# taz.de -- Lobbyismus an Schulen: Die fabelhafte Welt der Unternehmer | |
> Seit zehn Jahren fördert ein Verein unternehmerisches Denken bei | |
> Schülern. SPD und Grüne denken sich nichts Arges dabei. Einige Lehrer | |
> schon. | |
Bild: Eine City-Toilette der Wall AG in Hamburg. | |
„Sicher hast Du schon einmal die Stadtmöbel von Wall AG gesehen. Dieses | |
Unternehmen hat der Entrepreneur Hans Wall gegründet. Heute beschäftigt es | |
in einer eleganten Firmenzentrale in Berlin und weltweit mehr als 750 | |
Mitarbeiter.“ Was sich wie ein Auszug aus einer Werbebroschüre liest, steht | |
in einem Schulbuch für Neunt- und Zehntklässler. | |
Darin findet sich auch der Tipp: „Übrigens engagiert sich Hans Wall auch | |
für sein soziales Umfeld. Google doch mal die Stichworte ’Wall AG | |
Sponsoring‘.“ Herausgegeben hat es der gemeinnützige Verein „Network for | |
Teaching Entrepreneurship“, NFTE, gesprochen Nifti. Der ist bundesweit an | |
fast 600 Schulen aktiv und will dort „unternehmerisches Denken“ fördern. | |
Schüler der Helene-Lange-Gesamtschule in Wiesbaden etwa können wahlweise | |
das Fach NFTE belegen. Die Lehrer werden dafür von NFTE drei Tage lang | |
fortgebildet und holen mit der Anmeldung zur Fortbildung auch die | |
Unterschrift der Schulleitung ein, „dass der NFTE-Lehrplan mit den dafür | |
von NFTE zur Verfügung gestellten Unterrichtsmaterialien unterrichtet | |
werden kann“. Dazu gehört ebenjenes Lehrbuch „Von der Idee zum Ziel“, | |
welches den Schülern über 240 Seiten erfolgreiches Unternehmertum | |
nahebringt, aber Informationen über Arbeitnehmerrechte ausklammert. | |
Bisher habe keiner der über 1.200 ausgebildeten NFTE-Lehrkräfte jemals den | |
Verdacht einer „lobbyistischen“ Beeinflussung geäußert, heißt es vom | |
Verein. Doch nun empört sich die Wiesbadener Sparte der Gewerkschaft | |
Erziehung und Wissenschaft (GEW) über die „einseitige, lobbyistische | |
Einflussnahme auf Schule und Unterricht“. Die GEW findet, eine | |
Beeinflussung „zu Gunsten der Wirtschaft“ sei „klar zu erkennen“. | |
„Völliger Quatsch“, meint der Geschäftsführer von NFTE, Wolf-Dieter | |
Hasenclever: „Es geht einzig und allein um Persönlichkeitsbildung.“ | |
Hasenclever ist ein Pädagoge und Politiker und führte die Grünen-Fraktion | |
in Baden-Württemberg, bis Winfried Kretschmann ihn 1983 ablöste. Später | |
schloss er sich der FDP an und war unter der CDU in Niedersachsen für | |
Lehrerfortbildungen zuständig. Baden-Württemberg ist er bis heute | |
verbunden. So unterstützt das Land gemeinsam mit dem | |
Bundeswirtschaftsministerium den Verein. Laut Vereinsangaben stammt etwa | |
die Hälfte des jährlichen Etats von 270.000 Euro aus öffentlichen Mitteln, | |
etwa 60.000 Euro kommen von Stiftungen und weitere 50.000 Euro sind Spenden | |
von Firmen wie SAP und Tchibo. | |
Die NFTE-Idee stammt aus den USA. Vor zehn Jahren wurde das Konzept für | |
Deutschland adaptiert, „um auf die im Vergleich zu den USA viel | |
skeptischere Einstellung zum Unternehmertum zu reagieren“, wie es im | |
NFTE-Lehrerbegleitheft heißt. | |
## Kultusministerien haben keine Bedenken | |
Seit Jahren wirken Unternehmen und ihre Verbände auf Schüler und Lehrer mit | |
Fortbildungen und Unterrichtsmaterialien ein. Die Universität Augsburg | |
zählte im Jahre 2012 über 880.000 Lehrmaterialien von wirtschaftsnahen | |
Lobbyverbänden, die im Internet angeboten werden – alle kostenlos, weshalb | |
die chronisch klammen, zuständigen Kultusministerien der Länder auch gerne | |
ein Auge zudrücken. | |
Auf taz-Anfrage erläutert eine Sprecherin des baden-württembergischen | |
Kultusministeriums, warum es nichts gegen das Gratismaterial von NFTE hat | |
und die kostenlosen Fortbildungen sogar fördert: „Werden Unternehmen im | |
Buch genannt, dann ist dies stets in den didaktischen Kontext eingebettet: | |
Da die Schüler für ihre eigenen Geschäftsideen ebenfalls Logos entwickeln, | |
dienen die Firmenlogos der porträtierten Unternehmer als Beispiele.“ | |
Auch das Bundeswirtschaftsministerium hat keinerlei Bedenken und antwortet | |
mit der gleichen Formulierung wie NFTE selbst: „Das NFTE-Buch ist den | |
Kultusministerien und Landesinstituten für Lehrerbildung bzw. | |
Bezirksregierungen der 14 Bundesländer, in denen NFTE-Kurse stattfinden, | |
selbstverständlich vor Einrichtung der NFTE-Kurse vorgelegt und als | |
zusätzliches Unterrichtsmaterial für gut befunden worden.“ | |
Das stimmt nicht ganz. So hat Hessens CDU-geführtes Kultusministerium | |
Bedenken: „Das Hessische Kultusministerium hat das von NFTE zur Verfügung | |
gestellte Buch von Anbeginn an kritisch beurteilt.“ Das sei vor allem der | |
extremen Textlastigkeit geschuldet, heißt es, doch sicher sei auch der | |
Vorwurf der Werbung berechtigt. „Von Seiten des Hessischen | |
Kultusministerium wird es auch in Zukunft keine Werbung bzw. Unterstützung | |
für NFTE geben“, antwortet ein Sprecher auf taz-Anfrage | |
In der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden sollen Lehrer gefordert haben, das | |
Fach NFTE wieder zu streichen. Die Schule äußerte sich trotz mehrmaliger | |
Anfrage dazu nicht. | |
19 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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