# taz.de -- Wirtschaft manipuliert Schüler: Vergiftete Nähe zur Erdgasindustr… | |
> Unternehmen greifen mit Bildungskooperationen immer stärker in den | |
> Schulalltag ein. Am Weißwaschen der Frackingtechnologie sieht man die | |
> Folgen. | |
Bild: Betriebsstätte von RWE Dea in Völkersen, bei der Benzol ausgelaufen ist. | |
VERDN taz | „Wir bieten der RWE Dea keine Bühne!“, erklärt Detlev Lehmann. | |
Man kann das Ausrufezeichen förmlich fühlen. Der Direktor des | |
[1][Domgymnasium in Verden (Niedersachsen)] ist sehr bemüht, jeden noch so | |
kleinen Verdacht der Einflussnahme von sich zu weisen. Der | |
Kooperationspartner seiner Schule, [2][RWE Dea], ist schwer in die Kritik | |
geraten, weil er mithilfe des gefährlichen Frackingverfahrens in der Gegend | |
nach Gas bohrt. | |
Es ist eine enge Verbindung zwischen Lehmanns Gymnasium und RWE, die sich | |
sogar auf den Stundenplan auswirkt. Die Schule bietet ein Seminarfach zum | |
Thema Energie an – und gibt dabei der Erdgas- und Erdölförderung besonders | |
viel Raum. | |
Die Elft- und Zwölftklässler belegen „Energie“ als Wahlpflichtfach und | |
bekommen dafür eine exklusive Besuchstour vermittelt: Sie sehen den Betrieb | |
im Nachbardorf Völkersen, schauen einen Bohrplatz und die Konzernzentrale | |
in Hamburg an und statten dem [3][Erdölmuseum in Wietze] einen Besuch ab. | |
Sogar die Physiklehrer wurden für die Zusammenarbeit extra geschult – bei | |
Betriebspraktika in einem der Werke von RWE Dea. Die Mitarbeiter des | |
Unternehmen erhalten exklusiven Zugang zu den Schulen: Sie wirken als | |
Paten, die den Schülern bei ihrer Seminararbeit helfen, wenn diese zu | |
Erdgas oder -öl schreiben. | |
Das alles lässt sich RWE Dea auch etwas kosten: 10.000 Euro fließen für die | |
Energie- und Frackingwerbung in die Kasse des Domgymnasiums – als | |
Sponsoring. | |
Das Verdener Domgymnasium ist kein Einzelfall. In der „[4][Schulkooperation | |
Erdöl/Erdgas]“, die seit 2007 besteht, kooperieren nunmehr sechs | |
niedersächsische Gymnasien mit den vier Unternehmen, die in Deutschland | |
Erdgas und -öl fördern. Neben der RWE Dea sind es ExxonMobil, Wintershall | |
und GDF Suez. | |
Wie das Domgymnasium liegen die Schulen in Sulingen, Lingen, Diepholz, | |
Lohne und Vechta – allesamt Erdgasfördergebiete, die in der Nähe zu | |
Betrieben der Firmen sind. | |
Initiiert hat das Ganze der [5][Wirtschaftsverband Erdöl- und | |
Erdgasgewinnung (WEG)]. Großzügige Unterstützung lieferte die | |
niedersächsische Staatskanzlei (sie wählte die Schulen aus) – und ein alter | |
Bekannter: der damalige Ministerpräsident Christian Wulff. | |
Niedersachsen ist mit einem Anteil von über 90 Prozent das Zentrum der | |
deutschen Erdgasförderung: Es profitiert von Förderabgaben in Höhe von bis | |
zu einer Milliarde Euro jährlich. | |
## Industrie ist erwünscht | |
Gerade die schwarz-gelbe Landesregierung Wulffs trieb die Öffnung der | |
Schulen für Industriekooperationen voran. Schulen taten sich sich mit | |
umstrittenen Branchen wie der Gentechnik und der Atomenergie zusammen. | |
Beteiligt war – als didaktisch Begleiter – auch das [6][Studienseminar | |
Meppen]: Es entwickelt zeitgleich mit RWE Unterrichtskonzepte für das | |
[7][Atomkraftwerk Emsland]. | |
Erklärtes Ziel der Kooperation war die Nachwuchsgewinnung für eine Branche, | |
über die in Deutschland wenig bekannt war. Und das, was bekannt war, sorgte | |
nicht unbedingt für einen guten Ruf. | |
„Wir sind eine Branche, über die emotional diskutiert wird“, formuliert es | |
der Organisator von der Erdgaslobby WEG, Hartmut Pick: „Das war schon immer | |
so.“ Die Diskussion hat sich verschärft, seit das berüchtigte Fracking | |
eingesetzt wird. Dabei werden Sand, Chemikalien und viel Wasser in | |
gasführende Gesteinsschichten gepresst und gebrochen (gefrackt), um Gas | |
freizusetzen. | |
## Image aufbessern | |
Das Ziel der Schulkooperationen ist klar. Laut der eigenen Dokumentation | |
will der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung dazu beitragen, die | |
