auf ihrer Homepage berichtigt hat.
Als der Bundesverband der Verbraucherzentralen das Thema Wirtschaft und
Schule am 8. Mai auf dem Tag der Verbraucherbildung mit einem Vertreter von
My Finance Coach diskutieren wollte, ließ sich der Geschäftsführer der
Stiftung, Christian Keller, aus Zeitgründen entschuldigen. Stattdessen kam
ein Mitglied des unabhängigen Fachbeirats. Tatjana Bielke meint gegenüber
der taz: „Man kann schon sagen: My Finance Coach ist der Diskussion aus dem
Wege gegangen.“
30 Mar 2012
## AUTOREN
Anna Lehmann
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