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# taz.de -- Werbung in Schulmaterial: „Wir müssen aufpassen“
> Unterrichtsmaterialen sind Teil der Marketingstrategie von Unternehmen.
> Wissenschaftlerin Eva Matthes fordert, das Werbeverbot durchzusetzen.
Bild: Man kann die Kinder auch gleich direkt verkaufen
taz: Frau Matthes, Sie untersuchen Schulmaterialien von
Wirtschaftsunternehmen. Warum?
Eva Matthes: Die Angebote von Wirtschaftsunternehmen sind in den letzten
Jahren massiv gestiegen. Von 845 im Jahr 2011 auf mehr als 17.000 im Jahr
2013. Von den 20 umsatzstärksten deutschen Unternehmen bieten 16
Schulmaterialien an, oft im Paket mit Fortbildungsangeboten für Lehrer. Das
hat mich selbst überrascht. Für Unternehmen sind Unterrichtsmaterialien
ganz klar Teil ihrer Marketingstrategie.
Welche Unternehmen sind das?
Zum Beispiel Nestlé, Volkswagen, Ritter Sport, Daimler, Kraft Foods, Bayer.
Gerade bauen wir am Lehrstuhl eine umfassende Datenbank auf. Es geht jedoch
nicht nur um die Frage, wer alles in die Köpfe der Schüler reinmöchte. Eine
kritische Perspektive auf diese Materialien ist unverzichtbar. Denn bei
manchen Publikationen erkennt man nicht auf den ersten Blick, wer
dahintersteht, etwa eine Unternehmensberatung bei WissensSchule oder Banken
bei My Finance Coach.
Sind die Materialien auch inhaltlich bedenklich?
In den Publikationen findet sich die neoliberale Vorstellung, dass der
Einzelne immer alleiniger Schmied seines Glückes ist, wenn er nur anpackt,
wenn man nur kreativ ist. Dieses Menschenbild finde ich viel zu einseitig.
Denn es lässt Menschen außen vor, die schwächer sind, die sich weniger gut
durchsetzen können. Zudem werden unternehmerische Perspektiven absolut
gesetzt.
Findet sich in den Materialien auch explizite Produktwerbung?
Viele Unternehmen werben ganz offen für ihre Produkte, gerade beim Thema
Nachhaltigkeit. Wer als kluger Konsument nachhaltig leben will, muss ihre
Produkte kaufen. Tetrapak etwa stellt seine Verpackungen als die
umweltfreundlichsten dar, im Material der Daimler AG zu Elektromobilität
finden sich nur Fahrzeuge von Daimler. Und wer jeden Tag ein bisschen
Schokolade zu sich nimmt, ist glücklicher und hat mehr Energie. Die eigenen
Produkte werden in dem Unterrichtsmaterial von Ritter Sport über Kakao und
Schokolade immer wieder „nebenbei“ ins Spiel gebracht.
Sind Werbematerialien immer gleich als solche erkennbar?
Oft wird die Botschaft sehr dezent platziert, etwa indem ein Unternehmen
als vorbildliches Beispiel für einen bestimmten Sachverhalt angeführt wird.
Alternativen zum Konsum – Verzicht, Tausch – kommen nicht vor. Da werden
gesellschaftliche Debatten sehr einseitig wiedergegeben. Darüber muss die
Gesellschaft aufgeklärt werden.
Warum prüfen die Kultusministerien die Unterrichtsmaterialien nicht wie
auch Schulbücher?
Als wir die Datenbank zu kostenlosen Bildungsmedien im Internet anlegten,
haben wir Zuständige in den 16 Länderministerien gefragt, wie sie zu diesen
Angeboten stehen. Die Befragten gaben alle mehr oder weniger dieselbe
Antwort. Die Lehrer würden doch selber sehen, was reine Werbung oder
einseitige Darstellung ist und entsprechend damit umgehen. Hier ist die
Diskrepanz zu den teilweise strengen Zulassungsverfahren für Schulbücher
besonders hoch. Ich finde, dass auch Online-Angebote auf
Multiperspektivität, auf Indoktrination und auf werbliche Inhalte geprüft
werden müssen.
Wer sollte diese Prüfung vornehmen?
An den Schulen gilt das Werbeverbot. Wenn es greifen soll, ist der Staat in
die Pflicht gerufen. Vielen Lehrkräften fehlt ein Bewusstsein für den
kritischen Umgang mit Bildungsmedien. Diese Thematik muss daher fester
Bestandteil der Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung werden. Bisher
bieten nur vereinzelte Universitäten ihren Studierenden
Zertifikatsstudiengänge für kritische Medienkompetenz an. Es sollte aber
auch Expertengruppen aus staatlichen Vertretern, Wissenschaftlern und
Lehrern geben, die ausgewogene Angebote im Netz empfehlen und vor
bedenklichen warnen.
Vor kurzem hat die Bundeszentrale für politische Bildung eine Publikation
zurückgezogen, weil ein Arbeitgeberverband protestierte.
Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Ökonomisierung der Bildung
kommt und hierzu kritische Sichtweisen auch ihren Raum bekommen. In der
Schule müssen Multiperspektivität und Pluralität gesichert bleiben.
12 Nov 2015
## AUTOREN
Ralf Pauli
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