Reputation der Branche und die Akzeptanz vor Ort verbessern. | |
„Gerade die emotional geschürten Ängste, die ungenauen oder einseitigen | |
Informationen, die in der Öffentlichkeit verbreitet sind, machen es | |
erforderlich, dass Schülerinnen und Schüler genauere Einblicke in die | |
wichtigen Fragen um den Energiemix der Zukunft erhalten“, schreibt das | |
Studienseminar Meppen dazu. | |
Hartmut Pick erläutert es so: „In dem Moment, wo sich die Schüler mit der | |
Branche beschäftigen, in die Betriebe gehen, sich Gedanken über einzelne | |
Aspekte machen, trägt das automatisch zur Versachlichung bei. Und das | |
steigert im Endeffekt auch die Reputation des Unternehmen und die Akzeptanz | |
vor Ort.“ | |
Ganz andere Erfahrung hat eine [8][Bürgerinitiative in Völkersen] gemacht. | |
Sie gründete sich, als bekannt wurde, dass durch ungeeignete Rohre der RWE | |
Dea krebserregendes Benzol in das Erdreich gelangt war. | |
## Fragen bleiben unbeantwortet | |
„Je mehr wir uns mit der Arbeit der RWE Dea hier im Ort beschäftigen, desto | |
mehr Fragen haben wir“, sagt Rainer Böttcher von der Initiative: „Wichtige | |
Informationen werden uns aber vorenthalten.“ Eine Probe der schadhaften | |
Rohre wurde nicht zur Verfügung gestellt. Neben der Kontamination | |
beschäftigt sich die Bürgerinitiative auch mit möglichen Auswirkungen des | |
Frackings in tieferen Gesteinsschichten. | |
Der Konflikt bewegt die Menschen vor Ort, er ist Dauerthema in den | |
Lokalmedien. Das Domgymnasium freilich ignoriert die kritischen Aspekte des | |
Frackings. „Dass wir jetzt diese Diskussion bei uns in der Schule führen | |
müssen, das sehe ich nicht“, sagt Direktor Lehmann. | |
„Es gibt auch andere sehr brisante politische Themen, wie den | |
Syrienkonflikt und das Kurdenproblem.“ Zudem sei der Kontakt zur | |
Bürgerinitiative schwierig – aus politischen Gründen: „Wir sind ja zur | |
absoluten politischen Neutralität verpflichtet.“ | |
Die Nachbarschule des Domgymnasiums kennt diese Bedenken nicht. Die [9][BBS | |
Verden] hat sowohl einen Vertreter der Bürgerinitiative als auch einen des | |
Unternehmens eingeladen – damit sich die Schüler ein eigenes Bild machen | |
können. | |
## Schuldirektor als Lobbyist | |
Lehmann dagegen blockt nicht nur die Diskussion ab, sondern diskreditiert | |
auch die Bürgerinitiative. Während die RWE Dea ein „Ansprechpartner mit | |
Fachwissen“ sei, würden auf der Gegenseite „Fakten genommen, die eigentlich | |
kein Beleg sind“. Irgendwie klingt der Schuldirektor Lehmann aus der | |
niedersächsischen Kreisstadt Verden wie ein Lobbyist der deutschen Erdöl- | |
und Erdgaswirtschaft. | |
Die Schule nimmt Rücksicht auf den Partner und befürchtet, dass die | |
schlechte Presse auf sie zurückfallen könnte. Denn seit knapp sechs Jahren | |
treten beide zusammen in der Öffentlichkeit auf und werben mit ihrer | |
Kooperation. Das Unternehmen kann sich als transparentes und sozial | |
verantwortliches Unternehmen präsentieren – und die Schule kann ihre | |
praxisnahe Ausbildung betonen. | |
Im November 2008 war das Domgymnasium damit sogar im niedersächsischen | |
Landtag vertreten, wo eine Ausstellung über die Kooperation präsentiert | |
wurde. | |
Die 10.000 Euro, die RWE Dea jedes Jahr an die Schule überweist, sind für | |
die Schule eine wichtige Einnahmequelle. Sie machen ungefähr ein Viertel | |
des Gesamtetats für Material aus und ermöglichen den Kauf von | |
Versuchsbaukästen und Notebooks. Alles Dinge, die die Schule sich ansonsten | |
gar nicht leisten könnte. | |
8 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.domgymnasium-verden.de | |
[2] http://www.rwe.com/web/cms/de/53846/rwe-dea/ | |
[3] http://www.erdoelmuseum.de/ | |
[4] http://www.erdoel-erdgas.de/Themen/Bildung-Forschung/Schulkooperation | |
[5] http://www.erdoel-erdgas.de/ | |
[6] http://www.studienseminarmeppen.de/ | |
[7] http://www.rwe.com/web/cms/de/16646/rwe-power-ag/standorte/kernkraft/kkw-em… | |
[8] http://www.nofracking.de/ | |
[9] http://www.bbsverden.de/ | |
## AUTOREN | |
Joris Hielscher | |
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