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# taz.de -- Bildungspolitik der Union: Hauptschule heißt jetzt Twix
> Die CDU schafft die Hauptschule ab – aber nur dem Namen nach. Pädagogisch
> hält sie an ihrem schizophrenen Menschenbild der Dreiklassenbegabung
> fest.
Bild: Heißt bald anders, sonst ändert sich nix: Hauptschule in Arnsberg.
Die CDU verabschiedet sich von der Hauptschule! Überall wird es als ein
Fest beinahe so wichtig wie das Aus der Atomkraft gefeiert, dass die CDU
die Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt. Die Hauptschule ist eine in allen
Belangen inakzeptable Schulform – sie ist undemokratisch, sie ist schlecht,
die Bürger mögen sie nicht mehr leiden. Kurz, sie steht für ein politisches
und pädagogisches Weltbild, das vorgestrig zu nennen ein Kompliment wäre.
Chapeau also, wir klatschen gerne Beifall – auch wenn wir hin und wieder
gähnen mussten angesichts der Lernresistenz der Unionschristen. Ihr habt
der Republik viel Zeit gestohlen, ihr Betonköpfe.
Freilich, man besehe sich den geschenkten Gaul genau, ehe man ihn
willkommen heißt. Was bekommt das Land denn geboten unter der
wählerwirksamen Überschrift: "Tschüss, Hauptschule!" Nein, es ist kein
echter Fortschritt. Man muss nur jene Schule genauer mustern, welche die
Hauptschule verschlucken und verbessern soll: die Oberschule.
Sie strahlt den gleichen vordemokratischen Odem der Selektivität aus. Sie
ist keine neue Idee, sie ist ein vergiftetes Geschenk, das verbitterte und
übellaunige Schulpolitiker der CDU überreichen. Sie wollten immer recht
haben und sie wollen es weiter. Daher sind sie bereit, ihren Auslesefimmel
auch auf die Oberschule zu erweitern.
Die Oberschule Marke CDU gibt es in Reinform in Bayern, und zwar genau in
13 Exemplaren eines Modellversuchs. Dort dürfen Haupt- und Realschulen
kooperieren – aber auf eine hinterlistige Art. In Bayerns Pädagogenhirnen
kommen nämlich Haupt- und Realschüler derart reinrassig vor, dass sie sich
keinesfalls kreuzen dürfen. Mit anderen Worten: In den Schulkooperationen
dürfen sich die beiden Schülerspezies nur auf dem Pausenhof und in Sport
begegnen, aber auf keinen Fall in Mathematik, Deutsch oder Fremdsprachen.
Als vor einiger Zeit eine Delegation von angehenden Realschullehrern in der
taz zu Besuch war, gaben sie mehrheitlich zu Protokoll: Es sei didaktisch
nicht möglich, Haupt- und Realschüler gemeinsam zu unterrichten. Die
CDU-Politiker der ersten Garde formulieren ihre Thesen nur ein wenig
gefälliger.
## Der Minister wird ausgelacht
Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) camoufliert seine
vorsintflutliche Gesinnung, indem er einfach eins zu eins die Rede der
Schulerneuerer kopiert – und auf seine Schule anwendet. Er palavert ständig
von individuellem Lernen – und meint ernsthaft die Individualität der
Dreiklassengesellschaft Haupt- und Realschule sowie Gymnasium. Das ist oft
dreist, meistens aber lächerlich, etwa wenn ihn Schüler auf Kongressen
einfach auslachen für das hochintelligente Zeugs, was er daherredet.
Hart an der Grenze manövriert auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan
(CDU). Sie hat letzthin eine neuen pädagogischen Zweig erfunden, die so
genannte Hauptschulpädagogik. Die Hauptschule stürbe, so Schavan, aber die
Pädagogik für diese Menschen erwarte ein langes munteres Leben – in der
Oberschule.
Es bleibt dabei: Die CDU vertritt eine Dreiklassenpädagogik für eine
Dreiklassengesellschaft. Wenn man es durchdekliniert, landet man
unweigerlich beim Menschenbild der Union – das ganz offensichtlich ein
geteiltes ist: bessere Menschen, schlechtere Menschen, jedem die seine
Schule.
Aber halt, diese Betrachtung ist zu uniform. Es lohnt sich, mit CDU-Leuten
ein Bier zu trinken. Wenn die Kameras abgeschaltet sind, dann erstrahlen
die Spitzenleute der Union in ihrer ganzen Klugheit. Norbert Röttgen zum
Beispiel, der gerade Verfassungsrang für die Realschule fordert, ist ein
bis ins Detail eingearbeiteter Bildungspolitiker - hinter den Kulissen.
Noch spannender ist es, der CDU-Basis zuzuhören. Denn sie lehnt das Konzept
der eigenen Parteispitze ab – und zwar explizit mit dem Verweis auf die
Überkommenheit des Unions-Menschenbildes. Die Bürgermeister der CDU kämpfen
um jeden Schüler, damit nicht die Schulen ihrer Orte und letztlich nicht
die Orte selbst sterben. An der Basis ist jeder Schülermensch gleich viel
wert. Das ist im Kern der Fortschritt der Debatte um die Hauptschule. Er
ist wichtiger als alles andere.
27 Jun 2011
## AUTOREN
Christian Füller
## TAGS
Industrie
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